OFT VERGESSENE PUSCHTRA WEIHNACHTSBRÄUCHE
Weihnachten, das große Fest rund um Christi Geburt, verbinden wir seit jeher mit starken Gefühlen. Dieses Hochfest, tief verwurzelt mit Glauben und Aberglauben, kannte stets eine lange Vorbereitungszeit und war reich bestückt mit den unterschiedlichsten Bräuchen, Sitten und Gepflogenheiten. Vieles davon ist heute nur noch vereinzelt und in abgeänderter Form gebräuchlich, vieles wird gar nicht mehr praktiziert und ist oft nur mehr in der Erinnerung lebendig, wie etwa das „Mungge-essen“ am Heiligabend, die Tradition, „In die Weihnachte“ zu laden oder das „Schisslluckn“ am Vorabend des Dreikönigtags.
„Kathreini sperrt die Geign eini!, sagte stets meine Mutter, denn vom 25. November an, dem Katharina Tag, war das Feiern bis zum Weihnachtstag strengstens verboten. Nun durfte man nicht mehr tanzen, jetzt musste man beten“, erzählt Regina Senfter Stauder, Obfrau des Heimatpflegevereins Sexten. „In der Adventszeit wurde täglich um 5.30 Uhr in der Kirche die Rorate gefeiert, natürlich auf Latein. Aber der Chor sang und es war festlich. Es war eine Ehre, wenn wir zum ‚Goldenen Amt‘, wie die Rorate hieß, gehen durften“, begeistert sich Theresia Berger, die 1933 in Antholz Obertal geboren ist. Maria Leitgeb von der Chronistengruppe Antholz zitiert aus der Antholzer Chronik vom Hubert Müller: „Vor der Rorate trafen sich die Knechte und Mägde um 4 Uhr früh auf der Tenne zum Korndreschen. Sie beteten gemeinsam den ‚Englischen Gruß‘ und beim Aveläuten holte der Großknecht zum ersten Schlag aus. Im gleichmäßigen Rhythmus wurde das Korn gedroschen, bis es Zeit war fürs Goldene Amt. Auf das Goldene Amt am Morgen des Heiligabend, mit dem die Adventszeit ausklang, freuten sich alle besonders, denn da wurde das ‚Anherbiglied‘ (die Herbergssuche) gesungen.“ Am 6. Dezember ging der Nikolaus in Begleitung eines Engels und eines Krampus von Haus zu Haus, berichtet Stauder: „Waren die Kinder nutz, dann trat der Nikolaus mit dem Engel ein, wenn nicht, kam der Krampus dazu.“ Auf das Ende der Adventszeit fielen die Hausschlachtungen, die sich bis zum Königstag erstreckten, so Leitgeb: „In der Regel wurde in der Nachbarschaft nacheinander geschlachtet und man hat die Bauern der Umgebung mitversorgt, so hatten alle die Feiertage über frisches Fleisch.“
HAUSALTAR – WEIHNACHTSBAUM
„Der ‚Herrgottswinkel‘ wurde für den Hausaltar weihnachtlich dekoriert und man richtete die Krippe, die über die Adventszeit langsam und liebevoll aufgestellt wurde mit selbstgeschnitzten Figuren, Moos und Zirminatasen“, weiß Berger. „Am Vormittag des Hl. Abends wurde in festlicher Stimmung, die Krippe aufgerichtet. 40 Tage lang blieb sie stehen bis Lichtmess, dem 2. Feber“, erzählt Stauder. „Ich erinnere mich an die Geschichte einer kinderreichen Familie. Die Mutter stellte in den Hausaltar eine leere Krippe für das Jesukindl. Für jede gute Tat durften die Kinder einen Heubüschel in die Krippe legen, damit das Christkindl bei seiner Ankunft recht weich liege. Und die Kinder sollen wirklich braver geworden sein“, berichtet Leitgeb. „Von meinem Vater, Jahrgang 1893, weiß ich, der Christbaum ist erst in den 20-er Jahren zu uns gekommen und hat sich eigentlich erst mit den Deutschen durchgesetzt. Und erst ab 1938 konnten wir auf unseren Hof „In do Mile“ deutsche Weihnachtslieder hören, als der Voto das erste Radiogeräte gekauft hat“, erzählt Berger. „Bei uns durfte der Christbaum nur eine Weißtanne sein. Die ganze Stubbe hat wunderbar geduftet! Dekoriert haben wir den Baum mit ‚Bauernsilber‘: Glöckchen, Vögelchen, Kugeln“, erinnert sich Stauder.
RAUCHNÄCHT
Rachnächte habe es drei gegeben, Heiligabend, Silvester und „Kinigobnt“ am 5. Jänner, erzählt Stauder: „Die ‚Maschtowurze‘, der Tiroler Weihrauch, wurde auf die Glut im Rauchfass gelegt zusammen mit getrockneten Kräutern aus dem Kräuterstrauß, der am 15. August, dem Hochunserfrauentag, geweiht worden war. Man begann mit dem Räuchern im Dachboden und ging in Rechtsdrehung durch das ganze Haus. Der Vater schritt, den Rosenkranz vorbetend, mit dem Rauchfass voraus und wir folgten ihm. Während des Betens wurde das ganze Haus mit Weihwasser besprengt. Dass der Hausbesitzer die Rauchpfanne trug, war mit ein Zeichen für das damalige patriarchalische Familiensystem. Die ganze Lauretanische Litanei hat mein Vater beim Räuchern auswendig aufgesagt. Ein Gebetsbuch zu benützen, wäre ihm einer Schande gleichgekommen.“ „Beim Räuchern ging der Vater mit der Glutpfanne voraus, ein Kind ging mit dem Weichbrunnkandile mit. Geräuchert wurden Stube, Küche, alle Schlafzimmer, Kamine, der Backofen, Stall, das Bienenhaus. Nur das Futterhaus haben wir wegen der Brandgefahr ausgelassen. Auf die Glut kam Weihrauch und ‚Paterpulver‘, welches die Kapuziner beim Kornsammeln im Herbst dagelassen hatten. Jeder musste seinen Hut oder ein Kopftuch über die Glutpfanne halten und die Kopfbedeckung anschließend wieder aufsetzten. Das sollte gut gegen Krankheiten helfen, so der Glaube“, erzählt Josef Mairvongrasspeinten aus Pfalzen. Stauder sagt, bei ihrer Mutter sei es noch Brauch gewesen, „bevor die Rachpfanne ausgeschüttet wurde, diese auf den Boden zu stellen und die Beine in den Rauch zu halten, damit man im folgenden Sommer vor Schlangenbissen gefeit war.“
IN DIE WEIHNACHTE
In den Rauchnächten war es nicht nur Brauch, zu räuchern, sondern auch „In die Weihnachte“ zu laden. Alfons Pichler, geboren 1930 in Antholz Mittertal und lebt seit 40 Jahren in Toblach, stammt aus armen Elternhaus, dem „Außenziata“: „Reiche Bauern haben arme Leute zum Festessen eingeladen. Das geschah immer am Heiligabend zu Mittag, am Silvesterabend und am Vorabend des Dreikönigstages. Am 5. Jänner 1937 war ich zusammen mit zwei Buben beim Oberhauser in die Weihnachte geladen. Dieser Hof war weit oben am Berg. Es lagen mindestens 80 Zentimeter Schnee und es schneite den ganzen Tag. Der Aufstieg zum Hof war für uns Sechsjährige sehr mühsam. Aber oben bekamen wir gut und viel zu essen. Es gab Stocktirschtlan und wir haben richtig zugelangt. Aber nicht immer hat es mir so gut geschmeckt. Wie etwa am Heiligabend als ich mit meinem Vater beim Siempta in die Weihnachte geladen war. Es gab Knödel mit Kraut. Ein Knecht meinte es gut mit mir und schöpfte meinen Teller voll. Ich brachte fast nichts runter. Zu Hause sagte ich der Mamme: ‚Lieber hätte ich ein Goggile bekommen, als in die Weihnachte zi gian.“ Manchenorts lud man in die Weihnachte auch noch am Christtag, am Neujahrstag und am Dreikönigstag zu Mittag, wie Berger weiß: „Wir haben Mägde und Knechte, die den Sommer über bei uns gearbeitet haben, aber auch ärmere Verwandte in die Weihnachte geladen und zwar sechs Mal, an den Vorabenden und den eigentlichen Festtagen. Der Heiligabend galt ja bis abends als Fasttag, weshalb es beim Mittagessen noch kein Fleisch gab, sondern ‚Orbassuppe‘, also Erbsensuppe, Tirschtlan oder Stocktirschtlan und dann noch Krapflan.“ Stauder weiß von ihrer Großmutter, dass man einst am Hl. Abend „Mungge“ gegessen hatte: „Das war ein süßes Armengericht aus Brot, Mohn, Butterschmalz und Zucker. Der damals wertvolle Zucker auf diesem Auflauf unterstrich den besonderen Anlass.“
DAS CHRISTKINDL KOMMT
„Die Freude war groß, wenn das Christkindl kam! Aber ich wollte das Christkindl auch sehen. Also schlich ich mich ums Haus, und tatsächlich sah ich eine weiße Gestalt, die sich vor unserem Stubenfenster auf und ab bewegte als wolle sie fliegen. Gebannt sah ich zu. Plötzlich nahm die Gestalt das Leintuch vom Kopf und ich erkannte meinen Vater! Da hatte ich mein Christkindl!“, seufzt Pichler. „Mit Geschenken ist das Christkindl zu uns gekommen. Die Verandatür haben wir geöffnet, damit es hereinfliegen kann, dann hat es uns Geschenke ‚ingilegg‘, wie wir dazu gesagt haben“, erinnert sich Stauder. Mairvongrasspeinten erinnert sich auch an den Volksgauben, der „besagte, dass die Kühe in der Christnacht im Stall reden konnten. Heute hätten sie wohl keine Zeit mehr dazu, da sie ja 30 Liter Milch pro Tag produzieren müssen!“
CHRISTTAG, SILVESTER, NEUJAHR
„Der Christtag war einmal ein hochheiliger Tag. Der war so unantastbar, dass man überhaupt keine Arbeit verrichten durfte, nicht mal kochen. Also hat die Muito immer schon am 23. Dezember das ‚Ofnmuas‘ gemacht. Das ist eine Art Germkuchen mit Rosinen. Dieses Essen gab es dann am Christtag zu Mittag mit Glühwein“, erinnert sich Pichler. „Zu den großen Feiertagsessen in der Weihnachtszeit gehörten die ‚Boan‘. Das waren die Saubohnen, die eigentlichen europäischen Bohnen, die schon im 15. Jahrhundert bei uns angepflanzt wurden“, berichtet Stauder. „Bei uns in Antholz ist es heute noch Brauch, dass die Kinder schon am Silvestertag zum Neujahrsogewinn gehen“, betont Berger. Warum das so ist, weiß Leitgeb aus der Chronik: „Am Silvesterabend nach der Weihnachte versammelten sich die Kinder beim letzten Hof im Obertal. Um Mitternacht lief alles talab von Haus zu Haus bei den Bauern den Neujahrreim schreiend, dafür bekamen sie Nüsse oder Kastanien. So ging es bis der ganze Schwarm herab zur Kirche ins Dorf kam. Weil die Kinder anschließend die Neujahrsmesse verschliefen, hatte der Pfarrer angeordnet, das Neujahrschreien müsse bereits am Tag davor erfolgen!“ „Beim Neujahrogewinn haben wir Verslan aufgesagt und ein paar Kastanien und Nüsse bekommen. Einmal hat eine alte Muito so getan, als würde sie uns etwas tief in unsere Tasche legen, in Wirklichkeit hat sie sich selbst Nüsse rausgeholt! Im nächsten Jahr waren wir klüger und hielten nur mehr unsere Hände auf“, lacht Pichler.
GLAUBE UND ABERGLAUBE
„Das Mittagessen des Hl. Abends nannte man ‚Heiliges Mahl‘. Vor dem Essen wurde in der Stube geräuchert. Das Haustor wurde während des Essens zugesperrt, denn ein Volksglaube besagte, dass niemand die Familie während des Essens stören dürfe, sonst gäbe es im nächsten Jahr einen Todesfall!“, weiß Mairvongrasspeinten. Erst nach Abschluss der Räucherzeremonie sei wieder das Tor aufgesperrt und die Türschwelle mit Weihwasser besprengt worden, so Stauder. „1942 kam während des Essens der Postbote mit der Post, da begann die Muito zu weinen, und wirklich musste mein Bruder Siegfried im Jahr darauf einrücken und im November 1943 ist er gefallen“, so Berger nachdenklich. Am Vorabend des Dreikönigstages kannte man den Brauch des „Schüsselluckens“ „Da saß man in der Familie um den Tisch und auch ein paar Nachbarn sind dazugekommen, weil sonst hat es ja kaum eine Unterhaltung gegeben, da hat man dann Schisslluckn gespielt und sich die Zukunft für das neue Jahr vorausgesagt. Neun Schüsseln lagen umgedreht auf dem Tisch, unter jeder Schüssel lag ein Symbol. Abwechselnd musste man die Stubbe verlassen, die Schüsseln wurden neu verteilt und beim Eintreten durfte man eine Schüssel umdrehen. Ein Schlüssel hieß, man komme in den Himmel, eine Potter, also ein Rosenkranz, hieß, man werde ins Kloster gehen, ein Engele bedeutete, man werde ein Kind bekommen und so weiter“, erzählt Pichler. „Am 27. Dezember war es Brauch, dass man für den Johannissegen Wein in die Kirche brachte. Diesen gesegneten Wein haben wir dann zu Hause getrunken, zum Gesundbleiben“, erinnert sich Berger und wichtig sei auch die „Kinnigweiche“ gewesen. „Wasser, Salz, Kreide und Weihrauch wurden am 5. Jänner in der Kirche um 12.30 Uhr geweiht. Dann lief man damit schnell nach Hause zum Rachen und zum Sprengen mit dem Kinnigwasser, denn am Vorabend des Königtages musste vor Sonnenuntergang geracht werden. Vom Kinnigwasser hatte man gut fünf Liter mit nach Hause gebracht, denn dieses Weihwasser diente auch zum Sprengen auf den Feldern für einen guten Ertrag und bei Gewittern, dass der Blitz nicht einschlug. Für Vieles von früher brauchte es schon eine gute Portion Glaube.“ (SP)
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