Eine schwere Krankheit oder ein Unfall können das Leben eines jeden von uns schlagartig verändern. Viele Beeinträchtigungen im fortgeschritteneren Alter haben ebenfalls zur Folge, dass man nicht mehr entscheidungsfähig ist. Will man auch bei eigener Entscheidungsunfähigkeit bestimmen, was medizinisch unternommen werden soll, braucht man eine Patientenverfügung. Es ist wichtig, sich noch in gesunden Tagen mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt, weil das Sterben eben auch Teil unseres Lebens ist.
„Die moderne Medizin hat in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gemacht, die bis dahin teilweise unvorstellbar waren. Oft gelingt es, das Leben selbst bei schwersten Erkrankungen zu erhalten. Solche Fortschritte kennen aber auch Schattenseiten: Häufig bewirken lebensverlängernde Maßnahmen nur eine Verlängerung des Leidens und des Sterbens, sodass die Frage berechtigt ist, ob das medizinisch Mögliche wirklich immer im Interesse des Patienten liegt. Viele Menschen befürchten, in einen Zustand der Fremdbestimmung und Entmündigung zu geraten. Mancher frägt sich daher zu Recht, ob er für Situationen, in denen er bewusstlos ist oder keine selbständige Entscheidung mehr treffen kann, ausreichend vorgesorgt hat“, weiß Rechtsanwalt a. D. Friedrich Mair. „Seit vielen Jahren arbeiten wir bereits eng mit dem Landesethikkomitee zusammen, um mit der Patientenverfügung (PV) einen Vorsorgeplan zu schaffen. Wir wollen den Menschen ein Instrument in die Hand geben, das es ihnen erleichtert, sich gedanklich auf die Situation einzulassen: Was wäre, wenn ich aufgrund eines Unfalls oder einer Erkrankung nicht mehr entscheidungsfähig bin“, erklärt der Leiter der Caritas Hospizbewegung und Mitarbeiter beim Thema PV im Landesethikkomitee, Günther Rederlechner, und fügt hinzu: „Die PV ist für uns aber auch ein Instrument, um sich grundsätzlich mit dem Ableben zu beschäftigen. Sie ist deshalb auch ein Kommunikationsinstrument für sich selbst und für die Angehörigen.“ „Sich zur Abfassung einer PV zu entschließen, zeugt von einer Kohärenz im Umgang mit den Themen des Lebens. Sterben ist Teil unseres Lebens und gehört zum Leben dazu. Das antizipatorische Denken gehört mit zu unseren reifsten Strategien. Dies ist der Fall, wenn man sich damit auseinandersetzt, was passieren soll, wenn man aufgrund von Krankheit oder durch einen Unfall selbst nicht mehr handlungsfähig ist“, betont Psychologe Anton Huber. „Das Thema des eigenen Ablebens wird nach wie vor in unserer Gesellschaft tabuisiert. Aber die Abfassung einer PV ist sehr sinnvoll, nicht nur für Leute im fortgeschrittenen Alter, sondern für jeden ab seiner Volljährigkeit. Viele verunglücken bereits in jungen Jahren oder werden von einer lebensbedrohlichen Krankheit heimgesucht. Die aufgeklärte Einwilligung, der sogenannte ‚Informed consent‘, des Patienten ist für jeden medizinischen Eingriff, für jede Therapie vom Gesetz vorgesehen. In den letzten 30, 40 Jahren hat die Medizin gewaltige Fortschritte gemacht, z. B. bei der künstlichen Beatmung oder den Organtransplantationen. Sind wir noch in der Lage, selbst zu entscheiden, können wir eine Behandlung ablehnen, aber der Fortschritt betrifft auch jene Patienten, die selbst nicht mehr entscheiden können. Um für dergleichen Situationen gerüstet zu sein, sollte eine PV in gesunden Tagen verfasst werden, um festzulegen, welchen therapeutischen und medizinischen Maßnahmen ich zustimme“, weiß Hartmann Aichner, Primar der Gynäkologie a. D, der im Mai 2016 südtirolweit die erste Selbsthilfegruppe für Männer nach einer Prostataerkrankung gegründet hat. Demzufolge war der Seniorengemeinderat Bruneck an ihn herangetreten mit der Bitte, der Bevölkerung das Thema PV näherzubringen. Dieser Bitte kam Aichner mit Vorträgen nach. Genauso wie Mair, der in seinen Vorträgen zur PV den rechtlichen Teil deckt.
WAS IST EINE PATIENTENVERFÜGUNG
„Mit einer PV wird festgelegt, ob und welche Behandlungsmaßnahmen ein Arzt vornehmen darf. Sie wird für den Fall verfasst, dass der Patient sich aller Wahrscheinlichkeit nach in einem unabwendbaren Sterbeprozess befindet und nicht mehr selbständig Verfügungen treffen kann. In der Regel besteht eine PV in der Untersagung einer Behandlung“, expliziert Mair. „In der PV kann festgelegt werden, dass ich nicht mehr alles möchte, was möglich wäre, um mich am Leben zu erhalten, so wie es gegenwärtig vom Gesetz vorgeschrieben ist. Möchte ich, wenn ich mich in einem Zustand befinden, in dem ich nicht mehr entscheiden kann und keine Besserung in Aussicht ist, dass mir bei hinzukommenden Komplikationen noch Antibiotika verabreicht, noch Operationen oder eine Wiederbelebung an mir vorgenommen werden? Genauso kann aber auch festgelegt werden, dass alles gemacht werden soll, was möglich ist“, verdeutlicht Aichner. Allerdings, so Mair, sei eine ausführliche ärztliche Aufklärung für eine gültige PV unumgänglich: „Ohne vorherige ärztliche Aufklärung ist eine PV ungültig, weil sich der Patient über die Folgen seiner Verfügung nicht im Klaren ist oder es nicht sein könnte.“
GESETZLICHE REGELUNG
„In Italien gibt es bis heute kein Gesetz zur PV. Wohl aber gibt es einen Gesetzentwurf, der im April 2017 abschließend von der Abgeordnetenkammer behandelt und an den Senat zur Behandlung weitergeleitet wurde. Die Erstellung einer PV ist dennoch möglich. Die fehlende gesetzliche Grundlage führt jedoch dazu, dass erhebliche Unsicherheiten zu den Inhalten und Formen der PV bestehen. Auch gibt es große Unsicherheiten darüber, wo die einmal erstellte PV hinterlegt werden soll: Beim Hausarzt? Beim Standesamt? Beim Notar? Privat zuhause? Angesichts dieser Unsicherheiten empfiehlt es sich, den Empfehlungen zu folgen, die beispielsweise vom Landesethikkomitee in der sehr informativen Broschüren über die PV ausgesprochen worden sind“, rät Mair. „In dieser Broschüre zur PV haben wir versucht, den Menschen eine unkomplizierte Hilfestellung zu geben. Einer detaillierten Beschreibung der PV folgt ein schlichter Fragebogen zu den medizinischen Behandlungen, die man am Lebensende bei Entscheidungsunfähigkeit wünscht. Weil aber weit mehr Dinge als nur die medizinische Intervention am Lebensende zu regeln sind, haben wir von der Hospizbewegung die Mappe ‚Meins für euch‘ zusammengestellt. Für uns hat die PV mehrere Aspekte: Der persönliche Wille, die Kommunikation mit den Angehörigen und die Auseinandersetzung mit dem Lebensende überhaupt. Was ist für mich ein würdevolles Sterben? Was brauche ich, damit ich gut leben kann bis zum Schluss? Die soziale Komponente: Wen möchte ich an meiner Seite haben? Wichtig ist auch, eine Vertrauensperson zu benennen. Und der psychologische und spirituelle Aspekt sind zu bedenken“, so Rederlechner. „Die Themen in der PV sind sehr intime Themen. Wir müssen uns vom Sterbenden lösen, aber der Sterbende muss sich von allem lösen. Ist man verbittert und hat nie gelernt, sich zu öffnen, anderen Menschen zu vertrauen, ist das eine sehr schwierige Situation, man sollte aber dennoch versuchen, damit konstruktiv umzugehen, das ist auch erleichternd für die Familie“, rät Huber.
HILFE FÜR DIE ANGEHÖRIGEN
„Ist mein Wunsch nicht bekannt – weil eine PV fehlt – kann dieser in der Terminalphase bei Entscheidungsunfähigkeit nicht berücksichtigt werden. Jede medizinische Intervention verlangt aber die Zustimmung des Patienten, ist dieser dazu nicht mehr in der Lage, ziehen Ärzte, auch wenn die endgültige Entscheidung immer beim Arzt liegt, für gewöhnlich die Angehörigen zu Rate. Diese sind häufig mit dieser Aufgabe überfordert. Abschied ist immer ein besonderes Problem, deshalb ist es auch so wichtig, dass die PV in gesunden Tagen mit den Angehörigen besprochen wird. Wenn diese den Willen des Sterbenden kennen, kann das auch heilsam sein für die Trauerarbeit“, ist Rederlechner überzeugt. „Immer wieder gibt es Fälle, wo bei einem plötzlichen Todesfall zu Tage tritt, dass in der Familie überhaupt nichts zum Thema Tod und Sterben besprochen wurde. Oder viele der Angehörigen sagen mir, sie wollten nicht mit dem 80-jährigen Papa über sein Ableben sprechen, da bekäme er nur noch mehr Angst vor dem Sterben. In Wirklichkeit hat der 80-Jährige schon längst über alles nachgedacht und wendet sich an mich mit der Verwunderung, dass er nie mit jemandem über den Tod sprechen könne. Über die eigene Vergänglichkeit nachzudenken ist durchaus ein gesundes Verhalten“, weiß Huber.
TOD IST ANGSTBESETZT
„Der Tod wird aus unserem Leben heute ausgeklammert, er ist angstbesetzt. In unserer heutigen Gesellschaft brauchen wir Instrumente wie die PV, um über das Sterben zu sprechen. Das ist für mich ein Armutszeugnis der heutigen Zeit. Tod war stets integraler Bestandteil des Lebens. Der Sterbeprozess wurde meist in den Familien persönlich miterlebt. Auch war der Sterbeprozess meist kürzer. Heute mit den medizinischen Mitteln kann sich eine Pflegebedürftigkeit, in die wir auch in einer frühen Lebensphase kommen können, über Monate und Jahre erstrecken“, bemerkt Rederlechner, gerade deshalb sei es wichtig, „sich innerhalb der Familie über die eigenen Wünsche am Lebensende auszutauschen. Wir haben in der Hospizbewegung auch Anfragen, weil der Kranke nicht über sein Sterben sprechen will. Hier sollte man sich auch selbst fragen, für wen es ein Bedürfnis ist, über das Sterben zu reden. Schwerkranke Menschen sollten nicht zum Reden über ihr Sterben gezwungen werden. In solchen Fällen braucht es Rahmenbedingungen, in denen pflegende Angehörige über das Thema reden können.“ „Der Trauerprozess beginnt bei einer todbringenden Krankheit eigentlich schon bei der Diagnose. Viele machen bereits in dieser Phase eine PV. Dabei ist es relevant, dass sie eine gute Beratung haben und die Möglichkeit, mit jemandem zu reden. Da spielen die Hausärzte eine große Rolle und natürlich die Menschen im eigenen näheren Umfeld. Die relevante Information ist das Wichtigste! Die PV ist auch eine Chance wichtige Lebensthemen zu vertiefen“, betont Huber.
PATIENTENVERFÜGUNG ALS CHANCE
„Dank des enormen Fortschritts in der Medizin kommt es heute immer häufiger dazu, dass Menschen länger am Leben erhalten werden können, auch wenn sie nicht mehr bei Bewusstsein sind. Diese Tatsache machte die Diskussion über die PV überhaupt erst nötig. Aber solange ich noch entscheidungsfähig bin, gilt mein dann geäußerter Wille, unabhängig davon, was ich vorher in der PV festgelegt habe“, so Aichner. „Wichtig erscheint die Ernennung einer Vertrauensperson, des sogenannten Vertreters. Diese Verfügung sollte in keiner PV fehlen, da der Patient jemanden braucht, der in Zusammenarbeit mit dem Arzt die anstehenden Entscheidungen treffen kann. Auch ist der Widerruf und die Neuformulierung der PV jederzeit möglich. Die PV kommt ausschließlich in absoluten Grenzsituationen wie zum Beispiel der Verlängerung des wahrscheinlichen Sterbeprozesses oder des irreversiblen Hirnabbauprozesses zur Anwendung. Es geht nun darum, im Voraus Festlegungen für solche irreversible Situationen zu treffen und zu bestimmen, ob zum Beispiel dann künstliche Beatmung, künstliche Ernährung, künstliche Flüssigkeitsversorgung oder chirurgische Noteingriffe gewünscht werden oder nicht“, unterstreicht Mair. „Die PV ist rechtlich (noch) nicht bindend“, so Huber, vielmehr sei die PV „eine Entscheidungshilfe, die ich aus ethischen Gründen aber als bindend empfinde, etwa bei einem Komapatienten sollte man sich an die Inhalte seiner PV halten. Das ist der letzte Wille, der hier festgehalten wurde, und das ist auch eine große Entscheidungshilfe für die Angehörigen.“ (SP)
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