Sport macht Spaß, ist gesund und wichtig. Gerade in heutigen Zeiten der passiven Fortbewegung gewinnt Sport in der Gesundheitsvorsorge einen immer höheren Stellenwert. Im Pustertal bietet uns die Natur die besten Voraussetzungen, unter freiem Himmel selbst sportlich aktiv zu sein. Von der Lust an Bewegung wird aber zunehmend ein exzessives Hobby, da die laufende Leistungssteigerung süchtig machen kann. Wenn Sport nicht mehr nur Teil des Lebens ist, sondern es bestimmt, sprechen Mediziner von Sportsucht.
„Die Bewältigung unseres alltäglichen Lebens verlangt uns immer weniger Bewegung ab. Das Bedürfnis, sich zu bewegen, ist aber durch unsere Muskeln gegeben. Kommen wir dem Bewegungsdrang nicht nach, folgen Zivilisationskrankheiten, die sich unter dem metabolischen Syndrom zusammenfassen: Fettleibigkeit, erhöhter Blutzuckerspiegel, gestörter Fettstoffwechsel und Bluthochdruck. Dem beugt ein Mindestmaß an Bewegung vor: Drei bis vier Mal die Woche 30 bis 45 Minuten mittelintensive Bewegung. Das macht einen nicht zum Weltmeister, aber man hat gute Chancen bis zu einem Alter von 70 Jahren ohne Beeinträchtigung zu leben. Macht man sträflich nichts, hat man spätestens Anfang 40 mit körperlichen Beeinträchtigungen zu rechnen“, bestätigt Alex Mitterhofer, Facharzt für Sportmedizin, Physikalische Medizin und Rehabilitation. „Die sportliche Betätigung ist für Menschen, aber besonders für junge Menschen sehr wichtig. Das zeigen viele Studien der letzten Jahre. Im Computerzeitalter ist Bewegung keine Selbstverständlichkeit mehr. Darum unterstütze ich alle Eltern, die ihren Kindern viele unterschiedliche Sportarten näherbringen. Wichtig dabei ist aber, dass der Sport Spaß macht“, ist Martin Volgger überzeugt, Sportpsychologe und Präsident des Vereins für Sportpsychologie und Mentaltraining. Ähnlich äußert sich die Lienzer Alpinistin und staatlich geprüfte Berg- und Skiführerin Elisabeth Steurer, die ihr Hobby zum Beruf gemacht hat und seit 2003 hauptberuflich in den Lienzer und Südtiroler Dolomiten tätig ist: „Unsere Gäste reisen oft stundenlang an, um sich in unserer einzigartigen Bergwelt sportlich zu betätigen. Dass in den letzten Jahrzehnten auch bei der einheimischen Bevölkerung ein Umdenken stattgefunden hat, ist sehr zu begrüßen. In sehr vielen Berufen verrichten die Leute heute sitzend eine geistige Arbeit. Die meisten stehen zudem unter starkem Leistungsdruck. Da braucht es auch den körperlichen Ausgleich, um sowohl körperlich als auch geistig gesund zu bleiben. Und wir haben die schönsten Bergen vor der Haustür!“
KNACKPUNKT – REGENERATION
„Die schwierigste Frage in der Sportmedizin ist die nach der richtigen Zeitspanne zwischen den Trainingsreizen. Bei regelmäßiger Bewegung steigt unsere Fitness an. Aber es gibt die Trainingskurve. Man startet von einem gewissen Leistungsniveau. Während des Sports fordert man den Körper. Es ist ein Irrtum zu glauben, der Körper baue Kondition auf während der Belastung. Im Gegenteil. Bewegung powert aus und macht sogar kleine Schäden. Der positive Trainingseffekt erfolgt erst in der Erholungsphase. Erst wenn genügend Zeit zwischen den Trainingseinheiten liegt, kann man seine Kondition steigern. Studien belegen, dass gemütliche Jogger und sogar die sitzende Population bessere Gesundheitswerte aufweisen, als exzessive Amateursportler“, sagt Mitterhofer. Lasse man aber zu viel Zeit zwischen den einzelnen Trainingsphasen vergehen, so der Sportmediziner „dann tritt der Trainingseffekt mit der gewünschten Konditionssteigerung ebenso nicht ein, was bei der intensiven sonntäglichen Wanderung der Fall ist. Werden die Erholungszeiten dagegen nicht respektiert, startet man sogar von einem niederen Leistungsniveau als bei der Ausgangsphase.“ Zu beachten sei auch, dass ein hoher Stresshormonspiegel, etwa bei alltäglichen Problemen, wie Arbeit, Partnerschaft, Hausbau, die Regeneration hemme, genauso wie Alkohol, unausgewogenes Essen und Feierkultur.
GEWÖHNLICH – EXTRA – EXTREM
Heute geht man nicht mehr zum Joggen, man trainiert für den Marathon, für einen Berg- und Extremberglauf. Man geht zum Eisklettern und Freeclimbing. Man ist beim Freestyle Mountainbike dabei und beim Freeriden. „Die Namen der Sportarten sind trendiger, aber im Prinzip hat es vieles auch früher gegeben, man hat es nur anders benannt. Auch finde ich es normal, dass sich neue Sachen wie etwa Base-Jumping entwickeln. Das Ausreizen potentieller Gefahrensituationen ist einfach menschlich, aber auch das ist nicht neu. Neu ist allerdings, dass sich immer mehr Menschen, motiviert durch die gewaltige Flut an geposteten Bildern in den sozialen Medien, in den sogenannten Risikosportarten versuchen, darunter auch zunehmend Ungeübtere. Jeder will sich ständig in besonderen Situationen posten. Da wird Druck ausgeübt. Unser Bedürfnis nach Selbstdarstellung hat sich durch die sozialen Netzwerke verändert hin zu einer manchmal schon krankhaften Anerkennungsneurose. Ständig muss alles gepostet, gelikt und geteilt werden. Unfassbar! Die von Kennern ausgeübten Extremsportarten kommen auf den Bildern locker flockig daher, aber dahinter steckt viel Know-how, und das wird gerne unterschätzt“, weiß Steurer. „Immer dann, wenn der Sport nicht seiner selbst willen ausgeführt wird, kann der Schuss nach hinten losgehen. Wir sind alle Gesellschaftszwängen ausgesetzt und niemand kann sich davon ganz befreien. Aber auch hier gilt die Regel, die Dosis macht das Gift. Kritisch wird es, wenn man nicht mehr anders kann, als zu schinden oder Limits zu überschreiten, die lebensgefährlich sind“, führt Volgger an und verweist auf „Kraft- und Ausdauersportler, die laut Studien mehr von einer Sportsucht betroffen sind. Nach meinen Erfahrungen betrifft es aber auch Risikosportarten. Es handelt sich um kleinere, eingeschworene Gruppen von Sportlern, die unglaublich viel in ihre Leidenschaft investieren und dabei in Gefahr geraten, die Grenzen zur Sucht zu überschreiten.“
VOM DRANG ZUM ZWANG ZUR SUCHT
„Körperliche Betätigung setzt Hormone frei, die unser Wohlbefinden nachhaltig beeinflussen. Die drei wichtigsten sind: Dopamin, Endorphine und Serotonin. Sie alle tragen dazu bei, dass wir uns glücklicher fühlen, weniger Schmerzen und mehr Ruhe und Harmonie empfinden können“, beschreibt Volgger. „Die Ausschwemmung von Hormonen, die den Körper puschen und ein Glücksgefühl auslösen, war früher nötig, um den Körper bei Gefahr zu Höchstleistungen anzutreiben, heute ist es oft Selbstzweck und hat dann Suchtcharakter. Wenn die Sportausübung zum Lebensinhalt wird, spricht man von Sportsucht. Wer Sport ausübt, dem wird heute Bewunderung entgegengebracht, deshalb kann man diese nicht stoffgebundene Sucht auch recht lange ungeniert ausüben“, so Mitterhofer. „Sport ist ein hoch akzeptiertes gesellschaftliches Feld menschlichen Verhaltens. Wer seinen Körperkult in Fitnessstudios zelebriert oder einfach unglaubliche sportliche Leistungen erbringt, ist akzeptiert. Dies begründet zum einen das Suchtpotential bei sportlicher Betätigung, zum anderen bewirken Hormonausschüttungen befriedigende Glückszustände. So suchen bestimmte Sportler immer wieder gefährliche Situationen auf, um einen Adrenalinkick zu bekommen“, konstatiert Volgger. Für diese Tendenz, immer mehr zu riskieren, immer extremer sein zu wollen, um „gesehen“ zu werden, macht Steurer auch die Medien und die sozialen Netzwerke verantwortlich: „Wenige haben sich im Griff und versuchen, auch als gesponserte Extremsportler das Risiko zu minimieren, aber einige riskieren sicher mehr als ohne Kamera, die sie dabei filmt.“ Auffallend findet Mitterhofer, dass „gerade bei den Extremsportlern viele sind, die beruflich kaum Höhenflüge zu erwarten haben. Da schafft Sport oft die Möglichkeit der Anerkennung. Kommt man beim Wettkampf aufs Siegerpodest, hat man sogar die Aufmerksamkeit der Medien. Mit Sport kann man in unserem Land relativ groß rauskommen.“
DÜNN UND JUNG DURCH SPORT?
„Sport ist kein Instrument zur Gewichtsreduktion. Die Bewegung braucht es, um den Körper funktionstüchtig zu halten. Bei allen ästhetischen und Ausdauersportarten ist es von Vorteil, wenn man wenig wiegt. Die Athleten versuchen das Gewicht zu drosseln, bis in Bereiche, wo es nicht mehr gesund ist. Das versteht man unter einer Sportanorexie. Sportbulimiker sind dagegen Leute, die häufig vor ihrer Sportausübung an einer Ess-Brech-Sucht erkrankt sind, und nun die elegantere Variante wählen, bei der nach einer Essattacke nicht das Erbrechen folgt, sondern die exzessive Sportausübung“, expliziert Mitterhofer. Auch sei vom Sport keine Garantie für ewige Jugend zu erwarten, führt Mitterhofer an: „Unser Körper altert nach einer inneren Uhr. Die Leute haben heute an den Sport eine zu hohe Erwartungshaltung. Nichterfüllung deprimiert. Will man sich zum durchgestylten Fitnesskörper nach dem Vorbild von Models in Hochglanzmagazinen hochsporteln, begibt man sich in Bereiche, die nicht mehr gesund sind. Dann braucht es einen Trainingsplan und man muss viel arbeiten. Solange das mit Freude passiert, ist es nicht zu verurteilen. Nicht mehr in Ordnung ist, wenn es zur Obsession wird, zum Zwang.“
DIE KEHRSEITE DER MEDAILLE
„Im Amateursport gibt es keine Medikamenten- oder Dopingkontrollen. Nahrungsergänzungsmittel nehmen die meisten, da ist es oft ein kleiner Schritt zu leistungsfördernden Substanzen. Ich würde auch schon präventiv eingenommene Entzündungshämmer als Doping bezeichnen, da man damit die natürliche Grenze, unser Schmerzempfinden, unterdrückt, um leistungsfähiger zu sein. Der Griff zu Doping- und Hormonpräparaten ist verlockend, da Erfolge schnell spürbar sind, und das wiederum macht es schwierig, darauf zu verzichten“, weiß Mitterhofer, aber „unser Körper ist nicht unendlich auspowerbar. Übertreibt man, beginnt es meist mit kleinen Wehwehchen am Bewegungsapparat, die der Patient vom Arzt behoben haben möchte. Die Beschwerden häufen sich aber und werden mehr, sodass die Sucht für den Arzt erkennbar wird. Doch selten folgt einem klärenden Gespräch die Einsicht. Leichter werden Arzt und Therapeut gewechselt.“ „Eine Studie der Deutschen Sporthilfe hat schockierende Zustände im deutschen Spitzensport zu Tage gefördert. 5,9 Prozent der Spitzensportler gaben an, sich regelmäßig zu dopen, wobei 40,7 Prozent keine Antwort gaben. Ein Drittel aller deutschen Spitzensportler hat angegeben, an einer depressiven Erkrankung, an Burnout oder an einer Essstörung zu leiden. 88,6 Prozent der Befragten gaben an, unter hohem Erfolgsdruck zu stehen. 40,5 Prozent der Befragten gaben an, gesundheitliche Risiken für den sportlichen Erfolg bewusst in Kauf zu nehmen. Man kann also durchaus sagen, dass der Spitzensport nicht ‚gesund‘ ist. Der Großteil der Amateursportler ist sicher ‚gesund‘ unterwegs, es gibt aber auch hier Athleten/innen, die gesundheitliche Gefahren billigend in Kauf nehmen. Ausdauer- und Risikosportarten sind häufiger betroffen. Um Fehlentwicklungen zu vermeiden, ist eine gute psychologische Ausbildung von Trainern unerlässlich. Gerade im Jugendbereich brauchen wir Trainer, welche den Spaß an der Bewegung vermitteln und nicht den Erfolg um jeden Preis“, betont Volgger.
DIE SCHÖNSTE NEBENSACHE DER WELT
„Es gibt psychologische Beweggründe für den hohen Stellenwert des Sports. Einmal das Leistungsmotiv, das uns in die Wiege gelegt ist. Menschen wollen sich messen, mit anderen, aber auch mit sich selber. So suchen wir unsere Grenzen und wollen sie auch überschreiten. Im Sport kommen wir mit anderen Menschen zusammen. Die Bewegung führt zu einer psychologischen Entspannung, Körper und Geist sind noch mehr eins, Freude und Spaß sind wichtige Begleiterscheinungen“, so Volgger, „sportliche Betätigung führt zu körperlicher Fitness, ein muskulöser, austrainierter Körper und besondere sportliche Leistungen sind in der gesellschaftlichen Anerkennung ganz oben angesiedelt, sportliche Idole werden vergöttert. Sport ist wichtig und gesund, aber manche Entwicklungen müssen dennoch hinterfragt werden.“ (SP)
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