Pfalzen – In Pfalzen ist das Geschichtsfieber ausgebrochen. Eine ganze Dorfgemeinschaft stellte sich die Frage: „Woasche nöi, wie’s fria wor? – Pfalzen von 1950 bis 2000“. Jung und Alt haben bei einem Geschichts-Projekt ihre eigenen Wurzeln erforscht und sie für die Nachwelt in Wort und Bild festgehalten.
Wie sich die Veränderungen der damaligen Zeit am eigenen Leib anfühlten, können fünf Zeitzeugen aus Pfalzen erzählen. Marianne Leitner, Josef Harrasser, Josef Mairvongraßpeinten, Johann Hopfgartner und Hans Gasteiger waren damals Kinder.
„SCHUILE GIEN“
Wie das Leben für Schüler in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in Pfalzen ausgesehen hatte, weiß Josef Harrasser: „das erste, was wir in der Grundschule gelernt haben war, was wir bei Fliegeralarm zu tun hatten. Beim ertönen der Sirene mussten wir alle sofort unter die Schulbänke. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie die amerikanischen Flugzeuge von Brixen über dem Astjoch auftauchten und in Percha versuchten die Brücke zu bombardieren.“ Manchmal sei es ihnen gelungen. Hinter Büschen und Brücken habe er sich mit Schulfreunden versteckt, wenn sie sich gerade im Freien aufhielten, erzählt Josef Harrasser, der Jahrgang 1938 ist und die ersten fünf Jahre die Grundschule in Pfalzen besuchte. „Am ersten Schultag habe ich das erste Mal erfahren, dass ich nicht Seppl, sondern Josef heiße, amüsiert sich Josef Harrasser. „Beim Italienischunterricht sind wir die ersten drei- bis viermal aus der Klasse gestürmt, bis die Lehrerin von einem Carabinieri begleitet wurde. Das Gedicht in italienischer Sprache, das ich vor 70 Jahren gelernt habe, kann ich allerdings noch. Die Italienischlehrerinnen hatten es damals nicht leicht.“
„IN HERRGOTT DONKN“
Das damalige bäuerliche Leben in der Großfamilie war geprägt vom Glauben, vom Gebet und von religiösen Bräuchen erzählt Josef Mairvongraßpeinten. „Es wurde bei uns in der Familie viel und oft gebetet. Am Morgen, vor und nach dem Mittagessen, am Nachmittag und am Abend. Der Abendrosenkranz wurde kniend gebetet. Wir haben den Rosenkranz entweder in der Stube oder im Sommer auch im Freien auf der Bank vor dem Haus gebetet. Vor dem Schlafengehen oder wenn wir einmal weiter reisen mussten gab es von unserer Mutter immer ein Kreuzzeichen mit Weichbrunn. Auch der Pfarrer hat uns oft besucht, er hat Stall und Familie gesegnet.“ Als Zeichen der Frömmigkeit seien damals im „Herrgottswinkel“ je nach Fest die Heiligenstatuen ausgetauscht worden, so Josef Mairvongraßpeinten. „Zu Weihnachten legten wir das Christuskind hinein, von März bis Mai war der Josef dran und ab Mai dann die Marienstatue. Mir tat der Josef immer leid, weil er nur drei Monate in den Hergottswinkel durfte. Dann hab ich den Josef genommen und hab mich mit ihm ein bisschen auf die Ofenbank gelegt, dann war er nicht so alleine.“
„AUSTIEN UND GELD VODIEN“
Marianne Leitner macht in ihren Erinnerungen deutlich, dass damals Lehrjahre keine Herrenjahre waren. Sie war eine der ersten bezahlten Verkäuferinnen die damals im örtlichen Kaufhaus arbeitete. Ihre Lehrzeit begann die gebürtige Eppanerin allerdings in Bozen mit 14 Jahren. „Die Zeiten waren sehr streng, ich musste von 7.00 Uhr in der Früh bis um 8.00 Uhr am Abend arbeiten, dann ging ich zu Fuß nach Hause. Das hab ich nur einen Monat geschafft. Mein Vater hat dann auch eingesehen, dass ich eine andere Arbeitsstelle brauche, erzählt Marianne Leitner. Verdient habe sie im ersten Jahr 5.000, im zweiten Jahr 10.000 und im dritten Jahr 15.000 Lire. „Das war um diese Zeit recht gut. 1969 bin ich dann nach Pfalzen gezogen und habe später im Geschäft Hitthaler gearbeitet. Die Waren lagerten zu dieser Zeit alle lose, in Kübeln oder in Papier eingepackt. Alles musste von Hand aussortiert und verpackt werden.“
„SICH ZI HELFN WISSN“
Johann Hopfgartner ist in Platten, einem Bergweiler von Pfalzen aufgewachsen. Nach Platten, gelegen auf ca. 1500 Metern Meereshöhe über dem Dorf, führte damals noch keine Straße zu den Höfen hinauf. Durch Aufhängen eines weißen Leintuches habe man unten mit den Dorfbewohnern kommuniziert, so Johann Hofpgartner. Die entlegenen Höfe hätten mit widrigen Bedingungen zurechtkommen müssen, Wasserknappheit und unwegsames Gelände erschwerten das bäuerliche Wirtschaften und Leben. Bei Unglücken oder Unfällen seien diese Umstände besonders zum Tragen gekommen. So auch beim Kaminbrand im Jahre 1967 an den sich der Jüngste in der Zeitzeugenrunde genau zurückerinnert. „Ich war ein Bub von sieben Jahren und bei uns brannte es; ein Kaminbrand. Mein Vater hatte am Abend einen Schab zum Trocknen in den Ofen gegeben. Es war eine sehr kalte Winternacht und im Winter gab es bei uns fast kein Wasser. Die Frauen haben sich versammelt und haben alle zusammen laut um Hilfe gerufen, doch unten im Dorf tat sich nichts, niemand hörte uns. Mein Bruder wurde dann schnell ins Dorf geschickt, um jemanden zu holen. Als die Feuerwehrleute eintrafen, hatten wir mit den wenigen Kübeln Wasser die wir für das Vieh bereit hielten und nachbarschaftlicher Hilfe das Feuer eindämmen können.“ Wie schwierig das Leben zu dieser Zeit auf Platten gewesen sein musste, macht auch der Unfall des damals vierjährigen Johann anschaulich. „Ich habe mir beim Dreschen in den Zahnrädern der Windmühle meine Hand eingeklemmt und musste schnell ins Spital gebracht werden. Mein Vater hat mich den Berg runtergetragen. Es gab kein Handy oder eine Rettung wie heute. Im Dorf hat es nur zwei Autos gegeben. Meine Hand konnte zum Glück gerettet werden.“
„SELBO AUBAUDN“
Hans Gasteigers Familie siedelte sich schon früh in Issing beim heutigen Issinger Weiher an. Der Pfalzner, Jahrgang 1933, erinnert sich an seine Großeltern, die an diesem Ort den Grundstein für die späteren wirtschaftlichen Entwicklungen und den Issinger Weiher legten. Er selbst habe dann 1959 ein eigenes Haus gebaut und das Elternhaus erfolgreich an „Bozner Sommerfrischler“ vermietet. „Das Haus hatte noch ein Plumpsklo. Ich richtete das Haus für diese Gäste her. Bis ich ein Auto besaß musste alles von Kiens zu Fuß nach Issing heraufgetragen werden. Die Herrschaften aus Bozen sind dann auch viele Jahre zu uns gekommen, hatten aber immer ausgefallenere Wünsche. Meine Frau musste ihnen die Schnürsenkel zubinden, das war uns dann zu viel und wir konzentrierten uns auf andere Gäste. 1973 haben wir dann eine Pension aufgebaut, es war ein Familienbetrieb.“ Auch der heutige Issinger Weiher wurde damals von der Familie Gasteiger zum Badesee umfunktioniert.
GESCHICHTE IN BILDERN
Karl Passler ist passionierter Sammler. Über Pfalzen hat er über 2.500 historische Bilder zusammengetragen und für die Nachwelt archiviert. Das Projekt „Woasche nöi, wie’s fria wor?“ hat er mit einer historischen Fotoausstellung unterstützt. „Die Ausstellung umfasst ca. an die 450 historische Fotos. Ich habe verschiedene Themenbereiche gewählt. Einige Fotos sind 120 Jahr alt.“ Schule, Handel, Handwerk, Fremdenverkehr, kirchliches und bäuerliches Leben oder Abbildungen zum Brauchtum reihten sich auf den Schautafeln im Vereinshaus in Pfalzen aneinander. „Auf den historischen Fotos kann man den Wandel genau beobachten, den das Dorf und seine Bevölkerung durchlebt haben. So zum Beispiel bei den Schulfotos. 1718 fotografiert zu werden hatte einen völlig anderen Stellenwert als heute. Es war ein Großereignis und eine ernste Sache, für das die Kinder ihr Sonntagsgewand angezogen haben. Die Anspannung ist den Kindern ins Gesicht geschrieben. Was noch auffällt ist, dass auf jedem Schulfoto auch der Dorfpfarrer zu sehen ist, weil damals der Religionsunterricht vom Pfarrer abgehalten wurde. Bis in die 60er-Jahre gab es noch die Feiertagsschule, die die Jugendlichen nach der achten Klasse immer am Sonntag drei Jahre lang besucht haben. Diesen Unterricht hielt ebenfalls der Pfarrer ab“, erzählt Karl Passler weiter. Über das kirchliche Leben der Dorfgemeinschaft habe der Sammler auch viele Fotos bekommen. „Die Fotos dokumentieren Kirchgang, Prozession, Heirat, Primiz, Glockenweihe, Erstkommunion und Firmung. Bei meinem Bruder, der als Kind verstarb, wurde zum Beispiel noch die Erstkommunion und die Firmung vorgenommen, für die vorher noch der Firmunterricht am Bett des Kindes abgehalten wurde“, erinnert sich Karl Passler. Eindrucksvolle Fotos seien auch jene des bäuerlichen Arbeitens zu jener Zeit. „Es gab vorwiegend Kleinbauern, die eine oder zwei Kühe besaßen, die jeden Tag auf die Weide getrieben wurden. Kühe hüten war eine wichtige Beschäftigung. Die historischen Fotos zeigen beschwerliche Arbeiten, so zum Beispiel das Eare schonzn. Die Bergbauern transportierten mit Hilfe eines Fuhrwerks die Erde, die durch Witterung und Arbeiten den Hang heruntergerutscht ist, wieder hinauf. So musste es zum Beispiel in Platten gemacht werden. Interessant ist auch der Transport der ersten Milchlieferungen. Die Wägen mit den Milcheimern wurden von Hunden gezogen. Den ersten Traktor gab es in Pfalzen 1962. In dieser Zeit sind auf den historischen Fotos auch die ersten Busse und Gäste zu erkennen, ebenfalls das erste Gästezimmer mit fließendem Wasser im Gasthof Edy“, weiß Karl Passler noch. „Für mich ist es eine Freude und eine Genugtuung zugleich eine so wertvolle Arbeit für die Nachwelt und die Zukunft von Pfalzen zu leisten.“
EIN DORF KOMMT ZUSAMMEN
Das ganze Dorf traf sich am 13. April im Vereinshaus in Pfalzen, um diesen geschichtlichen Rückblick zu feiern. Volkskundler Hans Grießmair durchleuchtete die Geschichte von Pfalzen durch ein Referat, die Zeitzeugen machten durch ihre Erzählungen die Geschichte lebendig und die Kinder der Grundschule hatten Lieder und ein Theaterstück einstudiert. Durch den Abend führte Norbert Seeber.
SONDERAUSGABE PFALZNER DORFBLATTL
Gemeinsam mit ihren Lehrerinnen Magdalena Harrasser, Margareth Außerhofer, Brigitte Leitner, Sigrid Weger und Melanie Zassler sowie dem Lehrer Martin Seeber haben die Schülerinnen und Schüler der 3.,4. und der 5. Klasse Grundschule Pfalzen im April eine Sonderausgabe der Dorfzeitung „Pfalzner Dorfblattl“ gestaltet und damit die Idee des Bildungsausschusses Pfalzen treffend umgesetzt.
(TL)
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