Wenn vom kulturellen Zentrum des Gadertals die Rede ist, ist damit St. Martin in Thurn gemeint. Hier werden nicht nur Sprache und Kultur, sondern auch die verschiedenen Wirtschaftszweige gekonnt gepflegt.
St. Martin in Thurn, ladinisch San Martin de Tor, ist eine der fünf ladinischen Gemeinden des Gadertals und umfasst die Ortschaften St. Martin, Pikolein, Campill und Untermoi. Mit ihren etwa 1.700 Einwohnern erstreckt sich die Gemeinde über ein Gebiet von 76 Quadratkilometer, das von 1.115 Meter hinauf auf 2.875 Meter reicht. St. Martin in Thurn ist nicht nur der Hauptort der Gemeinde, hier befindet sich auch das kulturelle Zentrum des ladinischsprachigen Gadertals. Das Dorf inmitten der einzigartigen Dolomitenlandschaft beherbergt ein wichtiges Wahrzeichen des Gadertals, nämlich die weithin sichtbare mittelalterliche Burganlage Schloss Thurn, ladinisch Ćiastel de Tor. In diesem altehrwürdigen Gebäude ist das Ladinische Landesmuseum, das Museum Ladin „Ćiastel de Tor“, untergebracht. Zudem ist in St. Martin in Thurn auch das ladinische Kulturinstitut „Micurà de Rü“ ansässig. Beide Einrichtungen befassen sich mit dem Studium und der Weitergabe der ladinischen Sprache und Kultur.
Flexible Handwerksbetriebe
St. Martin in Thurn hat eine eigene Handwerkerzone, die sich entlang der Gader ausbreitet und sich zu einem wichtigen wirtschaftlichen Zentrum entwickelt hat. Schließlich ist es laut Bürgermeister Heinrich Videsott das Handwerk, das derzeit den stärksten Wirtschaftszweig der Gemeinde darstellt. „Unsere Handwerker zeichnen sich durch Fleiß und Professionalität aus. Dabei ist zu erwähnen, dass in unserem Gemeindegebiet auch viele Landwirte einer handwerklichen Tätigkeit nachgehen“, erzählt der Bürgermeister. Dennoch: Trotz zahlreicher klein- und mittelgroß strukturierter Handwerksbetriebe hat in den letzten Jahren die Nachfrage nach Gewerbegrund deutlich nachgelassen. „Wohl eine Folge der allgemeinen Wirtschaftssituation“, meint Heinrich Videsott und fügt hinzu: „In St. Martin und Untermoi ist zurzeit noch genügend Gewerbegrund verfügbar, in Campill werden wir uns diesbezüglich in naher Zukunft Gedanken machen müssen.“ Eine weitere interessante Entwicklung, die der Bürgermeister in den vergangenen Jahren in Bezug auf die ansässigen Handwerksbetriebe beobachten konnte, ist jene, dass die Betriebe immer flexibler werden und verhältnismäßig viele Aufträge auch außerhalb des Gadertals bzw. sogar außerhalb Südtirols oder Italiens ausgeführt werden. Um diese bestmöglich zu unterstützen, ist die Gemeindeverwaltung bestrebt, die einheimischen Betriebe im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zu unterstützen und zu fördern. „Ein für die Zukunft sicher wichtiges Projekt ist der Bau der sogenannten `letzten Meile`, um damit allen Betrieben die Möglichkeit einer schnellen Internetverbindung zu ermöglichen“, berichtet der Bürgermeister.
Naturnaher Tourismus
Auch in touristischer Hinsicht kann sich die Gemeinde sehen lassen: Bekannt ist St. Martin in Thurn vor allem seiner sprichwörtlichen Gastfreundschaft und der vorzüglichen ladinischen Küche wegen. Und natürlich ist es auch die wunderschöne Landschaft des Gemeindegebietes, die viele Tagestouristen und Urlauber aus Nah und Fern anlockt. Der markante Hausberg von St. Martin in Thurn ist der bekannte und von vielen Wanderern und Bergsteigern geschätzte Peitlerkofel. Sommers wie winters verhilft er zusammen mit dem gesamten Naturpark Puez-Geisler unzähligen Bergfreunden zu unvergesslichen Naturerlebnissen. Obwohl alles vorhanden ist, das das Urlauberherz höher schlagen lässt, reiht sich St. Martin in Thurn in touristischer Hinsicht immer noch hinter seine unmittelbaren Nachbarn: „Der Tourismus ist natürlich nicht so entwickelt wie in Alta Badia oder St. Vigil in Enneberg, doch man ist sehr bemüht, auch in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen. Diesbezüglich hoffen wir auch, dass sich die zuletzt getätigte Fusionierung der Fremdenverkehrsvereine St. Vigil und St. Martin in Zukunft bewähren wird. In Campill will man in Zukunft vermehrt auf einen naturnahen Tourismus setzen“, so Heinrich Videsott. Besonders bemerkenswert und als Stärke zu erwähnen sei laut Bürgermeister übrigens das gute Preis-Leistungs-Verhältnis im Tourismus.
Landschaftspflege durch Land- und Forstwirtschaft
Am Fuße des 2.875 Meter hohen Peitlerkofles befindet sich Untermoi, die höchstgelegene Ortschaft der Gemeinde St. Martin in Thurn. Das sonnige Bergdorf liegt an der Passstraße, die über das Würzjoch vom Gadertal ins Eisacktal führt. Nicht nur zwei Talschaften treffen am landschaftlich reizvollen Würzjoch aufeinander, hier fließen auch verschiedene Kunstformen, Sprachen und Traditionen ineinander über. An diesem geographischen Schnittpunkt am Fuße des sagenumwobenen Peitlerkofels verschmelzen neben verschiedenen Kulturen durchwegs auch das Gestern mit dem Heute: und zwar dann, wenn einmal jährlich spät abends auf den Sotpüita-Wiesen schaurige Hexen beim traditionellen Hexentanz ihr Unwesen treiben. Besonders im Winter genießt man im Gemeindegebiet von St. Martin in Thurn außerdem die direkte Verbindung zu Südtirols Skiberg Nr. 1, dem Kronplatz, durch die moderne Anlage auf der Südwestseite des „Piz de Plaies“ mit der Talstation in Pikolein. Was die vier schmucken Fraktionen der Gemeinde St. Martin in Thurn verbindet, ist ihre landwirtschaftliche Prägung. Wie im restlichen Gadertal sind auch hier Land- und Forstwirtschaft aufgrund ihrer Funktion als Landschaftspfleger und als Lieferant von typischen regionalen Produkten für Handel, Handwerk, Industrie und Tourismus von großer Bedeutung. Zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe liefern Milch an die Sennereigenossenschaften, einige betreiben Hofkäsereien nach neuestem Standard oder beteiligen sich an der Aufzucht traditioneller Nutztierrassen. „Unsere Bauern sind sehr fleißig, fast alle Wiesenhänge, auch wenn sie sehr steil sind, werden noch gepflegt. Zuletzt hat auch die Forstwirtschaft wieder an Bedeutung gewonnen, da die Holzpreise angestiegen sind. Leider haben wir aber nur wenige Vollerwerbsbauern, da die Höfe in der Regel relativ klein sind.“ Als Boombranche innerhalb der Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahren der Urlaub auf dem Bauernhof entwickelt. Immer mehr Gäste genießen den ruhigen Urlaub inmitten der Natur und eines landwirtschaftlichen Betriebes. Dies kann als ein anschauliches Beispiel für einen gelungenen Brückenschlag zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen gewertet werden. Allerdings gibt es noch eine weitere Tendenz in der Landwirtschaft, die der Bürgermeister in den letzten Jahren beobachten konnte: „Immer weniger Bauern halten noch Milchkühe, es geht eindeutig in Richtung „Großbauern“, die zum Teil auch die Wiesen von ihren Nachbarn bewirtschaften.“
Positive Zukunftsaussichten
Fragt man Bürgermeister Heinrich Videsott nach seiner Einschätzung über St. Martins wirtschaftliche Zukunftsperspektiven, gibt er sich durchwegs optimistisch: „Ich glaube, dass sich alle Wirtschaftszweige positiv entwickeln werden, vorausgesetzt natürlich, dass der derzeitige Unternehmungsgeist und die vorhandene Einsatzbereitschaft weiterhin erhalten bleiben. Die Handwerksbetriebe sind innovationsfreudig und recht gut aufgestellt, der Tourismus basiert zu einem guten Teil auf sehr kleinen Familienbetrieben – beispielsweise beim „Urlaub auf dem Bauernhof“ -, die viel Freude am Umgang mit den
Gästen haben. Und vor allem die Jungbauern zeigen wieder Begeisterung für ihre Arbeit und scheuen kaum Mühen, um ihren Hof weiterhin ordentlich zu bewirtschaften.“ Doch bei aller Zufriedenheit liegt dem Bürgermeister nach wie vor ein wichtiger Wunsch am Herzen: „Insgesamt würde ich mir in allen Bereichen mehr Zusammenarbeit wünschen, um Synergien besser und konsequenter nützen zu können.“ (SH)
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