Die ethischen Herausforderungen, mit denen das Gesundheitspersonal im Alltag konfrontiert ist, standen im Mittelpunkt der Tagung heute (25. November) in Bozen.
Gesundheitslandesrätin Martha Stocker erinnerte daran, dass wir „ständig mit ehischen Fragen konfrontiert werden, die unser Handeln bestimmen“. Ethik, sagte sie, „ist jene Grundlage, die den Alltag menschlicher macht“. Ethik sei von grundlegender Bedeutung für die Entscheidungsfindungen, die Menschen in höchst verwundbaren Situationen betreffen. Der medizinische und der technische Fortschritt, unterstrich der Präsident des Ethikkomitees Herbert Heidegger, öffne neue Möglichkeiten auch am Ende des Lebens, deshalb stehe das Personal im Gesundheitsbereich vor zunehmenden ethischen Herausforderungen. Zudem sei es schwierig, im Pluralismus der Werte einen Konsens für eine medizinische Entscheidung zu finden. Die ethischen Fragen seien immer komplexer und erforderten eine breitgefächerte Diskussion. Deshalb boten heute zehn Referenten und Referentinnen aus dem In- und Ausland den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei der Tagung im Kolpinghaus eine praktische Orientierung aus medizinisch-pflegerischer, ethischer und juristischer Sicht: Wie kann Ethikberatung bei schwierigen Entscheidungen helfen? Welche lebensverlängernden Behandlungen sollen bei schwer kranken Patienten noch durchgeführt werden? Wann ist es unter Umständen vertretbar, Patienten gegen ihren Willen zu behandeln? Welche Rolle spielt die Organisationsethik für die Entwicklung und Qualität der „Organisation Gesundheit“? Ethikberatung unterstützt die Teams in Krankenhaus und Seniorenwohnheim auch in Südtirol anhand von moderierten ethischen Fallbesprechungen bei der Bearbeitung schwieriger ethischer Fälle. Professor Georg Marckmann von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Professor Stefan Dinges von der Universität Wien referierten über die Ethikberatung als Qualitätsmerkmal und Unterstützung im klinischen Alltag und legten Beispiele aus Deutschland und Österreich dar. Ein Erfahrungsbericht aus einem Südtiroler Seniorenwohnheim zeigte auf, wie die ethische Reflexion systematisch zur Qualitätsverbesserung und Entlastung der Mitarbeitenden eingesetzt wird. In einem Brixner Seniorenheim werden zweimal jährlich Fortbildungen zu Fragen der Ethik für das Pflegepersonal organisiert, bei denen es vor allem um Fürsorge, Selbstbestimmung, Freiheit und Sicherheit der Patienten geht. Der Themenblock „Lebensende und Patientenverfügung, rechtliche und ethische Aspekte“ ging auf brennende Fragen ein, vor denen Gesundheitspersonal und Betroffene, Patientinnen und Patienten und Angehörige immer wieder stehen. Ethik und Recht gehen dabei helfend und unterstützend Hand in Hand. Ängste, Konflikte, Sinn einer Patientenverfügung und die Notwendigkeit guter Kommunikation wurden in den Referaten und in der Podiumsdiskussion, an der ein Richter und Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger teilnahmen, aufgegriffen und beantwortet. Zwangsmaßnahmen in der Medizin sind auch ein Südtirol ein schmerzhaftes und kontrovers diskutiertes Thema. Die Tagung bot erstmals die Möglichkeit, im Rahmen dieses Themenblocks ausgehend von Erfahrungsberichten von Patientinnen und Patienten und Pflegekräften die rechtlichen Grundlagen und die ethischen Aspekte von Zwangsmaßnahmen in der Medizin zu reflektieren. Professor Alberto Bondolfi von der Universität Lausanne, Mitglied der Ethischen Zentralkommissionen der Schweiz, der Akademie der medizinischen Wissenschaften sowie der nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin, beleuchtete das Thema „Zwangsmaßnahmen“ unter dem Aspekt der ethischen Prinzipien der Selbstbestimmung, des Nicht-Schadens und der Gerechtigkeit, der Verantwortung gegenüber Dritten, und zeigten Wege für Lösungen auf. Zudem wurde die aktuelle Situation in Südtirol durch die Pflegedirektorin des Sanitätsbetriebs Marianne Siller dargestellt.
Der letzte Themenblock war der Bedeutung der Organisationsethik für das gute Gelingen des Alltags in der Klinik gewidmet. Professor Stefan Dinges schlug einen Bogen von der Ethikberatung zur Organisationsethik: Organisationsethik ist die Art und Weise, wie eine Einrichtung oder Organisation über sich selbst, ihren Zweck und ihre Ziele reflektiert – regelmäßig und in Strukturen – und daraus Konsequenzen zieht. Paola Garancini, Qualitätsbeauftragte der Sanitätsdirektion des Klinikums San Raffaele Mailand, das sich bereits 2012 einen ethischen Kodex gegeben hat, erläuterte die Gründe dafür, dass sich die ethischen Prinzipien innerhalb des San Raffaele so erfolgreich verbreiten konnten: das Charisma seines Gründers und vor allem die Verwendung des betrieblichen Qualitätssystems als Instrument der Verbreitung.
Vorgestellt wurde auch die überarbeitete Neuauflage der Broschüre „Gesundheitliche Vorausplanung und Patientenverfügung“ des Landesethikkomitees. Zu den wichtigsten Aufgaben des Landesethikkomitees gehört die Unterstützung des Gesundheitspersonals, der Politik und der Bevölkerung zu ethischen Fragen, die mit der ärztlichen und pflegerischen Betreuung zusammenhängen. Das Landesethikkomitee mit seinem wissenschaftlichen Leiter Primar Herbert Heidegger hat diese Tagung organisiert. (mac)
Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.