Der Hamburger Sportverein, der legendäre Fußballclub aus dem hohen Norden, ist nichts für schwache Gemüter. An der Elbe bewegt sich Fußball nämlich stets zwischen Genie und Wahnsinn. Gerade deswegen haben die ‚Rothosen‘, wie man die Jungs wegen ihrer roten Shorts nennt, überall Fans, sogar im tiefen Süden, in Südtirol. Der Puschtra sprach mit Christoph Kerschbaumer vom einzigen offiziellen HSV-Fanclub südlich des Brenners über Herz, Schmerz, Himmel, Hölle, kurzum: den HSV.
Was macht einen Fußballclub groß? Geld? Titel? Stars? Nein, nichts von alledem. Richtig groß sind nur die Clubs, deren Fans in guten wie in schlechten Zeiten mit Herzblut mit dabei sind. Deswegen ist und bleibt der Hamburger Sportverein der größte Club der deutschen Fußball-Bundesliga. Im Süden und im Westen der Liga wird man das nur ungern hören, aber Tatsache ist: beim HSV gibt’s seit Jahren nur wenig zu lachen, geschweige denn zu feiern. Die Fans stehen trotzdem eisern zu ihrem Club. Das ist echte Liebe, das ist wahre Größe. In Südtirol gibt’s seit 2014 den ersten offiziellen HSV-Fanclub des Landes. Ins Leben gerufen wurde er von ein paar eingefleischten Fans, aus allen Landesteilen Südtirols. Unter ihnen ist auch Christoph Kerschbaumer, derzeit Präsident des Vereins, mit dem der Puschtra ein Interview geführt hat.
Die wichtigste Frage gleich vorweg: Schafft es der HSV auch in der Saison 2017/2018 erstklassig zu bleiben?
Der HSV stellt jedes Jahr aufs Neue eine schlagkräftige Mannschaft auf die Beine, doch dann passiert das, was mittlerweile fast schon zu einem Ritual geworden ist: es folgen Rückschläge und der Start in die Saison wird vor allem von Medien als missglückt dargestellt. Schlechte Schlagzeilen sorgen für schlechte Stimmung und es ist meist nur eine Frage der Zeit, bis der HSV alljährlich als Abstiegskandidat gebrandmarkt wird. Dabei wird aber eines immer wieder vergessen: Nur der HSV war in allen bisherigen Spielzeiten der ersten Fußballbundesliga vertreten. Wir waren immer dabei und gelten nicht umsonst als „unabsteigbar“. So soll es auch in Zukunft bleiben. Mir ist schon klar, dass es auch in dieser Saison wieder ein hartes Stück Arbeit sein wird und das Abstiegsgespenst wohl eine ganze Weile ums Volksparkstadion herum geistern wird. Aber: Der Start in die Saison war doch recht viel versprechend und lässt und Fans auf ruhigere Zeiten hoffen.
Die Liebe der HSV-Fans wurde in den vergangenen Jahren oft auf eine harte Probe gestellt. Wie sehr hat der seit Jahren anhaltende Abstiegskampf Fans und Mannschaft zusammengeschweißt?
In Hamburg ist die Euphorie immer groß, auch wenn es mit der Mannschaft schlecht läuft. Beim HSV ist viel Bewegung drin, nicht nur auf sportlicher Ebene. In den vergangenen Spielzeiten wurde ja fast der gesamte Vereinsvorstand ausgetauscht, in der Hoffnung, dass es dann besser läuft. Die Resultate sprechen allerdings eine andere Sprache. Was uns als Südtiroler Fanclub betrifft, muss ich sagen, dass es oft schwierig ist, sich zu treffen, um gemeinsam ein Spiel anzuschauen, weil wir aus allen Himmelsrichtungen anreisen müssen. In den drei Jahren seit der Gründung unseres Clubs haben wir uns wenn überhaupt in Feldthurns getroffen, um unseren HSV via Fernsehen anzufeuern.
Beim HSV ist ständig Feuer am Dach, das strapaziert die Nerven aller Beteiligten. Wie groß ist eure Sehnsucht nach einer gemütlichen, um nicht zu sagen ‚langweiligen‘ Saison, irgendwo im Mittelfeld der Liga?
Jedes Jahr Abstiegskampf – auf Dauer ist das nicht auszuhalten, nicht mal von den treuesten Fans. Klar, würden wir uns wünschen, mal ausnahmsweise nicht mittendrin zu sein, wenn jedes Gegentor den Abstieg bedeuten kann und man so hilflos von den Ergebnissen anderer Mannschaften abhängig ist. Abstiegskampf bedeutet vor allem, es oft selbst nicht in der Hand zu haben. Das ist furchtbar. Ich denke, ein finanzkräftiger Verein wie der Hamburger Sportverein hätte sich gut und gerne mal wieder einen Platz im Mittelfeld verdient, wenn nicht sogar die Qualifikation für die internationalen Wettbewerbe.
Als Südtiroler HSV-Fanclub führt man quasi eine Fernbeziehung mit seinem Verein. Wie oft pro Saison fahrt ihr zu Heimspielen ins Volksparkstadion nach Hamburg?
Daran arbeiten wird noch und selbstverständlich möchten wir in naher Zukunft als Verein oder zumindest mit einer Delegation zu einem Heimspiel ins Volksparkstadion fahren. Aber bekanntlich ist die Hansestadt ein ganzes Stück entfernt von Südtirol, die Fahrt zu einem Heimspiel dauert samt Hin- und Rückfahrt also einige Tage. Es ist schwierig, dass mehrere Mitglieder gleichzeitig die Zeit dafür finden und außerdem ist die Reise in den Norden auch eine finanzielle Frage. Einzelne Mitglieder unseres Clubs waren schon beim ein oder anderen Spiel in Hamburg, der Rest soll bestenfalls noch folgen. Sobald der HSV zu Auswärtsspielen in den Süden Deutschlands reist, sind wir aber des öfteren mit dabei. Auch beim jährlichen Sommer-Trainingslager und den Vorbereitungsspielen, die letzthin in Österreich stattgefunden haben, wie etwa in Längenfeld oder Imst, waren einige Mitglieder unseres Fanclubs vor Ort.
Oft wird behauptet, die heißblütigen Fans hätten zu viel Einfluss innerhalb des HSV. Denkst du, es wäre besser für den Verein, wenn seine Anhänger etwas zahmer wären?
Die Fans des HSV leben und lieben diesen Verein. Wer mit Herzblut dabei ist, den bewegt das Schicksal seines Vereins. Die Heißblütigkeit, das Temperament der Fans ist ein Zeichen der tiefen Verbindung zum HSV. Ich finde es gut, dass die Fans dem Verein nahe stehen und ihre Kritik öffentlich zeigen.
Die Mannschaft hadert und strauchelt regelmäßig, das Stadion ist dennoch stets gut besucht. HSV-ler sind also definitiv keine Opportunisten. Würdest du deiner Mannschaft sogar den Abstieg in die zweite Liga verzeihen?
Das ist eine schwierige Frage, die ich mir bisher Gott sei Dank noch nicht konkret stellen musste. Was soll ich sagen? Ich glaube, für einen Neuanfang, der dem Verein sicherlich gut tun würde, wäre der Abstieg in Liga zwei eine reinigende Erfahrung. Andererseits bringt es nichts, so einen Abstieg durch die romantische Brille zu sehen, denn wer garantiert uns schon, dass wir sofort wieder in die erste Liga aufsteigen würden? Dann würde aus dem erhofften Neuanfang vielleicht ein jahrelanges Trauerspiel in der zweiten Liga werden. Als Fan ist man also hin und hergerissen, ob ein Neuanfang in Liga zwei wirklich zum zweiten Frühling des HSV führen würde.
In den letzten Jahren gab’s für euch immer wieder dramatische Entscheidungsspiele zwischen Abstiegskampf und Relegation. Schaut ihr euch solche Spiele gemeinsam im Club-Lokal an oder leidet dann jeder lieber für sich selbst?
Bei kritischen Spielen haben wir uns meistens getroffen und vor dem Fernsehgerät mitgefiebert. Schulter an Schulter fällt es manchmal leichter, die extremen Hochgefühle und Tiefschläge zu verdauen, die der HSV seinen Fans oft bietet. Bisher ist es ja zum Glück immer gut ausgegangen…
Die Meisterschaft stöhnt seit Jahren unter der gähnenden Langeweile, die von der Vorherrschaft des FC Bayern ausgeht. Im Tabellenkeller hingegen ist ständig HalliGalli und mittendrin der HSV. Entsteht bei euch Fans dadurch eigentlich eine Art Leidenschaft fürs Leiden?
So würde ich es nicht bezeichnen, aber die Fans haben in den letzten vier Jahren wenig Höhen und viele Tiefen durchwandert. Das Leben im Tabellenkeller ist kein Zuckerschlecken, mit einem Auge schielt man immer auf die Tabellennachbarn, muss hoffen, dass diese ausrutschen. Und wenn man selbst verliert und die anderen hingegen Punkten ist eine Niederlage gleich doppelt schwer zu verdauen.
Eure Liebe, der HSV, hat eigentlich alles, um erfolgreich zu sein: viel Tradition, ein stattliches Budget und verdammt treue Fans. Was muss der Verein ändern, um endlich wieder an frühere Erfolge anzuknüpfen?
Das ist eine schwierige Frage. Beim Hamburger Sportverein kommen momentan mehrere Probleme zusammen. Da wäre zum einen die Tatsache, dass derzeit keine Spitzenspieler an die Alster wechseln wollen. Um gute Spieler anzulocken, braucht es ein gutes Image und Erfolg. Und natürlich Geld. Wenn die drei genannten Faktoren zusammenspielen dann könnte es auch wieder gelingen, deutsche und ausländische Spitzenspieler nach Hamburg zu locken. Ein Hemmschuh auf dem Weg zu diesem Ziel ist auch der momentane Kader. Die Kicker, die in dieser Saison für die ‚Rothosen‘ auflaufen sind für andere Clubs nicht interessant, was wenig wundert, nach den durchwachsenen Leistungen der vergangenen Jahre. Aber bevor man bestimmte Spieler nicht verkaufen kann und Platz schafft für neue, wird die notwendige Erneuerung des Kaders ziemlich schwierig. Man sieht also: beim HSV hapert es an vielen Ecken und Enden. Geld, die Fans, das Stadion – die Voraussetzungen sind eigentlich nicht schlecht, aber es gibt derzeit noch zu viele Baustellen, die einem Erfolg im Wege stehen.
Wo viel Liebe ist, ist Hass meist nicht weit. Was verabscheut man als HSVler am meisten: den Stadtrivalen St. Pauli, den nordischen Nachbarn Werder Bremen oder doch den Serienmeister aus München?
Das Nordderby gegen Bremen ist immer sehr brisant, schließlich geht es dabei um die fußballerische Vorherrschaft im Norden. Mit dem Wiederaufstieg von Hannover 96 mischt in dieser Saison ein dritter Verein in diesem Konkurrenzkampf mit. Der Stadtrivale aus St.Pauli ist als Konkurrent nicht wirklich gegeben, die Jungs vom Millerntor spielen ja schon seit Jahren in der zweiten Liga, ihren Kultstatus muss man aber auch als HSV-Fan bedingungslos anerkennen. Die Bayern hingegen sind die ewigen Gejagten und Konkurrenten, in den letzten Jahren gab es für uns gegen die Münchner nichts zu holen. Ich denke, jedes Team der Liga pflegt eine besondere Beziehung zu den Bayern, die generell nicht gerade beliebt sind.
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