Die Wirtschaft in Sexten
12. September 2017
Paul Masoni aus Sand in Taufers
12. September 2017
Alle anzeigen

Bruneck – die Schulstadt

Teil II – Die Lateinschule und die „deutsche Schule“ vor der Schulreform Maria Theresias

 

Wenn die Philosophen der Aufklärung die Menschen aufforderten, sich des Verstandes zu bedienen, um das Leben positiv zu gestalten, musste der Schulung des Denkens ein neues, größeres Gewicht gegeben werden. Daher lag es nahe, nicht nur die sozial höher Gestellten und die angehenden Geistlichen und Gelehrten in die Schule zu schicken, sondern alle Menschen gleich welcher Herkunft. Dem trug die „Allgemeine Schulordnung“ vom 6. Dezember 1774 Rechnung, mit der Kaiserin Maria Theresia das Unterrichtswesen in den österreichischen Erblanden neu gestalten und die Schulpflicht einführen wollte. Die neue Schulordnung sah drei Arten von Elementarschulen vor

in den Provinzhauptstädten eine „Normalschule“ zur Lehrerausbildung
in größeren Städten eine „Hauptschule“ und
in allen Orten mit Pfarrkirche die „gemeine deutsche oder Trivialschule“.

In den Trivialschulen, den späteren Volksschulen, wurde nur Religion, Schreiben, Lesen und Rechnen (mit Beschränkung auf die vier Grundoperationen) unterrichtet. Die tägliche Unterrichtszeit dauerte von 8 bis 11 und von 14 bis 16 Uhr. Obwohl die Schulordnung von Schulpflicht spricht, war die Wirklichkeit in den ersten Jahrzehnten nach Inkrafttreten der Reform davon weit entfernt. Es war schwierig, die Eltern von den Vorteilen der in der Schule vermittelten Bildung zu überzeugen. Zunächst ging nicht einmal die Hälfte der Sechs- bis Zwölfjährigen – es waren sechs Pflichtschuljahre vorgesehen – in die Schule, obwohl man bei der Einteilung des Schuljahres auf die Bedürfnisse der vorwiegend agrarisch geprägten Gesellschaft Rücksicht nahm. So wurde der Schulbeginn im Herbst nach der Ernte angesetzt. Größere Schüler hatten zudem die Möglichkeit, nur die Winterschule zu besuchen und sich von der Sommerschule (Monate Mai und Oktober) befreien zu lassen, um daheim mitarbeiten zu können. Außerdem durften die Sechs- bis Achtjährigen im Winter dem Unterricht fernbleiben, weil ihnen die meist schlechten und weiten Schulwege nicht zuzumuten waren.
Eine die Trivialschule ergänzende Schulart war die Wiederholungs- oder Sonntagsschule. Die „Allgemeine Schulordnung“ sah den verpflichtenden Schulbesuch der Jugendlichen bis zum 20. Lebensjahr vor (zwei Stunden an jedem Sonntag). Die „Politische Schulverfassung“, das im Jahre 1805 verabschiedete Schulgesetz, brachte diesbezüglich eine etwas mildere Variante. Es waren zwar weiterhin zwei Stunden am Sonntag zur Wiederholung des Elementarwissens vorgesehen, aber nur mehr zwei Jahre lang. Außerdem sollte dieser Unterricht der Berufsvorbereitung dienen. Weder Lehrer noch Schüler waren von dieser Schule begeistert, die Lehrer vor allem deswegen nicht, weil sie diesen Unterricht gratis erteilen mussten. Auf dem Lande hatte diese Schule nur geringe Erfolge. In der Stadt versuchte man ihr eine bestimmte Bedeutung dadurch zu geben, dass die Handwerksmeister den Abschluss einer Lehre nur dann bestätigten, wenn das Zeugnis über den Besuch der Wiederholungsschule vorlag.

DIE KNABENSCHULE
In Bruneck stieß die Maria-Theresianische Schulreform bereits auf zwei schulische Strukturen, auf die Lateinschule und auf die deutsche Schule. Da Bruneck eine bischöflich-brixnerische Stadt war und somit auch in weltlichen Dingen dem Bischof unterstand, änderte sich durch diese staatlicherseits verordnete Reform auf dem Schulsektor nicht allzu viel, wie ein Dekret des Bischofs Joseph von Spaur vom 17. August 1786 zur Bestellung eines Lehrers der ersten Klasse der Brunecker Normalschule belegt. Auf Vorschlag des Schuldirektors und Priesters Jakob Pircher wurde dem aus Pfalzen gebürtigen Jakob Mayr diese Stelle verliehen, er sollte den Dienst zu Beginn der Winterschule antreten. Die Kost wurde ihm im Spital „auf dem Herrentisch […] ohne ordinari Tischwein“ zugesichert, außerdem als Salär jährlich 20 Gulden aus der Schulkassa. Um ein anständiges Quartier musste er sich selber kümmern. Da scheint eine Situation durch, die älter ist als die Schulordnung von 1774. So ist auch der Begriff Normalschule nicht im Sinne der Reform gebraucht, sondern meint wahrscheinlich die alte zweiklassige deutsche Schule im Cordonhaus am Ragentor, dem späteren Unterrainerhaus. Schuldirektor war nach wie vor ein Priester, obwohl die Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses auf die Schule eine der Haupttriebfedern der Maria-Theresianischen Schulreform war. Diesbezüglich gab es aber schon in der „Politischen Schulverfassung“ von 1805 einen Rückzug auf der ganzen Linie. Kaiser Franz I. war überzeugt, die Schulreform den Bedürfnissen der Zeit anpassen zu müssen und übertrug die pädagogisch-didaktische Aufsicht über die Schule (wieder) der Amtskirche. Daraus ergab sich eine verstärkte religiöse Erziehung. Der Jugend sollten strenge sittliche Normen und Respekt gegenüber der Obrigkeit eingeprägt werden. Irgendwie wirkte in den herrschenden Machtzirkeln die Französische Revolution von 1789 nach und schürte die Angst vor der Wiederholung gerade erst überlebter Rache der Untertanen. Der loyale Untertan war damals das pädagogische Wunschziel der Herrscher. Wenn es in der Zeit des Vormärz den Anschein hatte, als käme man diesem Ziel näher, lag das wohl mehr am Metternich´schen System mit seiner Geheimpolizei als an der Effizienz der Trivial- und anderen Schulen.
Im Jahre 1804, ein Jahr nach der Säkularisierung der geistlichen Fürstentümer, gab es in Bruneck zwei Schullehrer, den Schulmeister Johann Stifler und den Schulgehilfen Alois Bachlechner, die den Unterricht „gemeinschäftlich“ besorgten. Bachlechner ersuchte damals den Stadtrat, die „Jungfrau“ Katharina Prunnerin, die über ein Vermögen von 2000 Gulden verfügte, heiraten zu dürfen und in Zukunft sein Gehalt, das er bis dahin in Naturalien bezogen hatte, in Geld zu bekommen. Im Jahre 1809, zu einer Zeit, als Tirol unter bayrischer Verwaltung war, ist in einem Schreiben davon die Rede, dass die Bezüge des Schullehrers und seines Gehilfen aus dem Rentenüberschusse des Stadtspitals zu bezahlen seien. Es ging um 200 Gulden Lehrer- (für Johann Stifler) und um 138 Gulden Gehilfensold (für Alois Bachlechner). Das war kein hohes Gehalt, lag aber etwas über dem, was damals für Lehrer in Tirol sonst gezahlt wurde. Das hing wohl damit zusammen, dass die in den Städten gezahlten Lehrergehälter vor dem Ersten Weltkrieg in Österreich generell höher waren als in den Landgemeinden. Sie lagen in den Jahren 1805 bis 1869 meist zwischen 130 und 150 Gulden, die der Gehilfen bei 126 Gulden. Die Gehälter wurden von den Gemeinden bezahlt, die nur über äußerst beschränkte Mittel verfügten. Vom Staat kam nur ein ganz bescheidener Anteil, die sogenannte „Remuneration“ in Höhe von 12 bis 40 Gulden pro Lehrer. Die Gemeinden empfanden die Schule als große finanzielle Belastung und hielten die Lehrer finanziell an einer derart kurzen Leine, dass ein Lehrer, der Familie hatte, ohne einen zusätzlichen Beruf, wie Mesner, Organist, Chorleiter oder Bauer, kaum überleben konnte.
Zu beachten ist, dass die Stadtgemeinde Bruneck sich viel Geld dadurch ersparte, dass die Mädchen nicht in die städtische Trivialschule gingen, sondern in die Mädchen-Volksschule der Ursulinen. Die Beiträge, welche von Seiten der Stadtgemeinde in schulunterstützender Absicht an das Ursulinenkloster flossen, waren durchaus bescheiden. Lange beschränkten sie sich auf gut 50 Gulden, die für bedürftige Schülerinnen gedacht waren. Dazu kamen meist 13 ½ Gulden für die Heizung der Schulräume pro Jahr und etwa 20 Gulden als sogenanntes „Ganggeld“ für die Kapuziner, die in der Ursulinenkirche die Schulmesse lasen.
Schon die äußeren Bedingungen, unter denen Lehrer und Schüler in den Trivialschulen arbeiten mussten, waren nicht danach, dass viel Ersprießliches für die zu Erziehenden herausschauen konnte. In den zwei Klassen drängten sich jeweils bis zu 80 Schüler. Bücher und Lehrmittel waren entweder knapp oder gar nicht vorhanden. So beschränkte sich der Unterricht auf das Aufsagen von auswendig gelernten Gebeten, auf das Singen von Kirchenliedern und das Einüben des Katechismus. Dieses Buch diente auch als Vorlage für das Schreiben und Lesen, oft war kein anderes Buch vorhanden. Der Überhang an religiöser Erziehung war eine Folge der starken Position der Kirche in der Schule, und die wiederum war auch bedingt durch die mangelhafte Bereitschaft der Gemeinden, des Landes und des Staates, die Schule finanziell so auszustatten, dass die Schüler wirklich für das Leben lernten. Unter dem Eindruck von politischen Ereignissen, die den Herrschenden eine Ahnung davon vermittelten, dass der Geduldsfaden der Untertanen zwar dehnbar war, aber nicht für alle Ewigkeit reißfest, veränderten sich die Erziehungsziele der Schule. So war nach dem Revolutionsjahr von 1848 plötzlich der gute Staatsbürger gefragt. Auch die Niederlage von 1866 bei Königgrätz gegen Preußen hatte innenpolitische Folgen, die sich dann wieder auf die Schule niederschlugen. Ein Kärntner Landtagsabgeordneter stellte damals folgenden Zusammenhang her zwischen der maroden Schulsituation und der militärischen Niederlage: Man habe die Schulbildung vernachlässigt und die Niederlage sei eine Folge davon, da es deswegen „unserem Militär an Intelligenz fehle“. Und dann schlug er vor, in Zukunft beim Militär zu sparen und mit dem Erspartem dem Schulwesen auf die Beine zu helfen.