Teil 1 – Es ist nicht nur eine Ahrntaler Besonderheit, dass das, was früher war, als ideal und zumindest als weitaus besser gesehen wird als das, was heute ist.
Es genügt aber, den Vorhang ein bisschen wegzuziehen, der unsere Vergangenheit verdeckt, und schon scheint ein Leben durch, das so schön gar nicht war.
Indos Gschlöss und außos Gschlöss
Es ist noch gar nicht so lange her, dass man bei uns hier der Meinung war, wirklich leben ließe es sich nur im Tale und außerhalb sei es gefährlich und die Welt böse. Die Grenze zur Welt war Schloss Taufers, das ja noch heute von seiner strategischen Konzeption her wie ein Riegel wirkt, den man knacken muss, wenn man von draußen kommt und „indos Gschlöss“ ins gelobte Land dahinter will. Und wer drinnen war, der sollte es früher möglichst vermeiden, „außos Gschlöss“ zu müssen, denn dort war er seines Lebens und noch viel mehr seiner Seele nicht mehr sicher. Es war zu Ende der 40er-Jahre des letzten Jahrhunderts, als eine Nachbarin im Sterben lag und vier minderjährige Kinder zu Waisen wurden. Es war ihr letzter Wunsch, die beiden Töchter sollten ja nie „außos Gschlöss“ kommen, ihres Seelenheils wegen, obwohl sie wusste, was ihnen blühte, wenn sie blieben, wo sie waren. Elternlose Kinder von Kleinhäuslern wurden damals noch „ausgibettlt“, wie man das hier im Ahrntal nannte, wenn sie zu Bauernfamilien kamen und sich dort in die untersten Ränge der Dienstbotenskala einreihten als Stallbuben oder Hirten, als „Kinddirnen“ oder einfach als „Gietschn“, die für fast alles zuständig waren im Haus und auf dem Felde. Für kaum jemanden war das Leben früher härter als für die zahlreichen Dienstboten. Und es betraf wirklich viele. Man schätzt, dass um 1900 ca. 20 Prozent der Pustertaler Bevölkerung in einem Dienstbotenverhältnis waren. Der Dienstbote verlor einen Teil seiner Selbständigkeit. Er unterstand der Gewalt des Bauern, seines Dienstherrn. Der schrieb ihm nicht nur vor, was und wie er zu arbeiten hatte, sondern auch, wie die Freizeit zu verbringen und wie oft er in die Kirche zu gehen hatte. Es gibt genügend Dienstbotenordnungen, die bestätigen, dass es dem Dienstherrn erlaubt war, die Dienstboten zu schlagen. Als Anlass genügte es, wenn der Hütbub das Vieh nicht heim brachte oder wenn Kühe in ein Feld einbrachen.
Viel Arbeit – wenig Lohn
Früher hing der soziale Rang einer Person vom Besitz ab, über den sie verfügte. Wer etwas gelten wollte, musste zumindest „eigenen Rauch aufsteigen“ lassen, das heißt ein Haus besitzen. Die Dienstboten waren auf Grund ihres Einkommens nicht in der Lage, ein Haus zu erwerben oder zu bauen, deswegen standen sie in der dörflichen Hierarchie noch unterhalb der Söllhäusler oder Keuschner, wie die Schicht genannt wurde, die zwar ein Haus hatte, aber keine Baurschaft, von der sie leben konnte. Die Häusler waren beruflich häufig den Taglöhnern oder Handwerkern zuzurechnen. Im Ahrntal wurde diese Personengruppe recht abfällig als Hittna bezeichnet. Der wahre Grund dafür, dass früher diejenigen, die einmal unten waren, für immer dort festklebten, waren die niedrigen Löhne, welche die Landwirtschaft zahlte. Der Jahreslohn eines Knechtes entsprach im 15. und im 16. Jahrhundert in etwa dem Monatslohn eines Prettauer Bergknappen. Daran hat sich in den Jahrhunderten danach kaum etwas geändert. Um 1778 zahlte ein Bauer in St. Lorenzen seinem Großknecht 12 Gulden Jahreslohn und das Gewand und den anderen Dienstboten entsprechend weniger. Dieser Bauer gab in dem besagten Jahr für alle Dienstboten zusammen 36 Gulden an Lohn aus. Als er zwölf Ochsen verkaufte, bekam er dafür 1300 Gulden. Daraus lässt sich errechnen, dass er mit einem Ochsendrittel alle Jahreslöhne der Dienstboten zahlte. Besonders niedrige Löhne wurden dann noch einmal in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts gezahlt. Eine Magd verdiente damals zwischen 300 und 500 Lire pro Jahr. Wenn sie sich eine einfache handgetriebene Nähmaschine kaufte, ging ein Jahreslohn drauf. Die Löhne der Knechte betrugen damals zwischen 600 und 1000 Lire, je nach Größe des Bauernhofes. Der Wert einer schönen Kuh lag bei 1000 Lire. Um einen Kilogramm Butter zu verdienen, musste ein Knecht eine Woche lang arbeiten. (RT)
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