RÜCKKEHR DER GROßEN BEUTEGREIFER
Südtirol galt lange als bären- und wolffrei. Nun erobern sich die großen Beutegreifer ihre einstigen Territorien zurück und unsere Angst ist groß. Überwiegend kommt das Wissen über Wolf und Bär aus Mythen und Märchen, die meist ein düsteres Bild dieser Großraubtiere zeichnen. Gerade das Image des Wolfes ist böse. Und so verbreiten Nachrichten von gesichteten Großraubtieren schnell Angst und Schrecken. Vor allem die Bergbauern fürchten um ihr Vieh auf unbewachten Weiden und Almen. Aber ihre Rückkehr ist nicht aufzuhalten. Wir werden uns auf die Gegenwart der großen Beutegreifer, allen voran des Wolfes, einstellen müssen.
„Der Wolf, der Bär und der Luchs wurden in weiten Teilen Mitteleuropas ausgerottet. Restpopulationen des Wolfes überlebten lediglich in Italien (Apennin), Griechenland und Spanien. Ein hoher Schutzstatus auf europäischer Ebene ermöglichte es diesem großen Beutegreifer wieder einzuwandern und einstige Lebensräume zu besiedeln. Als dagegen eine kleine Bärenpopulation im Trentino vor ca. 20 Jahren auszusterben drohte, wurden im Zuge eines Wiederansiedlungsprojektes, mit Zustimmung der Nachbarregionen, zu denen auch Südtirol zählt, einzelne Bären von Osteuropa Anfang des neuen Jahrtausends angesiedelt, mit dem Ziel, durch eine fortpflanzungsfähige Population den „Brentabären“ zu erhalten. Der Wolf benötigte keine fremde Starthilfe. Wölfe vom Apennin wanderten in Richtung Nordwesten bis in die französischen Alpen. Wölfe aus Osteuropa eroberten ebenfalls Gebiete bis in die Ostalpen. Dass diese Wölfe von beiden Seiten herkommend nun die Alpen besiedeln und dass sich hier zwei verschiedene Populationen treffen, war eigentlich nichts Neues, und ist demnach auch keine ‚Schreckensnachricht‘. Im Pustertal sind Anfang des heurigen Jahres zwei Wölfe in Corvara bestätigt worden, die ein Reh gerissen haben. Im Sommer und Herbst gab es einzelne Risse an Nutztieren, die auf mögliche Wolfsrisse hindeuten. Die DNA-Untersuchungen zu den genommenen Proben stehen jedoch noch aus“, berichtet Walter Rienzner von der Dienststelle für Jagd- und Fischereiaufsicht der Jagdbezirke Oberpustertal, Bruneck und Sterzing. „Zu Beginn des letzten Jahrhunderts sind in Südtirol Bären und Wölfe ausgerottet worden. Im Pustertal waren Sichtungen von Bären sporadisch etwa in Campill in St. Martin in Thurn oder in Pederü in Enneberg. Im Gegensatz zum Bären, der ein Allesfresser ist und sich auch von Obst, Honig oder Abfällen ernährt, ist der Wolf größtenteils ein Fleischfresser. In der freien Natur reißt er Rehe, Wildschweine oder Hirsche. In sein Beuteschema fallen aber auch unsere Nutztiere: Schafe, Ziegen und Jungrinder vorwiegend auf unbewachten Weiden und Almen“, bestätigen vom Tierärztlichen Dienst Bruneck Artur Fabi, Koordinator und Amtstierarzt, und Gerlinde Wiedenhofer, Amtstierärztin in Bruneck. „Der Braunbär war bisher vor allem in der westlichen Landeshälfte unterwegs. Wolfsichtungen wurden auch im Schlerngebiet und im Grenzgebiet zu Belluno nachgewiesen. Die Wiederansiedlung des Braunbären und der totale Schutzstatus für den Wolf werden in absehbarer Zeit das Aus für die Almwirtschaft und Freilandhaltung von Nutztieren mit sich bringen. Böse sind nicht Wolf oder Bär, sondern die Menschen, die Großraubwild im besiedelten Gebiet ansiedeln wollen, denn dabei kann es nur Verlierer geben“, ist Oswald Schwarz überzeugt, Vertreter der Bergbauern im Landesbauernrat des Südtiroler Bauernbundes (SBB).
GROSSES BEUTETIER – KEIN RÄUBER
„Der Begriff Raubtier ist für ein fleischfressendes Tier nicht angemessen. Es existieren Pflanzen- und Fleischfresser, weshalb es unangebracht ist, einen Fleischfresser mit einem Räuber, d.h. einem Wesen, das sich hinterhältig etwas aneignet, das ihm nicht gehört, gleichzustellen. Fleischfresser jeder Art erfüllen im Ökosystem eine wichtige Aufgabe. In der modernen Wildbiologie spricht man deshalb von Beutegreifern“, expliziert Rienzner.
IDEALBEDINGUNGEN IN SÜDTIROL
„Südtirol bietet ideale Lebensräume für den Wolf, der sehr intelligent und sehr anpassungsfähig ist. Mitteleuropa war noch nie so reich an Beutetieren wie Rehe, Wildschweine, Gämse und Hirsche. Hinzu kommen in vielen Gegenden die nicht mehr geschützten Kleinviehherden. Einzelwölfe, die zum Teil weite Wanderungen durchlaufen, trauen sich nachts auch in Siedlungsnähe und ernähren sich mitunter gar von Müll, der in unserer Wegwerfgesellschaft auch reichlich vorhanden ist“, gibt Rienzner zu bedenken. „Wolf und Bär werden sich unter dem gegenwärtigen Schutzstatus ungehindert vermehren und sich bei uns ansiedeln. Das wird unabsehbare Gefahren für die Land- und Almwirtschaft, aber auch für große Teile der ländlichen Bevölkerung mit sich bringen. Durch den totalen Schutzstatus und die starke Hybridisierung verliert der Wolf die natürlich Scheu vor dem Menschen. Gefährliche Begegnungen und Risse werden auch in Wohngebieten zu verzeichnen sein“, warnt Schwarz.
VORGEHEN BEI NUTZTIERRISSEN
„Bei Nutztierrissen durch große Beutegreifer, für die eine Entschädigung vorgesehen ist, müssen wir vom Amt für Jagd und Fischerei, wenn möglich zusammen mit dem Amtstierarzt, die Beurteilung des Risses vornehmen. Je frischer die Spur, desto besser“, informiert Rienzner. „Der Amtstierarzt ist zu informieren, wenn Tiere abgängig sind, wenn sie gerissen wurden oder aus einem anderen Grund verendet sind und die Ohrmarkennummer ist zu nennen. Im Falle eines vermuteten Wildtierrisses nehmen Mitarbeiter des Amtes für Jagd und Fischerei zusammen mit dem Amtstierarzt Speichelproben aus den Bisswunden der gerissenen Tiere und vorhandene Kotproben für die DNA-Untersuchung im Labor. Erst diese beleget, um welches Tier es sich handelt. Gar nicht selten entpuppen sich die Täter als Hunde. Sind alle Proben genommen und ist die Beweissicherung beendet, entscheidet der Amtstierarzt, was mit dem Tierkadaver geschieht. Auf Almen ohne Zufahrt, sofern keine Gefahr einer Verunreinigung für ein Trinkwasserschutzgebiet besteht, bleibt der Kadaver in der Regel in der freien Natur zur Verfügung der Aasfresser bzw. Verwesung“, wissen Fabi und Wiedenhofer.
MÖGLICHE GEFAHREN
„Die meiste Angst und Aufruhr geht verständlicherweise von den Nutztierbesitzern aus. Die unbekümmerte Alpung wird künftig nicht mehr möglich sein. Hat der Wolf Tollwut, dann kann er auch Menschen angreifen. Zur Zeit ist Europa bis auf die Oststaaten allerdings tollwutfrei. Die letzte Episode gab es bei uns 2010/11. Ein erneutes Aufflammen der Tollwut ist nicht ausgeschlossen, auch Hunde können Tollwut aus dem Urlaub mitbringen, aber Angst braucht man gegenwärtig keine zu haben. Respekt ist allerdings immer angebracht“, konstatieren die Amtstierärzte und äußern mehr Bedenken bei Wanderungen mit Hund: „Der Hund wird von Wolf und Bär als Gefahr gesehen. Trifft ein leinenloser Hund etwa auf einen Bären, verfolgt dieser den Hund, der wiederum Schutz bei seinem Besitzer suchen wird. Ein Angriff ist in diesem Fall nicht auszuschließen.“ „Trifft man auf Wolf oder Bär, ist ein Respektabstand einzuhalten. Im Bärengebiet sollten Hunde unbedingt an die Leine. Der Wolf ist ein sehr scheues Tier. Wilde Wölfe sind deshalb für den Menschen ungefährlich, wobei Ausnahmen bei Wild- aber auch Haustieren nie ausgeschlossen sind“, betont Rienzner.
ABSCHUSS NUR KONTROLLIERT
„Unkontrollierte Wolfsjagd schafft im Wolfsgebiet nur größere Probleme. Wolfsrudel sind ein geschlossener Verband, die ein mehr oder weniger großes Gebiet gegenüber anderen Artgenossen verteidigen. Werden einzelne Rudelmitglieder erlegt, bleibt der Schaden derselbe, mitunter wird er größer, wenn ein Alphatier erlegt wird und andere Wölfe in das Territorium einwandern. Ein Schlaraffenland wie Südtirol, das bereits umzingelt ist von Wölfen, die neue, freie Lebensräume suchen, wird immer attraktiv bleiben für neue nachrückende Wölfe“, ist Rienzner überzeugt. „Wir Amtstierärzte sind für den Tierschutz aller Tiere verantwortlich. Deshalb muss eine ausgewogene Bewertung des Tierschutzes bei Haus- und Wildtieren erfolgen. Steigt das Ausmaß der annehmbaren Schäden durch Wolf und Bär, besteht Handlungsbedarf. Tierschutzgerechte Schlachtung und Jagd sind bereits legal. Eine kontrollierte Entnahme von auffälligen großen Beutegreifern darf ebenso nicht tabuisiert werden“, so Fabi und Wiedenhofer.
WIRKSAME SCHUTZMASSNAHMEN
Die von Landesrat Arnold Schuler genannten fünf Maßnahmen, zur Minimierung oder Verhinderung von Wolfs- und Bärenangriffen, Hirten, elektrische Schutzzäune, einfache Alarmsysteme, Lamas oder Esel als Warner in den Herden und ausgebildete Hirtenhunde, lässt Schwarz nicht unkommentiert: „Herdenschutz Großraubtieren gegenüber bedeutet den Einsatz von scharfen Herdenschutzhunden und plastifizierten Gitterelektrozäunen unter hoher elektrischer Spannung auf Weiden und Almen. Das ist im hochalpinen Gelände nicht durchführbar. Diese Art von Behirtung würde die Problematik nur auf benachbarte Almen und Heimweiden verlagern und ist mit dem Wandertourismus nicht kombinierbar. Erfahrungen aus der Schweiz zeigen: Herdenschutz ohne Abschussmöglichkeit ist ineffizient.“ „Derzeit können landwirtschaftliche Unternehmer, Jagdreviere, Körperschaften, Agrargemeinschaften und Imker um Beiträge für geeignete Maßnahmen zur Verhütung von Schäden durch große Beutegreifer wie z.B. den Ankauf von Zaunsystemen ansuchen. Allerdings ist darunter nicht das Einzäunen von ganzen Almflächen zu verstehen, sondern mobile Elektrozäune, in denen das Vieh die Nacht verbringt, da Wölfe vor allem nachtaktiv sind“, erläutert Rienzner.
GEFAHR NICHT VERHARMLOSEN
„Der Mensch ist nicht Beute von Wolf und Bär und in der Regel meiden diese eine Zusammenkunft mit Menschen. Das heißt aber nicht, dass der nötige Respekt zum Bären oder Wolf fehlen sollte. In Bedrängnis oder bei Verteidigung von Jungtieren kann der Bär ebenso wie eine Mutterkuh einen Menschen schwer verletzten oder gar töten. Bei Wölfen sind solche Verhaltensweisen unbekannt. Probleme mit Wölfen könnten entstehen, wenn sie vom Menschen gefüttert werden und es so zu lästigen Annäherungen kommt“, so Rienzner. „In erster Linie sind natürlich Weidetiere wie Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde von den Großraubtieren bedroht, aber auch Kleinkinder passen in das Beuteschema des Wolfes. Am häufigsten werden aber unliebsame und gefährliche Begegnungen mit Bär und Wolf vorkommen, sobald diese Jungtiere mitführen. Südtirol braucht deshalb einen Bären-Managementplan, der eine klare Regelung der Population und eine Entnahme von Problembären vorsieht, ohne die bisherige unüberwindliche Bürokratie, und es bedarf der Änderung der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, sodass staatliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um den Wolf gezielt bejagen zu können. Also wolfsfreie Zonen im Alpenraum“, fordert Schwarz. „Die Rufe der Bauern zum Schutz der eigenen Nutztiere sind berechtigt. Deshalb ist es auch absolut notwendig, schnellstens geeignete Schutzmaßnahmen einzuleiten. Die Ausbreitung des Wolfes geht schnell voran – es gilt keine Zeit zu verlieren“, befürchtet Rienzner.
KOEXISTENZ IST ZU SCHAFFEN
„Die Rückkehr von Wolf und Bär in die heimischen Wälder ist nicht mehr aufzuhalten. Eine Umsiedelung ist nicht sinnvoll, da die betroffenen Wildarten nicht mehr vom Aussterben bedroht sind, und die Haltung in Gefangenschaft ist abzulehnen. Jetzt gilt es Schutzmaßnahmen auf den Weideflächen zu schaffen und die Entnahme von Problemtieren zu ermöglichen, um bestmögliche Lösungen zu finden für die Bauern, die Freizeitbetreiber und den Tierschutz“, so Fabi und Wiedenhofer. „Uns bleibt nur die Realisierung einer Koexistenz zwischen Wolf und Mensch“, ist Rienzner überzeugt und davon, dass „die Gefahr, die von Wolf und Bär für den Menschen ausgeht, verhältnismäßig gering ist. Weder Wolf noch Bär lauern den Menschen auf, um sie zu töten – zu groß ist deren Furcht vor dem Feind Mensch. Niemand braucht demnach Angst zu haben in den Wald zu gehen und sich ‚normal‘ zu bewegen. Angst nicht – Respekt schon!“ (SP)
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