Alkoholkonsum bei Jugendlichen

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Alkoholkonsum bei Jugendlichen

Drogen gegenüber haben wir gewöhnlich eine unmissverständliche Haltung: inakzeptabel, intolerabel, indiskutabel. Bei einer toxischen Substanz ändert sich unsere Wahrnehmung: Alkohol. Dabei ist Alkohol ein starkes Suchtmittel, aber Alkohol ist gesellschaftlich akzeptiert. Mehr noch. Wir machen daraus einen Genuss. Wenn es gesellig werden soll oder festlich, gehört Alkohol wie selbstverständlich dazu. Wer abstinent bleibt, gilt schnell als Spießer. Dieser Umgang mit Alkohol hat Auswirkungen auf unsere Jugend, die stets früher zum Alkohol greift. Die Folgen sind für junge Menschen weit gravierender.

 

„Psychotoxische Substanzen, wie Alkohol oder Cannabis, legen grob ausgedrückt, die Reifung des Gehirns lahm. Sie verhindern deren Weiterentwicklung. Ein Kinder- und Jugendgehirn muss aber noch viele Synapsen herstellen, welche durch Alkohol- oder Drogenkonsum unterbunden werden. Die Leistungsfähigkeit des Gehirns der Alkohol und Cannabis konsumierenden Jugendlichen ist somit eingeschränkt. Dieser Prozess hat unverkennbare Folgen: Die Frustrationstoleranz dieser Jugendlichen und später Erwachsenen ist sehr gering. Sie überschreiten gerne Grenzen, ecken überall an, halten nichts aus und verfügen oft über mangelnde soziale Kompetenzen. Letztendlich schädigen sie sich selbst“, bestätigt die Primarin des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen im Krankenhaus Bruneck, Marion von Sölder zu Brackenstein. Die Hauptaufgaben ihres Dienstes sind die Information, Prävention, Therapie und Rehabilitation von stoffgebundenen und ungebundenen Abhängigkeiten, wobei sich die Hauptarbeit um das Thema Alkohol, Drogen, Medikamentenmissbrauch, pathologisches Spielen und Nikotin dreht. Zudem bietet der Dienst noch Gespräche an, um bei der Führerscheinwiedererlangung nach Entzügen durch Alkohol oder Drogenkonsum behilflich zu sein. Im Prinzip, so die Primarin, sei das Thema Alkohol in unserer Gesellschaft ein zeitloses, heute „beginnen die Jungendlichen aber immer früher Alkohol zu konsumieren. Das ist auch eine Folge unserer ‚grenzenlosen‘ Gesellschaft. Von Kindern werden viel zu früh Entscheidungen abverlangt. Man will nicht über deren Köpfe hinweg entscheiden, sondern sie mit einbeziehen, was sie lieber trinken mögen, wohin sie lieber zum Spielen gehen wollen, ob sie lieber dieses oder jenes haben wollen. Was Kinder hier aber brauchen ist keine Entscheidungsfreiheit, sondern Grenzen. Grenzen können durchaus unangenehm sein, können auch mal von oben herab diktieren, aber Grenzen bieten immer auch einen Schutz. Und gerade dieser Schutz ist es, den wir als Kinder dringend brauchen, um uns gesund zu entwickeln. Diese Tatsache wird inzwischen auch von der modernen Pädagogik zunehmend wiedererkannt.“ Die Landtagsabgeordnete der Süd-Tiroler Freiheit Myriam Atz Tammerle, verfolgt schon seit Jahren die Problematik des Koma-Trinkens bei Jugendlichen: „Nachdem die Anzahl von Alkoholvergiftungen im Jahr 2015 mit 192 Fälle bei den bis 25-jährigen Jugendlichen rückläufig war, stiegen die Krankenhausbehandlungen durch übermäßigen Alkoholkonsum bei den unter 25-Jährigen im Jahr 2016 auf 325 Fälle an. Das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einem besorgniserregenden Anstieg von 70 Prozent. Von den 325 Jugendlichen mussten 43 sogar stationär in einem Krankenhaus behandelt werden. Einige betroffene Jugendliche waren nicht älter als zwölf Jahre. In 31 Fällen waren die Patienten männlich, in zwölf Fällen weiblich.“ „Alkohol ist in unserer Gesellschaft stark verankert. Immer noch reagieren manche Eltern bei regelmäßigem Alkoholkonsum ihrer Kinder weniger alarmiert als bei regelmäßigem Cannabiskonsum. Uns kommt es in der Arbeit mit Jugendlichen und Eltern darauf an, die Funktion zu verstehen, welche jegliche Substanz oder jegliches Verhalten (auch übermäßiges Computerspielen) für das Kind erfüllt. Will der Jugendliche kurzzeitig ein Problem aus der Welt schaffen, es nicht so intensiv spüren, will er zur Gruppe gehören usw. Hier setzt die Beratung an“, informiert Psychologin Veronika Rottensteiner, Koordinatorin von Exit und Ansprechpartnerin für das Projekt CREW.

DIENST EXIT UND PROJEKT CREW
„Der Dienst Exit des Vereins La Strada – der Weg, der südtirolweit bereits seit 40 Jahren mit verschiedensten Diensten tätig ist, bietet Beratung, Unterstützung und Vermittlung zwischen Eltern und Kindern. Es finden Einzelgespräche, Eltern- bzw. Familiengespräche statt. Der Dienst richtet sich an Jugendliche und Erwachsene, die einem erhöhten Risiko von Sucht ausgesetzt sind bzw. bereits Erfahrungen mit Substanzen gemacht haben, sowie an deren Angehörige, Partner und Freunde. Der Dienst ist seit 2004 landesweit aktiv mit dem Ziel zu vermeiden, dass der experimentelle Konsum sich zu einer chronischen Abhängigkeit entwickelt“, erläutert Rottensteiner und verdeutlich zu CREW: „Das Projekt CREW des Vereins La Strada – der Weg bietet landesweit sowohl in deutscher als auch italienischer Sprache Unterstützung für Eltern an. Im Rahmen einer von einem Experten angeleiteten Gruppe für Eltern und Angehörige jugendlicher Konsumenten oder abhängiger Menschen fördert ein Training den Erwerb elterlicher und erzieherischer Kompetenzen, zur Stärkung der Beziehung und Kommunikation mit den Kindern. Es war uns wichtig, den Angehörigen einen geschützten Rahmen zu bieten und die Familie ganzheitlich zu betreuen. Natürlich bieten wir den Eltern auch Einzel- oder Familiengespräche an, doch sehr oft hilft es den Angehörigen, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen; sie merken, dass sie nicht alleine sind.“

27 JAHRE DIENST IM PUSTERTAL
„Unser Dienst für Abhängigkeitserkrankungen hatte seinerzeit dem Projekt CREW bewusst abgesagt, weil wir hier selbst über ausreichend Ressourcen zur Therapiegruppenführung verfügen. Diesen Dienst gibt es im Krankenhaus Bruneck nun bereits seit 27 Jahren, und von Anfang an haben wir in die Beratung auch stets die Angehörigen miteinbezogen. Wir bieten selbst individuelle Psychotherapiegruppen an und es gibt die CAT-Gruppen für Angehörige und Betroffene gemeinsam. Wir verfügen selbst über viel Gruppenerfahrung. Im Pustertal sind wir sogar führend, besonders was die Therapie von Alkoholproblemen betrifft, das ist unser Schwerpunkt bereits seit 27 Jahren“, expliziert Primarin von Sölder.

PUSTERER JÜNGSTE KOMA-SÄUFER?
„Die Aussage, die jüngsten Koma-Säufer seien im Pustertal zu finden, wie man in Presseberichten lesen konnte, hat nach meinen Erkenntnissen und Recherchen nie gestimmt. Die jüngsten Patienten sind um die 13-15 Jahre. Zum Glück handelt es sich häufig um Erstkonsumenten, die mit dem Stoff nicht vertraut sind. Dass diese Patienten so jung sind, hängt damit zusammen, dass die Jugend früher ausgeht und zum Teil ganz unvorbereitet konsumiert, ohne überhaupt zu wissen, was sie tut. Und die soziale Kontrolle, die es früher durch die Älteren gegeben hat, ist nicht mehr vorhanden. Zudem lässt sich heute auch niemand mehr von einem anderen etwas sagen“, bestätigt Primarin von Sölder, fügt aber hinzu, „allerdings ist die Zahl derer, die mit einer Alkoholvergiftung eingeliefert werden, gleichgeblieben und wir sprechen von unter zehn pro Jahr. Im Jahr 2016 waren es etwa fünf ‚Koma-Säufer‘, die ins Krankenhaus Bruneck eingeliefert wurden. Diese Jugendlichen waren schwerst mit Alkohol vergiftet. Dieser Zustand wird schnell erreicht, ist man mit der Wirkung von Alkohol auf seinen Körper nicht vertraut. Geringe Alkoholmengen reichen da aus. Die Koma-Säufer sind in den meisten Fällen unfreiwillige Missgeschicke aufgrund von totaler Fehleinschätzung der eingenommenen Substanz. Um Kinder vor solchen Unfällen zu schützen, muss die Problematik in den Familien thematisiert werden. Wir bieten bei Alkoholvergiftungen eine Beratung an die Jugendlichen und die Eltern an, die sie auf freiwilliger Basis nutzen können.“ Atz Tammerle kam bei ihrer Recherche zu folgendem Ergebnis: „Im Zeitraum zwischen 2007 und 2016 hat sich die Anzahl der Fälle von Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen von 158 auf 325 Fälle mehr als verdoppelt. Diese erschreckenden Zahlen zeigen, dass hier eine Fehlentwicklung in unserer Gesellschaft vorhanden ist. Davor darf man die Augen nicht verschließen. Politik, Jugendorganisationen und natürlich die Gesellschaft im Allgemeinen ist wieder stärker gefordert, damit es möglichst bald wieder zu einer Trendumkehr kommt.“

Myriam Atz Tammerle:
„Wir dürfen als Gesellschaft das Problem Alkohol nicht verharmlosen.“

JUGENDLICHE SIND GEFÄHRDETER
„Risikoverhalten ist ein Bestimmungselement der jugendlichen Entwicklungsphase und ist Teil der Jugendkultur. Doch Jugendliche bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit, sowohl biologisch, psychisch und sozial. Ist ein Jugendlicher zum Beispiel familiär vorbelastet oder hat der Suchtmittelkonsum die Funktion zur schulischen oder familiären Belastungskompensation, besteht eher Gefahr der Entwicklung eines missbräuchlichen Konsumverhaltens. Deshalb geht es in der Beratung zunächst darum, Risiko und Schutzfaktoren zu ermitteln, um dann Entwicklungs-, Kompetenz- und Ressourcen fördernd zu arbeiten“, verdeutlicht Rottensteiner. „Jugendliche sind generell gefährdeter als erwachsene Menschen, aufgrund des noch unreifen und sich in Entwicklung befindlichen Gehirns, somit schaffen psychotrope Substanzen eine Einbahn im Gehirn und andere synaptische Wege werden nicht beschritten. Damit sieht man dann eine Entwicklungshemmung oder Verzögerung viel schneller als bei einem Erwachsenen. Es gibt dann auch familiäre Dispositionen, eine Abhängigkeit schneller als andere Menschen zu entwickeln, das wissen wir aufgrund von genetischen Untersuchungen. Also wenn in einer Familie Alkoholabhängigkeit oder andere Abhängigkeiten häufig vorkommen, bin ich als Mitglied einer solchen Familie wahrscheinlich erhöht gefährdet. Frauen werden bereits aufgrund einer anderen Verteilung von Alkohol im Organismus schneller abhängig als Männer bei derselben Konsummenge (doppelt so schnell), ohne psychogene Faktoren zu berücksichtigen. Besondere psychische Probleme scheinen die Abhängigkeitsentwicklung ungünstig zu beeinflussen, wie Ängste, depressive Verstimmungen und vor allem wenn der Alkoholkonsum eine Funktion übernimmt, ist die Entwicklung zur Abhängigkeit gut gebahnt“, weiß von Sölder.

Veronika Rottensteiner:
„Mit der Beratung den Grund der Drogenkonsumation erkennen.“

ALKOHOL – VERHARMLOSTE DROGE
Atz Tammerle warnt vor den mitunter lebensbedrohlichen Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum: „Alkohol schädigt Kinder sehr viel mehr als Erwachsene. Umso mehr gilt es, die jungen Menschen diesbezüglich vorbeugend aufzuklären und Betroffene fachkundig aufzufangen, um sie vor einem Wiederholungsfall zu bewahren.“ Primarin von Sölder betont: „In Italien versterben jährlich immer noch 30.000 Menschen an den Folgen von Alkohol und alkoholassoziierter Folgeerkrankungen, das ist eine hohe Zahl und dabei sind die Unfälle noch nicht mit eingerechnet. Alkohol als Substanz ist 2015 von der WHO als krebserzeugende Substanz klassifiziert worden, und das wurde eine Zeitlang überhaupt nicht berücksichtigt. Effektiv sehen wir bei chronischen Alkoholikern lange Zeit eine scheinbar stabile Gesundheit, bis das Immunsystem zusammenbricht und sich Tumoren zeigen. Es ergibt sich eine erhöhte Prävalenz von Tumoren im Mundbereich und dem gesamten Gastrointestinaltrakt, eine vorzeitige Verkalkung der Gefäße mit Arteriosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall und Durchblutungsstörungen. Auch andere Erkrankungen treten häufiger in Zusammenhang mit einem erhöhten Alkoholkonsum auf, aber natürlich erst nach ausreichend langer Zeit. Bei kurzfristig erhöhtem Alkoholkonsum haben wir es vor allem mit Unfällen, Trunkenheitsfahrten und eventuell mit Krampfanfällen zu tun. Je jünger die Alkoholkonsumenten sind und je häufiger die Konsumation stattfindet, desto gravierender sind die Auswirkungen für den Körper. Auch wenn es für diese Altersgruppe typisch ist, unempfindlich auf erwachsene Ratschläge zu reagieren, so sind Jugendliche doch weitgehend von dem beeinflusst, was sie im Elternhaus und im Freundeskreis sehen.“ (SP)

Marion von Sölder zu Brackenstein:
„Alkohol hat verheerende Folgen auf das kindliche Gehirn.“