Das traditionelle Modell des motorisierten Individualverkehrs wird durch die immer knappere Verfügbarkeit von fossilen Treibstoffen und eine zunehmende Luft- und Lärmverschmutzung in Frage gestellt. Da wir auf unsere persönliche Mobilität nicht verzichten möchten und weil Mobilität die zentrale Voraussetzung für die Entwicklung unserer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft ist, werden derzeit unterschiedlichste Ansätze diskutiert von Biokraftstoffen über Elektro- und Wasserstoffantriebe bis hin zu neuen Mobilitätskonzepten.
„Im Unterschied zu früher, wo sich unser Leben in einem eher begrenzten Umfeld abgespielt hat, orientiert sich die heutige Raumplanung auf die mobile Erreichbarkeit. Die Autonutzung wurde uns auf diese Weise großteils aufgezwungen, indem man Infrastrukturen einzig auf den Autoverkehr ausrichtete. Aber nicht die Autofahrer sind zu befriedigen, sondern durch nachhaltige Siedlungs- und Wirtschaftsstrukturen ist der Bedarf für mechanische Mobilität zu minimieren. Der erste und wichtigste Baustein für nachhaltige Mobilität ist daher die Verkehrsvermeidung durch optimierte Raumplanung. Einkaufs- und Versorgungsmöglichkeiten sind wohnortnah bereitzustellen. Ortschaften der „kurzen Wege“ verkürzt die zurückzulegenden Distanzen. Die Einführung des Prinzips der Kostenwahrheit für den Warenverkehr reduziert viele unnötige lange Transportwege, wodurch lokale Produkte preislich konkurrenzfähig werden zu den Angeboten in Großhandelszentren. Der zweite Baustein in der Prioritätenskala ist die Verkehrsverlagerung weg vom Auto hin zu alternativen Verkehrsmitteln“, verdeutlicht Günther Burger, Direktor der Abteilung Mobilität. „Es gibt immer noch Planer und Politiker, die dem Auto durch Straßenerweiterungen jedes Hindernis aus dem Weg räumen wollen. Damit werden die alten Verkehrsgewohnheiten aber weiter unterstützt anstatt zur Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel anzuregen. Auf kurzen Strecken hin zu den Bahnhöfen hat das Privatauto seine Berechtigung. Es kann aber nicht sein, dass jeder allein im Auto zur gleichen Zeit gleiche Strecken fährt. Großzügige Investitionen in ein attraktives, modernes, öffentliches Verkehrsnetz mit abgestimmten Fahrplänen sind nötig, genauso wie Bewusstseinsbildung, damit wir das eigene Verkehrsverhalten hinterfragen“, führt die Brunecker Gemeinderätin der Bürgerliste, Christina Niederkofler, an, die mit ihrer Familie nunmehr seit 25 Jahren bewusst autofrei lebt: „Bei einem Familienausflug mit dem Auto sind wir zufällig an einem Unfall mit einem Verkehrstoten vorbeigekommen. Dies veranlasste uns öfter die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Es war ein gutes Gefühl mit Bahn und Bus unterwegs zu sein auch deshalb, weil uns die Umweltprobleme, die vom Auto verursacht werden, immer bewusster wurden. Da wir mit dem Rad zur Arbeit fahren können und wenig entfernt alle Geschäfte zum Einkaufen vorfinden, war das Auto keine unbedingte Notwendigkeit. 1992 haben mein Mann und ich entschieden, unser Auto zu verkaufen. Ohne eigenes Auto zu leben ist für meine Familie inzwischen Normalität. Ein Autokauf war nie Thema, obwohl wir in der Familie zu viert den Führerschein besitzen.“ Nachhaltige Mobilität ist gerade für die so begehrte Urlaubsdestination Pustertal auch ein Thema bei der Gästemobilität, wie Stefan Auer, Geschäftsführer des Mobilitätskonsortiums Pustertal, bestätigt: „Die Gäste, die zu uns ins Pustertal reisen, sollen ja möglichst ihre Privatautos bei den Unterkünften stehen lassen für ein geringeres Verkehrsaufkommen auf den Straßen und aufgrund der Parkplatzknappheit bei den Aufstiegsanlagen. Damit dieses Vorhaben gelingt, müssen wir attraktive Alternativen schaffen, die den Gast auch in peripheren Gebieten auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen lässt.“ Das Mobilitätskonsortium, dessen Mitglieder 14 Pustertaler Tourismusvereine und die Aufstiegsanlagenbetreiber sind, sei 2011 aus der Absicht heraus entstanden, die unterschiedlichen Skizubringerdienste zu koordinieren, erzählt Auer: „Jeder Skibusbetreiber, ob Tourismusverein oder Bergbahn hat früher seine Insellösung eingeführt, was zu unterschiedlichem Ticketing führte und wo die ortsübergreifende Koordination fehlte. Hier wollten wir die Ticketpreise vereinheitlichen, die Busqualität anheben, die Ausgaben verringern und die Fahrpläne koordinieren. Um ein effizienteres Angebot zu haben, kam 2012/13 die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel dazu. Ein entsprechendes Ticket wurde unseren Gästen bereits beim Einchecken in die Unterkunft ausgehändigt. Von da an konnte der Gast für die Fahrt zur Aufstiegsanlage den Bus, die Bahn oder den Skibus benutzen. Seit 2014 haben wir schließlich auf das Pauschalsystem umgestellt und den HOLIDAYPASS eingeführt. Dieser Pass inkludiert südtirolweit die Nutzung der Skibusse und der öffentlichen Mobilität sowie Freizeitangebote, und das nicht mehr nur im Winter zu den Aufstiegsanlagen, sondern das ganze Jahr über.“
MEHR VERKEHR = MOBILER?
„Autoverkehr und Mobilität sind zwei Paar Schuhe. Viel Autoverkehr verursacht öfters sogar geringe Mobilität. Innerhalb der Orte und in der Umgebung bin ich mit dem Rad und zu Fuß sicher mobiler als mit dem Auto. Dort fährt inzwischen auch den Citybus. Für längere Strecken zwischen größeren Orten ist eigentlich der Zug das ideale Verkehrsmittel. Und in den Tälern gibt es bereits stündliche oder halbstündliche Bus- und Bahnverbindungen. Zudem stehen Taxidienst und Carsharing zur Verfügung. Wohnt jemand entlegen, macht ein Auto Sinn. Grundlegend für Mobilität ist meist aber nicht das eigene Auto, sondern vielmehr eine bewusste Verkehrsmittelwahl“, ist Niederkofler überzeugt. „Ausschlaggebend für die Attraktivität der öffentlichen Verkehrsmittel ist der Fahrplantakt, und der hat sich bis auf wenige Ausnahmen dank des Landesamtes für Mobilität stark verbessert. Bus- und Zugfahren kommt immer mehr in Mode, wobei die Gastgeber zu sensibilisieren auch Aufgaben des Mobilitätskonsortiums sind“, unterstreicht Auer.
VERKEHRSPROJEKTE
„Das Projekt ‚Green Mobility‘ wurde 2015 geboren mit dem Ziel, Südtirol zur Modellregion für nachhaltige alpine Mobilität zu machen. Green Mobility umfasst alle Formen der nachhaltigen Mobilität und vernetzt sie miteinander. Aufbauend auf einem gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr soll auch die darüber hinausgehende Mobilität so nachhaltig wie möglich gestaltet werden. Schwerpunkte sind dabei ein dichtes Angebot an öffentlichem Verkehr, die Bereiche Rad-und Intermodalität und sollte sich die Notwendigkeit zur Nutzung des eigenen Autos nicht vermeiden lassen, die Elektromobilität – die Verkehrsverbesserung als dritten Baustein durch alternative Kraftstoffe , erklärt Burger.
URLAUB OHNE AUTO?
„Mit dem HOLIDAYPASS animieren wir unsere Gäste, am Urlaubsort vom Privatauto auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen. Auch die autofreie Anreise ist bei uns ein Thema. Dabei sind viele Hürden zu nehmen, gerade wenn man in eine entlegenere Urlaubsdestination möchte. Ein Kriterium ist auch die Aufenthaltsdauer. Bei einem Mehrwochenurlaub werden zwei Tage für die autofreie An- und Abreise wohl in Kauf genommen. Stehen nur drei oder fünf Urlaubstage zur Verfügung, dann fallen zwei Tage stark ins Gewicht“, gibt Auer zu bedenken. Dass das oft nur eine Frage der Einstellung ist, davon ist Niederkofler überzeugt: „Der Urlaub lässt sich gut ohne eigenes Auto organisieren. So sind wir wiederholt mit dem Zug nach Süditalien gefahren, auch als unsere Kinder noch klein waren. Die Urlaubstimmung begann immer schon mit der Abfahrt am Bahnhof. Ohne Auto braucht es jedoch die Bereitschaft, sich an Fahrplänen zu orientieren und man muss eine bestimmte Flexibilität mitbringen. Wenn ein Reiseziel mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr umständlich erreichbar ist, nutzen wir in der Familie seit einigen Jahren Carsharing.“
AUTO BEI BEDARF
Statt ein eigenes Auto zu besitzen und dafür jedes Jahr Tausende Euro an Fixkosten aufbringen zu müssen, bietet sich inzwischen auch bei uns die Möglichkeit von „Carsharing“. „Carsharing ist eine alternative Mobilitätsform im Sinne der Verkehrsverlagerung. Darunter versteht man die gemeinschaftliche Nutzung von Automobilen. Beim Carsharing kann ein Auto auch nur stundenweise benutzt werden“, informiert Burger. Seit Herbst 2013 gibt es in Südtirol ein Carsharing. Dafür befinden sich Verleihstationen in verschiedenen Orten im Land. „In Südtirol sind wir noch nicht so flexibel, wie in größeren europäischen Städten. Das Auto muss bei uns dort abgestellt werden, von wo man es geholt hat und es muss auch ein, zwei Tage vorher angefordert werden“, gesteht Burger die noch etwas komplizierte Handhabung. Allerdings, so Carsharing-Nutzerin Niederkofler, empfinde sie die Situation durchaus unproblematisch: „Carsharing funktioniert einfach und reibungslos. Das Auto wird über Internet reserviert und lässt sich mit dem Abo+ öffnen. Die Autos sind neuwertig und vollkaskoversichert. Für die Mitgliedschaft ist ein jährlicher Fixbeitrag von 75 Euro zu zahlen. Dazu kommt ein Mietpreis von ein bis sieben Euro pro Stunde je Autoklasse, bzw. von 30 bis 50 Euro pro Tag, plus eine Verbrauchspauschale von 0,20 Euro je Kilometer. Die Abrechnung wird über E-Mail zugeschickt.“
ALTERNATIVER ANTRIEB
Eine weitere tragende Säule der nachhaltigen Mobilität ist die Verkehrsverbesserung, die durch den Verzicht auf fossile Brennstoffe, wie Erdöl oder Erdgas, erreicht wird. „Die Elektromobilität wird in Zukunft beachtlich an Bedeutung gewinnen. E-Motoren sind umweltfreundlicher, leiser und leistungsfähiger als Benzin- oder Dieselmotoren. Das Problem der Aufladestationen wird mit zunehmendem Bedarf behoben werden. Der hohe Anschaffungspreis wird sich relativieren. Allerdings ist die Nachhaltigkeit nur dann gegeben, wenn der Strom nicht aus fossilen Energiequellen kommt und auf jeden Fall darf E-Mobilität nicht zu einem Anstieg für PKW führen. Die Verkehrsvermeidung steht im Vordergrund“, gibt Burger zu Bedenken. „Preis, Tankmöglichkeiten oder Reichweite lassen sich bei ernsthaftem Willen ändern oder verbessern. Entscheidend für unsere Umwelt ist vielmehr, ob die Elektrizität für den Verkehr durch erneuerbare Energieträger wie Sonne und Wasser oder durch fossile Energieträger und Atomkraft bereitgestellt wird. Und Elektromobilität löst sicher nicht alle Probleme des Autoverkehrs. Denken wir nur an den enormen Flächenbedarf für Straßen und Parkplätze, die Ausbeutung von Bodenschätzen durch die Autoindustrie oder die vielen Verkehrsopfer“, hält Niederkofler die Kritikpunkte fest.
ECHTE LEBENSQUALITÄT
Niederkofler: „In den letzten Jahrzehnten haben Planer und Politiker die Verkehrserschließungen von Stadtteilen vorwiegend aus dem Blickwinkel als Autofahrer wahrgenommen und gestaltet. Verkehr ist aber viel mehr als nur Autoverkehr! Viele sind täglich zu Fuß oder mit dem Rad auf dem Weg. Eine lebenswerte Stadt muss sich vor allem an den umweltfreundlichen Verkehrsformen orientieren. Autofreie Zonen sind daher sehr wichtig, um mehr Lebensraum und Ruhe zu schaffen. In Wohnsiedlungen sollten Fußgänger, Radfahrer und der Citybus Vorrang haben. Damit und nicht durch Autozufahrten direkt vor jede Haustür wird echte Lebensqualität geschaffen.“ (SP)
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