Das Buch, das der Historiker Kurt Bauer geschrieben hat, trägt den Titel „Die dunklen Jahre. Politik und Alltag im nationalsozialistischen Österreich 1938-1945.“ Fischer Taschenbuch. Frankfurt am Main 2017. Es behandelt die Geschichte Österreichs in der Zeit der Besetzung durch die Nationalsozialisten. In den zweiten Teil der Rezension sind Teilbereiche des Buches aufgenommen und näher besprochen. Es ist dann noch ein dritter Teil vorgesehen.
EINIGE STATISTISCHE DATEN AUS DER ZEIT NACH DEM ANSCHLUSS ÖSTERREICHS AN DAS DEUTSCHE REICH
Flächenmäßig lag das Land Österreich (rund 84.000 km2 ) zum Gebietsstand vom März 1938 an zweiter Stelle hinter Preußen (294.000 km2 ) und noch vor Bayern (76.000 km2). Gesamtfläche Großdeutschland: 555.000 km2. Das Altreich war allerdings ungleich dichter besiedelt. Hier entfielen auf den Quadratkilometer 140 Einwohner, in Österreich nur 81. Nach der im Herbst 1938 vollzogenen Angliederung von einigen südböhmischen und südmährischen Bezirken wuchs die Bevölkerung der Ostmark um 348.000 Menschen. Die großdeutsche Volkszählung vom Mai 1939 wies für die Ostmark aber nur eine Bevölkerung von ziemlich genau 7 Millionen aus. Der sich daraus ergebende Bevölkerungsschwund ist zum einen auf die Vertreibung der Juden zurückzuführen, von denen zu diesem Zeitpunkt schon Zehntausende ihre Heimat verlassen hatten. Zum anderen ist sie die Folge einer beträchtlichen Arbeitsmigration ins Altreich. Was die Konfession anging, kam es mit dem Anschluss des zu 90 Prozent katholischen Österreich zu einer Verschiebung in Richtung Katholizismus. Trotzdem waren die evangelischen Kirchen im Gesamtreich nach wie vor deutlich in der Mehrheit (56,8 Prozent). Im Altreich betrug der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung 0,8 Prozent, in Österreich 2,8 Prozent. Die meisten der 191.000 Angehörigen der israelitischen Konfession lebten in Wien. Dort lag ihr Anteil bei immerhin 9,4 Prozent der Gesamtbevölkerung, in Berlin dagegen nur bei 3,8 Prozent.
Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich war eine große Herausforderung, mit der Hitler den Gauleiter der Saarpfalz Josef Bürckel betraute. Er wurde zum „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ ernannt und hatte für die staatliche, wirtschaftliche und kulturelle Wiedervereinigung Österreichs zu sorgen. Wichtig war vor allem, dass jegliche Sonderstellung Österreichs so schnell wie möglich verschwand. Wien sollte keine Hauptstadt mehr sein, sondern praktisch im Deutschen Reich aufgehen. So wie das Deutsche Reich nach 1933 wurde jetzt auch das ehemalige Österreich in Gaue eingeteilt. Ein Vorschlag sah vor, insgesamt vier Gaue zu schaffen. Dann kam es aber gemäß den Wünschen Hitlers zu einer Siebernerlösung (insgesamt 7 Gaue), die nur für zwei Jahre gedacht war, dann aber bestehen blieb.
Nach Bürckel übernahm dann der Reichsjugendführer Baldur von Schirach die Position des Gauleiters und Reichsstatthalters in Wien. In Tirol wurde Franz Hofer zum Gauleiter ernannt.
Lange bevor es zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich kam, hatten sich viele Österreicher der NSDAP angeschlossen. Die Mitgliederzahlen für das Gebiet des ehemaligen Österreich stiegen nach dem Anschluss rasant an. Zählte man Ende 1937 105.000 NSDAP-Mitglieder, waren es Ende März 1939 schon 219.000, im Juni 1940 628.000 und im März 1943 dann 693.000. Das waren ungefähr jene 10 Prozent der Gesamtbevölkerung, die Hitler als wünschenswerte Obergrenze für Parteimitglieder vorschwebten.
„Insgesamt gesehen war aber ab Kriegsbeginn ein schleichender Bedeutungsverlust der Partei gegenüber der staatlichen Bürokratie und der Wehrmacht festzustellen. Eine gewisse Rolle spielte die NSDAP noch an der Heimatfront, um Massen zu mobilisieren, um Appelle und Versammlungen zu organisieren, mit denen die Volksgenossen ideologisch aufgemöbelt wurden, oder um Ernteeinsätze sowie Spenden und Sammelaktionen aller Art durchzuführen. Ein Feld, auf dem sich die Partei in jeder Hinsicht austoben konnte, war die Hetze gegen die Juden. Ein weiteres beliebtes Betätigungsfeld: der Kampf gegen die katholische Kirche und ihre Vertreter. Dabei geriet die Partei im Laufe des Krieges aber immer mehr ins Hintertreffen. Verhältnismäßig rasch verfiel ihre Autorität.“
DIE VERTREIBUNG DER JUDEN
Schon im Jänner 1939 hatte Hitler die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa als eines der Hauptziele seiner Politik bezeichnet. Alles sollte mit der möglichst schnellen Entfernung der Juden aus dem Deutschen Reich beginnen. Hitler übertrug Reichsmarschall Göring die Letztverantwortung für die Abwicklung der Maßnahmen gegen die Juden. 1941 wurde Reinhard Heydrich beauftragt, die Vorbereitungen zu einer „Gesamtlösung der Judenfrage“ zu treffen. Diese begann nach Kriegsbegin mit der Deportation der Juden nach Osten, vor allem in die Ghettos polnischer und russischer Städte, wo die dorthin verbrachten Juden zu Hunderttausenden umgebracht wurden. Das den Juden abgenommene Geld diente dazu, um die akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit des Staates zu entschärfen. Ein diesbezüglicher Fachmann war Adolf Eichmann, der die jüdische Auswanderung (= die organisierte Vertreibung) zu seinem Spezialgebiet machte. Im Jahre 1938 wurde er nach Österreich geschickt, um dort die Außerlandesschaffung der Juden zu organisieren. Noch im gleichen Jahr entstand in Wien im Palais Rothschild die „Zentralstelle für die jüdische Auswanderung“ und ein Jahr später in Berlin die „Reichszentrale für jüdische Auswanderung“ unter Leitung Reinhard Heydrichs.
„Jeder Schritt, den das NS-Regime setzte, lief auf einen Punkt hinaus: die österreichischen Juden so rasch und vollständig wie möglich ins Ausland zu vertreiben. Zwei Monate nachdem die Zentralstelle für jüdische Auswanderung ihre Arbeit aufgenommen hatte, gegen Ende Oktober 1938, berichtete Eichmann nach Berlin, die Zahl der zur Auswanderung gebrachten Juden betrage nunmehr täglich 350. Insgesamt hätten bis Ende September 1938 rund 50.000 Juden Österreich verlassen. Der berühmteste der Vertriebenen: Sigmund Freund.“
„In Wien herrschte eine zutiefst gedrückte Stimmung unter den Menschen, die dem nationalsozialistischen Rassenideal nicht entsprachen. Das Betreten öffentlicher Parkanlagen war ihnen nicht gestattet. Auf Bänken entlang der Ringstraße und des Gürtels fand sich die Aufschrift „Nur für Arier“. Einige versteckte Bänke waren durch gelben Anstrich als „Judenbänke“ gekennzeichnet. Hier drängten sich Alte, Kinder und Kranke. Immer wieder kam es vor, dass Rudel von halbwüchsigen Hitlerjungen heranstürmten und die Leute rücksichtslos vertrieben. Mit einer einzigen Ausnahme waren die Badeanstalten der Stadt für Juden verboten.“
„Bald nach Kriegsbeginn setzten die Ernährungsämter spezielle Einkaufszeiten für Juden fest, damit arische Kunden nicht durch deren Gegenwart gestört würden. In ähnliche Richtung ging das Verbot, Schlaf- und Speisewagen der Reichsbahn zu benützen. Juden durften sich von arischen Friseuren nicht die Haare schneiden, von arischen Ärzten und in arischen Krankenhäusern nicht behandeln lassen. Sie waren aus Wartesälen und Gaststätten von Bahnhöfen verbannt. Weitere tückische Maßnahmen: Ausgehverbot nach 20 Uhr, Verbot den Wohnsitz zu verlassen, die Stadtgrenze zu überschreiten …, öffentliche Verkehrsmittel oder Telefone zu benützen.“
„Die Vorgänge in Österreich im Frühjahr 1938 hatten zu einer wesentlichen Radikalisierung der antijüdischen Politik der Nationalsozialisten geführt … Laut Verordnung vom Juni 1938 waren jüdische Geschäfte mit einem Davidstern oder der Aufschrift „Jude“ zu markieren. Im August folgte die Verordnung, dass Juden und Jüdinnen ihren Namen die Vornamen „Israel“ oder „Sarah“ hinzufügen mussten. Und schließlich hatten sie sich ab Anfang Oktober ein „J“ in ihren Reisepass stempeln zu lassen.“
Eine besonders schlimme Zeit für die Wiener Juden war der Oktober 1938. Jüdische Familien wurden aus ihren Wohnungen geworfen. Tempel wurden geschändet, Geschäfte verwüstet und Menschen misshandelt. Im Streit über den Status von in Deutschland lebenden polnischen Juden, denen Polen in einem überraschenden Willkürakt die Staatsbürgerrechte entzogen hatte, ordnete Hitler Ende Oktober drastische Maßnahmen an. Überraschend wurden rund 17.000 der im Reichsgebiet lebenden Juden polnischer Staatsangehörigkeit abgeschoben. Die Unglücklichen mussten tagelang im Niemandsland ausharren, bis Polen schließlich die Grenzen öffnete.
„Am 3. November (1938) erfuhr der sich in Paris aufhaltende siebzehnjährige Herschel Grynszpan vom Schicksal seiner von dieser Judenevakuierung betroffenen Eltern und Geschwister. Daraufhin begab er sich am 7. November auf die deutsche Botschaft und feuerte mit einem Trommelrevolver auf den Legationssekretär Ernst von Rath. Er verletzte ihn so schwer, dass er zwei Tage später starb. Grynszpan nannte Rache und Protest gegen die Barbarei Hitlers als Motiv.“
Daraufhin sollten die Juden „den Volkszorn zu spüren bekommen“. So Goebbels in seinem Tagebuch. Die betreffenden Aktionen sollten mit der Vernichtung des jüdischen Besitzes enden. Ähnlich wie in Wien trommelten überall im Reich in der Nacht vom 9. auf den 10. November („Reichskristallnacht“ die lokalen Naziführer ihre Leute zusammen, steckten Synagogen und sonstige jüdische Einrichtungen in Brand, demolierten Geschäfte jüdischer Besitzer, überfielen Wohnungen und verwüsteten sie, demütigten ihre Bewohner, malträtierten und schlugen oder ermordeten sie. Polizei und Feuerwehr waren angewiesen, den Ausschreitungen tatenlos zuzusehen. Man hatte nur darauf zu achten, dass keine „arischen Volksgenossen“ in Mitleidenschaft gezogen wurden.
„Wien, wo über 90 Prozent der österreichischen Juden lebten, war der Brennpunkt des Novemberpogroms in der Ostmark. Der Nazi-Mob zerstörte hier insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser. … Die Anzahl der während des Novemberpogroms in Wien getöteten Juden dürfte zwischen 20 und 30 liegen. Dazu kamen mindestens 42 Selbstmorde von Wiener Juden während oder als Folge des Pogroms. … Die Menge der in Wien verhafteten Juden wird in der Literatur meist mit präzise 6547 angegeben, in der restlichen Ostmark sollen es weitere 1250 gewesen sein. Aus Wien kamen rund 3000 Verhaftete ins KZ Dachau, aus dem restlichen Österreich weitere rund 750. Sie kehrten durch brutale, unmenschliche, sadistische Behandlung gebrochen und traumatisiert zurück, sofern sie nicht im Lager umkamen. Kalkül dieser unmenschlichen Behandlung war es, sie und ihre Familien zu zwingen, alle nur erdenklichen verzweifelten Schritte in Richtung Auswanderung zu unternehmen.“ Die während des Novemberpogroms in Hitlers Machtbereich lebenden Juden kamen zur Einsicht, dass sie nicht nur Menschen zweiter Klasse waren, sondern auch ihres Lebens nicht mehr sicher. Sie mussten weg, aber wohin?
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