MÄNNERMANGEL IN ERZIEHUNGSBERUFEN
Unsere Kindergärten und Schulen sind fest in weiblicher Hand. Die Zahlen des deutschen Schulamtes belegen einen akuten Männermangel: Von den 1.363 unbefristeten Stellen in Südtirols Kindergärten wird keine einzige von einem Mann besetzt. In den staatlichen Grundschulen sind von den 2.700 Lehrpersonen mit unbefristetem Arbeitsvertag gerade mal 6,3 Prozent Männer. Und in den staatlichen Mittel- und Oberschulen kommen auf 2.608 unbefristete Stellen 30,9 Prozent Lehrer. Kinder brauchen für die Entwicklung ihrer Identität aber beides: Weibliche und männliche Identifikationsfiguren und Vorbilder.
„Männer und Frauen haben unterschiedliche Stärken, Potentiale und Kompetenzen, sowie auch verschiedenartige Schwächen, die für die Kinder zu erleben alle wichtig sind. Die Lebenswelten von Kindern sind im großen Ausmaß von Frauen bestimmt. So, wie bei den Mädchen und Jungen Vielfalt ein großer Mehrwert ist, finde ich Vielfalt ebenso bei den pädagogischen Fachkräften als eine große Bereicherung. Es muss bewusst werden, dass eine ausgewogene Geschlechterverteilung eine Bereicherung für Kindergärten und Schulen ist, dass das Zusammenwirken von Frauen und Männern als Gewinn für die Bildungsarbeit gesehen werden kann“, ist Sigrid Hasler, Direktorin des Kindergartensprengels Bruneck, überzeugt und bestätigt gleichzeitig die starke weibliche Dominanz an Fachkräften in ihrem Kindergartensprengel, dem 40 Kindergärten in 16 Pustertaler Gemeinden unterstellt sind: „In unseren 40 Bildungsorten arbeiten 194 Kindergärtnerinnen, 113 pädagogische Mitarbeiterinnen, fünf Mitarbeiterinnen für Integration und ein Kindergärtner. Dieser eine Mann arbeitet in der Funktion eines sogenannten Springers. Springer/innen vertreten Pädagoginnen bei deren Abwesenheiten in den Kindergärten vor Ort. So wird dieser Kindergärtner nicht nur in einem Kindergarten verweilen, sondern mehrere Mädchen und Jungen kennenlernen und als männliche Identifikationsfigur fungieren.“ Für Matthias Seeber, Jahrgang 1986, ist es nicht der erste Arbeitsplatz als Kindergärtner, da er aber nicht in Brixen seinen Abschluss gemacht hat, bleibt ihm eine Fixanstellung in Südtirol verwehrt: „Sofort nach meinem Bachelor-Abschluss in Erziehungswissenschaften an der Uni Innsbruck 2015 wurde mir eine Supplenzstelle im Kindergarten angeboten und seitdem arbeite ich ohne Unterbrechung als Kindergärtner im befristeten Arbeitsverhältnis. Nach einem schönen Jahr im Kindergarten von Mitterolang bin ich für das Kindergartenjahr 2017/18 als Springer vorerst im Kindergarten von St. Georgen stationiert. Für diesen Beruf habe ich mich entschieden, weil mir die Arbeit mit Kindern Freude bereitet. Das wurde mir 2012 bei einem freiwilligen Praktikum im Kindergarten bewusst. Dort habe ich Erfahrungen gemacht, die mich darin bestärkten, mit Kindern zu arbeiten. Drüber hinaus gefällt mir, dass im Kindergarten Lerninhalte von Kindern und nicht von Lehrplänen vorgegeben werden. Aber allein zum Wohle der Kinder sollten in jedem Kindergarten auch männliche Bezugspersonen vor Ort sein. Für die geschlechtliche Identitätsfindung benötigen Kinder beide Geschlechter als Vorbilder.“ Die Wichtigkeit von männlichen Bezugspersonen für die optimale Entwicklung von Kindern, bestätigt Waltraud Mair, Direktorin des Schulsprengels Olang, zu dem sieben Grundschulen und die Mittelschule Olang gehören, auch für den Bereich Schule: „Männliche Bezugspersonen sind unabhängig von den Schulstufen sowohl in der Grund- als auch in der Mittelschule sehr wichtig. Sie sind Vorbilder, Identifikationsfiguren und manchmal auch Sparringspartner, sie gehen anders an Dinge heran als Frauen, gestalten Beziehungen anders, bieten alternative Lösungsstrategien und Reaktionsmuster an, haben eine andere Art mit Gefühlen umzugehen, sie bringen Vielfalt ins System Schule.“ Die Erfahrung, dass Männer in Erziehungsberufen sehr begehrt sind, haben die Brüder Lukas und Markus Zimmerhofer mit ihrer seit dem Sommer 2017 aktiven Kinderferienbetreuung „KiTS“ (Kinder im Traumsommer) gemacht: „Dass wir so viel männliches Betreuungspersonal haben, unsere sechsköpfige Kerngruppe besteht aus fünf Männern und einer Frau, wurde von den Eltern unserer Schützlinge sehr gelobt und ist auch bei den Kindern selbst gut angekommen. Unserer Zulauf in den neun Wochen, in denen wir unsere Sommerkinderbetreuung angeboten haben, war geradezu gigantisch!“
MÄNNER – BEGEHRTE BETREUER
„Männer können sich in meinen Augen leichter abgrenzen, sie können leichter Schranken setzen und ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr weiter diskutieren. Sie schaffen Freiräume, sind gelassener, unkomplizierter, pragmatischer als Frauen“, benennt Mair einige männliche Eigenschaften. „Meine Arbeitsweise unterscheidet sich nicht grundsätzlich von jener meiner weiblichen Kolleginnen im Kindergarten, aber in einigen Bereichen gibt es Unterschiede in der Haltung. Männer setzen andere Schwerpunkte als Frauen, sie bevorzugen in der Regel andere Themen und andere Spiele bei der Kinderbetreuung. Allein dadurch, dass der Mann meist über mehr Kraft verfügt und andere Interessen hat, kann er den Kindern anderes bieten. Zudem trauen Männer Kindern oft m
ehr zu, bzw. geben ihnen größere Freiheiten und sind oft Experten in frauenferneren Themen, weshalb es wichtig ist, dass in der Frauenwelt die Themen und Symbole von Jungen vermehrt zum Thema gemacht werden, z. B. Rennauto statt Schmetterling“, erzählt Seeber aus seiner Erfahrung. „Sind die Pädagogen Männer, kommen Mädchen wie Buben mehr aus sich heraus, sie raufen und reagieren sich mehr körperlich ab. Bei weiblichen Betreuerinnen gibt es da eine unsichtbare Grenze. Uns ist es egal, wenn wir geboxt werden, blaue Flecken oder gar Bisswunden nach so einer Rangelei davon tragen. Für uns ist es auch absolut wichtig, dass wir Betreuer überall mitmachen, ob das beim Baumhausbauen ist, beim Sprungbrett im Schwimmbad oder die Rutsche auf dem Spielplatz, wir sind mitten unter den Kindern. Wir sind Spielkumpanen und Betreuer. Dass das ohne Probleme mit der Disziplin zu bekommen gelingt, ist womöglich darauf zurückzuführen, dass uns Männern von vornherein Respekt von den Kindern entgegengebracht wird. Ein Mann muss in unserer Gesellschaft die Autorität nicht ständig einfordern. Dies ermöglicht es uns, den Kindern mehr Freiräume zuzugestehen“, sind sich Lukas, 25 Jahre, und Markus, 23 Jahre, bewusst. „Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass sich Mädchen meist besser an die reine Frauenwelt anpassen können. Jungs fallen öfters durch störendes Verhalten auf. 80 Prozent der Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten sind Jungen. In Institutionen mit männlichen Erziehern sinken die Auffälligkeiten“, weiß Seeber.
MÄNNER DIE BESSEREN ERZIEHER?
„Wichtiger als das Geschlecht der pädagogischen Fachkräfte ist natürlich deren fachliche und emotionale Qualifikation. Männer unterscheiden sich in der fachlichen Kompetenz nicht von Frauen, sie erhalten die gleiche Ausbildung, sodass die Kinder weiterhin qualitative Bildungsorte vorfinden. Männer und Frauen können sich aber in der Bildungsarbeit vor Ort ergänzen und sich gemeinsam mit den Jungen und Mädchen an kindorientierten, nachhaltigen Lernprozessen beteiligen. Genauso wie Frauen mit Buben werken und Fußball spielen können, können Männer mit Mädchen Geschichten lesen und im Rollenspiel versinken. Natürlich sind die Interessensgebiete oft unterschiedlich – und auch in gewisser Weise geschlechterorientiert. Deshalb ist es für jede pädagogische Fachkraft im Kindergarten wichtig, ihre eigenen Vorstellungen von Geschlechterrollen zu hinterfragen“, so Hasler. Was die Fähigkeiten und Qualifikationen einer guten Lehrperson betrifft, so gilt auch für Mair eine Geschlechterunabhängigkeit: „Gute Lehrpersonen mögen Schüler/innen, sie gehen wertschätzend mit ihnen um und können sie auf der Beziehungsebene leicht erreichen. Sie sind von den Lerninhalten begeistert, wählen aktuelle Themen aus, sind engagiert, teamfähig und neugierig und sehen sich auch selbst als Lernende. Sie schätzen die Vielfalt und können diese auch gut managen, sie sind auf die Stärken der Schüler/innen fokussiert und natürlich fachlich und methodisch kompetent. Zudem verfügen sie über diagnostische Kompetenzen und Beratungskompetenzen, regen die Selbsttätigkeit der Schüler/innen an und laden diese ein, Schulleben und Unterrichtsgeschehen mitzugestalten.“
MÄNNER IN DER MINDERHEIT
„Die pädagogischen Fachkräfte sind in weiblicher Überzahl. Nach wie vor ist die Meinung diese, dass pädagogische Berufe Frauen ausüben soll(t)en. Geschlechterrollen und -bilder sind auch immer noch mit ausschlaggebend, dass Männer im Kindergarten Ausnahme sind. Sicherlich spielen neben der sozialen Anerkennung auch der ökonomische Statuts, die Aufstiegschancen und die Entwicklung des Arbeitsmarktes eine Rolle“, führt Hasler an. „Das vorherrschende Vorurteil, Erziehen sei Frauensache, hält sich unbeirrt in unseren Köpfen. Mit ein Grund, warum Männer wenig Interesse an Erziehungsberufen haben, sehe ich in den vielen künstlichen Lernwelten, die geschaffen werden. Männer arbeiten lieber in der Natur bzw. in der realen Welt. Wald- und Naturkindergärten ziehen meiner Meinung nach männliches Personal an“, so Seeber. Schwer zu sagen sei es, ob der Lehrberuf für Männer weiterhin nicht attraktiv sein werde, mutmaßt Mair: „In unseren sieben Grundschulen unterrichten zur Zeit bei 53 Lehrpersonen drei Männer, in der Mittelschule sind es bei 29 Lehrkräften fünf. Aufgrund von Pensionierung haben Männer in den letzten Jahren den Schuldienst verlassen und dann sind kaum mehr Männer nachgekommen. Es sind Bemühungen spürbar – auch von Seiten der Politik – Initiativen zu starten, um Männer wieder für den Lehrberuf zu begeistern. Vielleicht ist die Zeit momentan noch nicht reif – vieles unterliegt Trends und Modeerscheinungen – das Blatt könnte sich ja auch wenden.“
MÄNNERMANGEL WIE BEHEBEN?
„Bisher haben es nur die skandinavischen Länder geschafft, den Männeranteil auf bis zu zehn Prozent zu steigern, und das durch Outdoorkindergärten. Daneben sind schnelle, unkomplizierte Quereinstiegsmöglichkeiten für Männer, eine Qualitätssicherung, die nicht auf Masterabschlüsse beruht, und das vermehrte Einbeziehen der realen Außenwelt die besten Voraussetzungen, das Problem kurz- und langfristig zu beheben“, ist Seeber überzeugt. „Frauen haben im Beruf Kindergärtnerin zurzeit noch viel mehr Übung, das sich jedoch auch ändern kann. Männer sollten eine Chance haben, sich im Beruf zu finden“, bemerkt Hasler. „Gerade die Erziehungsberufe wurden vermehrt auf die Bedürfnisse von Frauen ausgerichtet. Viele Männer haben überhaupt keinen Bezug dazu, weil sie nie die Möglichkeit bekommen haben, hier Erfahrungen zu sammeln. Rahmenbedingungen müssten geschaffen werden, auch in den typischen ‚Bubenschulen‘, wie die TFO, dass Buben mit Erziehungsberufen in Kontakt kommen, um zu entdecken, ob man in diese Richtung eine Begabung hat“, wünschen sich Lukas und Markus.
MÄNNER & FRAUEN SIND WICHTIG
„Es braucht die Balance zwischen Männern und Frauen in Erziehungsberufen. Beide Geschlechter sind unabdingbar. Frauen gehen viel empathischer mit den Kindern um, gehen mehr auf Gefühle ein, sind fürsorglich. Männer trauen den Kindern mehr zu, legen viel Wert darauf, dass Kinder Eigenverantwortung übernehmen, da wird nicht gleich bei jedem Kratzer der Verbandskasten geholt. Zur Zeit befinden sich unsere Rollenbilder in einer Entwicklung. Deshalb ist die Vorbildfunktion so wichtig. Auch im Erziehungsberuf kann man sich als Mann verwirklichen“, betonen Lukas und Markus. Für Hasler wäre es wünschenswert, „männliche, wie weibliche Bezugspersonen in unseren Kindergärten zu haben, sodass sich Männer und Frauen in den Bildungsorten ergänzen und Mädchen und Jungen geschlechtergerechte Bildung erleben könnten.“ (SP)
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