Das frühere Leben in der Stadt Bruneck verlief einigermaßen friedlich, gelegentlich aber brachen doch Konflikte auf, die ihre Ursachen in der ständischen Gliederung der Bevölkerung hatten. Die Bürger dominierten das städtische Leben, aber der in der Stadt ansässige Adel wusste sich trotz seiner zahlenmäßigen Schwäche zu behaupten. Das geht aus verschiedenen Akten hervor, die im Stadtarchiv aufbewahrt werden. Die hier zu behandelnden Konflikte stammen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Sie sind verfasst worden, als die Pest, die damals nicht nur das Pustertal bedrohte, 1636 gerade erloschen war. Sie war auch in der unmittelbaren Umgebung von Bruneck aufgetreten, hatte aber die Stadt selbst verschont.
Ein Bischof zahlt seine Schulden nicht
Bei einem Akt handelt es sich um eine Bittschrift des Glockengießers Elias Sermosius, der längere Zeit in Bruneck beschäftigt war, an den Fürstbischof Wilhelm von Welsperg (1628-41), er möge ihm endlich die ihm für Arbeiten am Spital geschuldeten 160 Gulden Arbeitslohn ausbezahlen. Er warte nun schon zwei Monate darauf, ihm seien daraus bedeutende Spesen erwachsen. Jetzt sei er mit seinem Jungen und seinem Pferde „ganz vom Geld entblößt und auch in ziemliche Schuldenlast gerathen also dermaßen, daß die Würth (Wirte) mir lenger nit borgen wollen, begehren villmehr von mir die Bezahlung.“ Er möchte aber gerne seinen Weg weiter nehmen, aber es will ihn der Sonnenwirt Andre Mayr nicht fort lassen, bevor er nicht bezahlt sei. Der Bischof befahl daraufhin, den Elias Sermosius sofort auszuzahlen, damit dessen Klagen ein Ende hätten. Der Bischof war ein Adeliger, er verbrachte übrigens die meiste Zeit seines Pontifikates in Bruneck, wo sein Vater Schlosshauptmann war. Bischof Wilhelms Pontifikat war gekennzeichnet von beinahe ununterbrochenen Streitigkeiten mit der landesfürstlichen Regierung.
Carl von Paugger zu Verguz – ein hochnäsiger Stadtrichter
Die letzten Jahre des Dreißigjährigen Krieges waren erfüllt von Misshelligkeiten zwischen der Bürgerschaft und dem Adel von Bruneck, die einmal sogar in einen offenen Kampf auszuarten drohten. Den Anfang dieses Konfliktes setzte der fürstliche Stadtrichter Carl von Paugger zu Verguz. Außerdem waren daran beteiligt der Bürgermeister Georg Semblrock und Andree Dorn, der während der Zeit der Pest Bürgermeister gewesen war. Es ging um die Schließung der Stadttore, wofür als Torwächter der Inwohner und Meister des Schneiderhandwerkes Adam Crainer zuständig war. Der Sohn des Oberbaders Peter Obermayr sollte ihm dabei helfen. Die beiden hatten sich zur Wacht gehorsam eingestellt, als der Stadtrichter kam und den Sohn des Oberbaders nach Hause schickte, für ihn sollte dessen Vater als Wächter antreten. Außerdem hatte Andree Dorn seinen Knecht auf die Wacht geschickt, den der Stadtrichter aber auch nicht annehmen wollte.
Bald danach verlangte der Stadtrichter doch, dass der Knecht seinen Dienst antrete, was der aber nicht tun wollte, weil er ja abgeschafft worden war. Als das mittlere und letzte Tor, das jetzt Oberragentor genannt wird, geschlossen wurde, schien dem Bürgermeister, der außer der Stadt wohnte, es seien zu wenig Wächter und er sagte dies dem Stadtrichter. Dieser meinte, er solle sich nicht darum kümmern, man werde sich schon um genügend Wächter umschauen. Der Ratsdiener der Stadt ließ die Stadttore verschlossen und als er die Schlüssel dem Wächter Adam Crainer zustellen wollte, der die Leute aus und einzulassen hatte, nahm besagter Herr Stadtrichter dem Ratsdiener die Schlüssel ab und trug sie zu sich ins Gerichtshaus (heute Neuhauser Haus) und legte sie dort in der Labe (Hausgang) auf den Tisch. Dabei sagte er, wenn jemand durch das Tor herein oder hinaus begehre, könne er sie Schlüssel dort abholen.
Da kam der Rotgerber Ulrich Oelackerer samt seinem Weibe zum oberen Stadttor und begehrte hinaus und heim ins Oberdorf. Der Stadtrichter befand sich noch in der Labe, als der Rotgerber die Schlüssel begehrte. Diesem antwortete er, es sei keine Zeit mehr, jemanden hinauszulassen. Die Zeit heimzugehen sei vorher, jetzt gebe er den Schlüssel nicht mehr aus der Hand. Als die Oelackererin aber klagte, sie habe ein kleines Kind zu Hause und müsse heim, gab der Stadtrichter doch nach und ließ die zwei Personen hinaus.
Nachdem der Wächter die Schlüssel wieder zurückgebracht hatte, kam Andree Dorns Ladenjunge zum Stadtrichter und sagte, sein Herr schicke ihn, das Tor müsse geöffnet werden, da zwei Bozner Herren, Christoph Trohofer und Christoph Kaltenhauser, da seien, die einen Schlüssel zu ihren Bulgen (Lederschläuchen) zum Steyrer schicken wollten, damit selbige besser gewahrt würden. Dem Stadtrichter erschien die Sache zu unwichtig, wegen einiger Bulgen, sagte er, öffne er das Stadttor nicht. Andree Dorn bestand hartnäckig auf der Öffnung des mittleren Stadttores, indem er an das Tor klopfen ließ und schließlich selbst ans Stadttor kam und die Öffnung verlangte. Da ließ der Stadtrichter die auf der Straße lärmenden Forderer des Stadtschlüssels mit Kammerlauge begießen, worunter der Inhalt der Nachttöpfe zu verstehen ist. Daraufhin trat der Stadtrichter ans Fenster und auf die Frage Dorns, wem die Schlüssel eigentlich gehörten, antwortete der Stadtrichter, heute wären sie sein und gehörten ihm zu, daher gebe er die Schlüssel nicht her und der Dorn sei ein Narrl, ein kleiner Narr. Als der Stadtrichter darauf bestand, er gebe die Schlüssel nicht her, mischte sich auch Daniel Dorn, der Bruder des Andree Dorn, der von 1642-1644 Bürgermeister von Bruneck war, in einen heftigen Wortwechsel ein. Als auch diese Intervention keinen Erfolg zeitigte, rief man einen Schlosser, der das Mittertor öffnen sollte, was dem Stadtrichter, der in Begleitung des Gerichtsdieners war, sauer aufstieß. Andree Dorn betonte, er sei kein Narr, sondern ein ehrlicher Bürgersmann, was wiederum der Stadtrichter bestritt. Daraufhin ging Dorn vom Gerichtshaus weg zum Apotheker Lucio Pezinello und durch die Hintergasse hinab zum Schlosser, der das Mittertor auf tat. Daraufhin nannte der Stadtrichter den Andree Dorn ein „glibprichiges (gelübdebrüchiges) verdorbenes Löterle“, eigentlich eine eher unpassende Bezeichnung für einen gewesenen Bürgermeister. Der Stadtrichter nannte die Stadt einen Saustall und Dorn wollte wissen, ob die Schlüssel der Bürgerschaft gehörten oder dem Stadtrichter, worauf dieser mit einer Hellebarde zweimal mit der Spitze voraus durch das Fenster auf den Dorn einstach. Dieser sagte: „Du hast zweimal gestochen, stich auch ein drittes Mal“, was dann aber nicht geschah. Als dann der Stadtrichter doch noch einmal die Hellebarde benützte, mischte sich des Dorns Ehefrau ein und rief durch das Fenster hinein, worauf sie dann von umstehenden Personen vom Fenster weggezogen wurde.
Die fürstbischöfliche Nicht-Reaktion auf des Stadtrichters Getue
In Brixen waren die Stadthalter und Räte über die Zwistigkeiten der Brunecker Bürgerschaft mit dem dortigen Stadtrichter sehr bald unterrichtet. Nachdem Fürstbischof Wilhelm von Welsperg am 27. März 1641 im Ansitz Teisegg verstorben und in der Brunecker Pfarrkirche begraben worden war, lief in Bruneck ein Dekret ein, das die Stadtordnung unter dem neuen Fürstbischof Johann Platzgummer, der ein Bürgerlicher war, bestätigte und die schriftliche Einreichung der Klagepunkte gegen Carl von Paugger anbefahl, und zwar innerhalb eines Monats. Aber in Brixen rührte sich lange nichts in der Angelegenheit, weder gegen den Stadtrichter noch für Bruneck. Man schien von Seiten des Bischofs nichts oder zumindest nicht viel gegen die Vorgangsweise des Stadtrichters in Sachen Torschlüssel zu haben, die der Stadtrichter vor dem Lorenzimarkt in seine Obhut genommen hatte, was er auch weiterhin zu tun gedachte. Die Angelegenheit zog sich in die Länge. Die Stadt schickte an den Bischof eine sehr ausführliche Stellungnahme ab, die mit dem 6. Oktober 1642 datiert war und zehn Punkte umfasste. Hierauf wurden von der brixnerischen Seite langwierige Erhebungen eingeleitet. Der Stadtrichter schrieb eine Replik, die für die Brunecker wenig schmeichelhaft war. So verging die Zeit bis zum April 1643, als Paugger eingesehen haben dürfte, dass doch er am kürzeren Hebel saß. Er kündete gegenüber den Bruneckern seinen Abzug nach Bozen noch vor dem Ende seiner Dienstzeit an und ließ „ganz eilfertig“ seine Mobilien dorthin vorausfahren.
Der Herr von Paugger geht nach Bozen
In Bruneck reagierte man nicht auf diesen Schritt. Damit war eine im Stadtarchiv sehr ausführlich dokumentierte Krise des städtischen Zusammenlebens zu Ende. Der Lehrer Anton Zangerl schreibt in seinem Buch „Aus dem alten Bruneck“ dazu: „Ich habe diesen Pauggerischen Handel hier vorgeführt, weil derselbe nicht nur zuerst und am ausführlichsten uns schriftlich überliefert wurde, sondern weil er auch das bezeichnendste Beispiel dafür ist, bis zu welchem Grade zielloser und mitunter geradezu bubenhafter Bosheit der adelige Beamtenstand gegenüber dem wegen seiner mehr geordneten ökonomischen Verhältnisse beneideten und verhaßten Bürger sich in seinem durch die bösen Beispiele seiner ordnungslosen Zeit angefachten Uebermuthe hinreißen ließ. Und das Erzählte war erst der Anfang der böseren Händel zwischen Adel und Beamten in Bruneck einerseits und der Bürgerschaft andererseits. … Die Zeit des Dreißigjährigen Krieges war eine Zeit unaufhörlichen Haders, wo Not und Unordnung von außen hereindrangen, wenn auch Tirol vom Feinde selbst fast gar nicht belästigt wurde. Der Adel weigerte sich, für die in seinem Besitz befindlichen bürgerlichen Häuser die Steuern zu entrichten und so der Bürgerschaft die schweren Lasten jener steuerreichen Jahre tragen zu helfen. … Jede Ordnung schien daher aufzuhören, die Stadt theilte sich förmlich in zwei Lager.“
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