Bruneck – Über Ernährung wird heute viel gesprochen, in Medien, im Netz oder sozialen Netzwerken finden wir zahlreiche Ernährungstrends, welche oft unkritisch nachgeeifert werden. Diesen Theorien fehlt häufig der wissenschaftliche Hintergrund, sie sind einseitig, bedeuten teils eine massive Lebenseinschränkung und lösen Angst vor dem Essen aus. Barbara Mairhofer, Koordinatorin des Dienstes für Diät und Ernährung im Gesundheitsbezirk Bruneck räumt mit einigen vorgefertigten Wahrheiten auf.
„Essen ist ein emotionaler und vielschichtiger Fixpunkt im täglichen Leben eines jeden Menschen. Genauso emotional und vielschichtig überschlagen sich die Trends, die Moden und die damit verbundenen Ideologien und Falschinformationen von Ernährungsextremisten, die ihr Konzept als das einzig Wahre erkennen und alle etwas gemeinsam haben: Sie wollen sich abgrenzen von der industrialisierten Lebensmittelproduktion mit allen damit verbundenen negativen Folgen. Dies mag ein guter Grund sein, aber um sich gesund zu ernähren braucht man keine Ideologien, die bestimmte Lebensmittel pauschal verteufeln“, weiß Barbara Mairhofer.
Ist „ohne“ besser?
Ob Kuhmilch oder Weizen, Paleo, Low Carb oder Vegan, immer mehr Menschen würden aus Überzeugung auf immer mehr Lebensmittelbestandteile verzichten. Gluten, Laktose, Fruktose oder Kohlenhydrate der Bösewicht scheine überall drin zu stecken und der oft nüchterne wissenschaftliche Blick verliere an Bedeutung, betont die Ernährungstherapeutin und weist darauf hin, dass „Vegan, Low Carb, Gluten-, Laktose- und Fruktose-frei heute durch die Industrie gezielt an die breite Masse vermarktet und damit ordentlich Umsatz gemacht wird. Die Kreativität der „Frei-von-Produkten“ ist enorm. Dabei sind diese überteuerten Ersatzprodukte meist sehr stark verarbeitet und enthalten jede Menge Zusatzstoffe.“ Dabei sei es laut der Ernährungstherapeutin so, dass Kuhmilch vom Großteil der Bevölkerung immer noch gut vertragen wird und für manche Bevölkerungsgruppen eine wertvolle Kalzium- und Vitaminquelle darstellt. Auch sei die wissenschaftliche Evidenz einer Histaminintoleranz immer noch sehr begrenzt und damit eine verlässliche Laborbestimmung zur definitiven Diagnose nicht vorhanden. „Das stört allerdings niemanden. Verallgemeinerte Warnhinweise, die aus einem Mix von Halbwahrheiten, Essensdogmen, persönlichen Meinungen und Erfahrungen bestehen, erschweren zunehmend unsere Arbeit. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer, allein der Glaube löst Symptome aus und die geschürte Angst vor dem Essen lässt so manchen sich von den eigenartigsten Theorien überzeugen“, sagt Barbara Mairhofer.
„Essen wird gebloggt, geklickt und gegoogelt“
Ein neues Phänomen mache sich breit, sagt Barbara Mairhofer: „Die Orthorexie, die ständige Auseinandersetzung mit dem Essen, die Besessenheit sich gesund zu ernähren, das oft dazu führt, dass kein normales Leben mehr möglich ist. Solche Selbstbekenntnisse zur eigenen Ernährung finden wir überall. Das Internet ist voll davon, es wird gebloggt, geklickt, gegoogelt.“ Kritisch sieht Barbara Mairhofer das Ganze jedoch, wenn Kinder und Heranwachsende als Zielgruppe ausgewählt werden. Ge- und Verbot in der Ernährung würden bei Kindern oft dazu führen, dass sie erst richtig attraktiv werden. „Oft wurden ihnen von ihren besorgten Müttern bereits die Weichen gestellt und einer Diät als Einstiegsdroge in eine Essstörung steht nichts mehr im Wege. Essstörungen, speziell die Magersucht nehmen leider ständig zu.“
Ernährung als Glaubensersatz
„Dabei wäre es so einfach: nie zuvor hatten wir ein so reichhaltiges Angebot an Lebensmitteln. Bei uns muss niemand mehr hungern und doch, oder gerade deswegen, wird aus dem Ganzen ein Problem gemacht, eine Religion. Wir essen zu viel, zu stark verarbeitete Lebensmittel, kommen mit der gigantischen extensiv global vermarkteten Lebensmittelproduktion nicht zurecht und flüchten uns in einen Glauben, der oft paradoxer nicht sein kann.“ Die Ernährungslehre sei, durch Ver- und Gebote unseres Ernährungsalltags, zu einer neuen Lehre des Glaubens geworden. „Wir könnten gelassener sein, mehr genießen, anstatt uns ständig verrückt zu machen“, meint Barbara Mairhofer.
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