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Ein Dach über dem Kopf

Sie sind oft jahrelang unterwegs, um eine neues Zuhause zu finden. Im Pustertal gibt es drei Flüchtlingshäuser, wo sich Menschen, um Menschen kümmern. Damit diese Flüchtlinge hier ein Zuhause finden braucht es mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Der „Puschtra“ hat in Flüchtlingshäusern im Pustertal und bei Experten nachgefragt.

Millionen von Menschen sich weltweit auf der Flucht. Die Gründe dafür sind unterschiedlicher Natur: Krieg, Hunger, Gewalt und Verfolgung sind einige davon. Die Flucht ist meist die einzige Chance, um zu überleben. Nicht selten wird die Flucht zu einer Reise ins Ungewisse, die sehr gefährlich und belastend für die Betroffenen sein kann und meist in einem völlig fremden Land endet. Solche Menschen leben dann in Aufnahmezentren, wie sie es auch im Pustertal gibt.

Das Josefsheim hat Kapzitäten für 42 Bewohner.

Im Fischerhaus in Vintl leben alleinstehende Männer und Frauen.

Flüchtlingshäuser im Pustertal
Im Pustertal gibt es derzeit drei Flüchtlingshäuser, wo Flüchtlinge untergebracht sind: Das Fischerhaus in Vintl, das Josefsheim in Bruneck und das Aufnahmezentrum Ex-Drusus in Innichen. In diesen Häusern, die für die Flüchtlinge für einige Zeit zum eigenen Zuhause werden, werden sie unterstützt und begleitet, solange ihr Antrag auf Asyl bearbeitet wird. Michael Peintner ist der Leiter der vier Flüchtlingshäuser in Vintl, Bruneck, Brixen und Sterzing, die von der Caritas betreut werden. Zurzeit betreut die Caritas 400 Flüchtlinge in Flüchtlingsheimen in Bozen, Meran, Prissian, Vintl, Mals Kastelruth, Brixen, Ritten und Bruneck. Das Aufnahmezentrum Ex-Drusus in Innichen wird von der Sozialgenossenschaft River Equipe in Zusammenarbeit mit dem Verein Volontarius geführt. Die Sozialgenossenschaft führt auch noch Flüchtlingsunterkünfte in Schlanders, Riffian, Leifers, die Ex-Gorio Kaserne und die Unterkunft Enaudi in Bozen, Meran, das Ex-Hotel Alpi und das Haus Forni in Bozen. „Ich betreue die östliche Zone von Südtirol und wir haben unterschiedliche Zielgruppen. Im Fischerhaus in Vintl leben derzeit insgesamt 30 alleinstehende Männer und Frauen, auch alleinerziehende Mütter mit Kindern und in Bruneck sind zurzeit insgesamt 40 alleinstehende Männer im Haus. Wir haben die Kapazität 42 Menschen unterzubringen“, erklärt Michael Peintner im Interview. Das Haus sei nicht nur da, eine Unterkunft zu bieten, sondern, um den Flüchtlingen soweit zu helfen, dass sie nach dem Auszug aus dem Haus ein eigenständiges Leben führen können, erklärt der Leiter.

Hilfe zur Selbsthilfe
Michael Peintner betont: „Wir sind nicht dazu da, um dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge Asyl bekommen.“ Diese Meinung würde Peintner oft zu Ohren kommen und das störe ihn, denn dies gehöre weder zu seinen Aufgaben, noch zu den Aufgaben seines Teams. „Wir begleiten sie beim Asylantragsverfahren. Das Asyl zu genehmigen ist Angelegenheit der Asylkommission in Verona. Unsere Aufgabe ist es die Flüchtlinge sozial zu betreuen, solange sie im Haus sind“, sagte der Leiter weiter. Laut Michael Peintner würden mit den Menschen vor allem Sprachkurse auf verschiedenen Niveaus und Bewerbungsgespräche trainiert, damit sie selbst in der Lage sind, eine Arbeit zu finden. „Der Großteil der Flüchtlinge arbeitet: Im Josefsheim sind es 34, die eine Arbeit gefunden haben und auch im Fischerhaus arbeiten über die Hälfte der im Haus Lebenden. Sie gehen ganz normalen Jobs nach, wie Mauerer, Tischler und
einige haben im Gastgewerbe eine Arbeit als Aushilfskoch oder Reinigungskraft gefunden. Für Frauen ist es schwierig eine Arbeit zu finden, vor allem wenn sie Kinder haben.“ Asylbewerber dürften bereits ab dem dritten Monat ihres Aufenthalts in Italien arbeiten, erklärt der Leiter. Ansonsten würde im Haus so gelebt, wie in jedem anderen Haushalt auch: mülltrennen, putzen, einkaufen, kochen und arbeiten. Es gäbe Zimmer, wo zwei bis vier Personen übernachten und mehrere Küchen, wo je nachdem einzeln oder miteinander gekocht werde. Das sei jedem selbst überlassen, sagte der Leiter. Sei das Asyl entweder durch den positiven oder negativen Bescheid bestätigt, müsse der Bewohner das Flüchtlingshaus verlassen. Ansonsten würden die jeweils drei Sozialarbeiter und die zwei Nachtwächter für Vintl und Bruneck auch in rechtlichen Angelegenheiten und anderen organisatorischen Dingen den Bewohnern zur Seite stehen. Um die Integration der Flüchtlinge zu fördern würden auch Ausflüge oder auch Sportveranstaltungen organisiert, sodass ein breites soziales Unterstützernetzwerk entsteht. Als eine Herausforderung nennt Michael Peintner die Wohnungssuche nach dem Auszug aus dem Haus. „Das ist sicher das Hauptproblem zur Zeit“, erklärt Peintner. Es gäbe viel Skepsis von Seiten der Vermieter.

Für jeden eine Chance
Es gebe unter den Bewohnern auch Personen, die psychische Störungen hätten und es aufgrund von starken Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Psychosen, Posttraumatische Belastungsstörungen nicht schaffen würden zu arbeiten, sagte Peintner. „Auch diese Menschen möchten etwas tun, sie gehen aber in der normalen Arbeitswelt unter. Was solche Menschen brauchen ist eine Beschäftigung, die ihre psychische Krankheit berücksichtigt, genauso wie es Arbeitsintegrationsprojekte für Einheimische gibt. Die Menschen wollen arbeiten.“ Es gäbe auch von Seiten der Provinz Unterstützung, aber solche Hilfen müssten längerfristig angeboten werden. Die Betroffenen würden medikamentös behandelt, sie würden aber auch eine Psychotherapie brauchen. Dies sei aber sehr schwierig, weil es Schwierigkeiten gäbe die geeigneten Mediatoren zu finden aufgrund der Übersetzungen.

Der Leiter der Flüchtlingshäuser Fischerhaus und Josefsheim Michael Peintner.

Psychotherapeut und Psychiater Roger Pycha, Leiter des Psychiatrischen Dientes des Gesundheitsbezirkes Brixen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Interview mit Roger Pycha
Wir haben mit dem Direktor des Psychiatrischen Dienstes des Gesundheitsbezirkes Brixen: Dr. Roger Pycha über die Notwendigkeit einer psychiatrischen Betreuung von Flüchtlingen gesprochen.

Puschtra: Die Forderung eines Zentrums für die psychiatrische Betreuung von Flüchtlingen ist vor kurzem wieder aufgeflammt, als in Bozen ein Mann in einem Gewaltausbruch wild ums sich geschlagen hat. Kommen wir in Südtirol um dieses Thema herum?
Dr. Roger Pycha: Die Politik hat sich bisher klar dazu positioniert: Solche Zentren sind nicht gewollt und werden nicht finanziert. Landesrätin Dr. Martha Stocker hat dieses Vorgehen auch sehr gut begründet: Wir haben in Italien ein psychiatrisches Betreuungssystem, das jeden Bürger möglichst in seinem familiären Umfeld, gemeindenah und möglichst wenig im Krankenhaus behandelt. Damit ist Inklusion auch viel leichter. Ich vermute, dass Landesrat Dr. Thomas Widmann dieselbe Ausrichtung beibehält. Allerdings gilt dann auch, dass unsere bisherigen Einrichtungen vermehrt polytraumatisierten Flüchtlingen und Migranten offenstehen. Gerade das Zentrum Bach Bachgart könnte sich als psychotherapeutischer Mittelpunkt für Betroffene bewähren. Das alles fordert von uns Helfern so etwas wie globalisiertes Vorgehen. Wir sollten imstande sein, Bürger aus aller Welt nach ihren kulturellen Gegebenheiten zu begleiten, zu behandeln und zu heilen. Das sind größte Anforderungen, auf die wir uns erst vorbereiten müssen, während wir sie längst benötigen.

Es gibt Stimmen dazu, dass hier die Täter und nicht die Opfer geschützt werden! Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Täter und Opfer sind häufig eins. Der Betroffene ist ja seinerseits Immigrant, mit vermutlichen Anpassungsschwierigkeiten, und als Helfer beim Roten Kreuz sicher zeitweilig großen Belastungen ausgesetzt. Das entschuldigt wohl nichts, erklärt aber fast alles. Wir müssen davon ausgehen, dass auch psychisch Kranke den Weg nach Europa schaffen, viel häufiger aber noch, dass die Umstände des Weges krank machen können und die Ursachen für die Flucht höchst erschütternd waren. Da alle drei Faktoren zusammen wirken können, sollten wir uns eigentlich darüber wundern, dass es so wenige Verhaltensentgleisungen bei den Betroffenen gibt. Und die psychischen Krankheiten bei ihnen, die diagnostizieren wir einfach nicht. Als könne Wegschauen helfen…

Welche Vorteile würde so eine Einrichtung für traumatisierte Flüchtlinge bringen? Und welche für die Südtiroler Gesellschaft?
Der Vorteil läge in der Hochspezialisierung. Das italienische Psychiatriesystem will allen Bürgern in jedem Sektor ungefähr dieselbe Versorgung bieten. Seine Schwachstelle ist die kaum mögliche Hochspezialisierung, die sich meist auf Universitäten oder private Initiativen beschränkt. Ein Zentrum für schwer traumatisierte Flüchtlinge kann hoch spezialisierte Zugänge zur Bearbeitung der psychischen Verletzungen und Lebensbedrohung bieten, die weniger mit Sprache, mehr mit Tun und dem Körper zu tun haben. Aber wie gesagt, so etwas ist zurzeit nicht spruchreif.

Was braucht so eine Einrichtung, um gut zu arbeiten?
Ein Team aus verschiedenen Berufsbildern, begonnen bei Kulturmediatoren und Sozialassistenten, über Pfleger, Psychologen und Kreativtherapeuten hin zu psychiatrischen Fachärzten. Eine Gemeinschaft des Schutzes, des Zusammenhaltes. Minimale Infrastrukturen, kein Luxus, aber Hygiene. Eine gute, nicht ganz billige Angelegenheit jedenfalls.

Welche Rolle spielt der Standort bei so einem Zentrum?
Er ist relevant für die Inklusion der Betroffenen, in größeren Ballungszentren finden Flüchtlinge leichter Arbeit und finden auch Ihresgleichen, werden vielleicht auch leichter akzeptiert. Aber selbstverständlich wäre ein solches Zentrum auch eine Chance für kleinere Orte. In Bad Bachgart sagten sich früher Fuchs und Hase gute Nacht, und jetzt ist es in ganz Südtirol bekannt, nur wegen des erfolgreichen Therapiezentrums und der exzellenten Arbeit, die dort geleistet wird.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Hürden, so eine Einrichtung in Südtirol zu schaffen?
Es sind drei: der aktuelle politische Trend, die reale oder vorgegebene Geldknappheit im Gesundheitswesen und die lückenhafte Vorbereitung der Fachleute auf diese Herausforderung.

Würde eine psychologische Betreuung durch geschultes Personal in den Flüchtlingshäusern auch genügen?
Eine gemeindenahe Betreuung ist der unbedingt notwendige und mit etwas mehr Ressourcen sicher erfolgreiche erste Schritt. Aber es geht um gesamtheitliche Hilfe, Psychologen allein sind in dem Dschungel verloren. Es braucht ein Team aus Sozialassistenten, Pflegern, Psychologen und Ärzten. Wir setzen uns im Netzwerk psychischer Gesundheit gerade landesweit mit dem Anliegen auseinander.

Welche psychischen Probleme haben Menschen, die auf der Flucht sind und ihre Heimat, oft auch ihre ganze Familie verloren haben?
Menschen können unglaublich viel aushalten, wenn ein Hoffnungsschimmer besteht. Ich kann fast jeden Verlust tragen, wenn mir vorkommt, ich gewinne auch irgendwas und vor allem: irgendwen. Menschen, öfter auch menschenähnliche Tiere helfen Menschen am Besten in verzweifelter Lage. (TL)