Der Fachkräftemangel ist mittlerweile zu einem europaweiten Phänomen geworden, das alle Unternehmen vor große Herausforderungen stellt, aber auch Chancen bietet – auch für die Betriebe im Pustertal. Der Puschtra hat sich deshalb im Gastgewerbe und in der Industrie zu diesem Thema umgehört und die beiden Bezirksvertreter Anton Schenk und Thomas Walch zum Interview gebeten.
Puschtra: Der Fachkräftemangel ist für Südtirol eine große Herausforderung geworden. Wie sieht die aktuelle Situation im Gastgewerbe und in den Industriebetrieben im Pustertal aus?
Thomas Walch: Wie alle anderen Branchen haben auch wir, was Mitarbeiter angeht, eine große Herausforderung vor uns. Wir tendieren alle zur Freizeitgesellschaft und im Tourismus müssen wir mit diesem Trend auch im Mitarbeiterbereich zurechtkommen und schauen diese Herausforderungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Jeder Mitarbeiter, ob ein Einheimischer, aus Italien stammend, oder Ausländer, hat unterschiedliche Erwartungen, was seine Tätigkeit anbelangt. Weiters beschäftigen Gastbetriebe Mitarbeiter als Teilzeit- und Vollzeitkräfte. Auch diese haben unterschiedliche Erwartungen und Ansprüche. Schließlich wollen immer mehr Menschen nur fünf Tage in der Woche arbeiten. Im Gastgewerbe ist aber die Sechs-Tage-Woche üblich. All dies, aber vor allem das gestiegene Bedürfnis der Mitarbeiter, Beruf und Freizeit und Familie optimal in Einklang zu bringen, stellt viele Betriebe im Gastgewerbe vor großen Herausforderungen.
Anton Schenk: Nicht nur in der Industrie, sondern auch alle anderen Bereiche kämpfen und werben um die Jugend und um Fachkräfte. Wir versuchen alle mit den Schulen zusammenzuarbeiten, um den Jugendlichen zu zeigen, welche Berufsbilder und welche Chancen es gibt. Die industriell organisierten Unternehmen bieten den Jugendlichen ausgezeichnete Möglichkeiten für ihre berufliche Entwicklung. Chancen gibt es für Männer und Frauen mit unterschiedlichen Ausbildungen: Berufsbildung, Oberschule und Hochschule. Und es gibt in den Unternehmen viele unterschiedlichste Tätigkeiten.
Worauf führen Sie diesen Mangel an Fachkräften zurück?
Thomas Walch: In allen Sektoren, nicht nur im Gastgewerbe, sind heute topausgebildete Mitarbeiter erforderlich. Jedes Unternehmen muss Top-Qualität bieten, um bestehen zu können und den Ansprüchen des Gastes oder Kunden gerecht zu werden. Im Pustertal gibt es von der Bar bis zum 5-Sterne-Hotel rund 1400 Betriebe. Diese bieten die Qualität nicht zuletzt nur über die Mitarbeiter. Deshalb suchen die Betriebe stets nach ausgebildeten Fachkräften. Denn im Gegensatz zu anderen Branchen können wir unsere Dienstleistungen nicht durch Maschinen oder Technik ersetzen. Zur Frage zurück: Wenn die Wirtschaft boomt, suchen alle händeringend nach Mitarbeitern. Der Arbeitsmarkt gibt aber nur ein begrenztes Potential her. Und schließlich: Der akademische Abschluss ist immer noch sehr stark gefragt gegenüber einer Fachausbildung in den praktischen Berufen.
Anton Schenk: Der Fachkräftemangel ist nicht nur hierzulande ein Thema, sondern beschäftigt inzwischen ganz Europa. Ein Grund ist sicherlich die demographische Entwicklung. Die geburtenstarken Jahrgänge sind bereits in Pension oder nähern sich dieser und es kommen einfach weniger Jugendliche nach. Zudem haben die Jugendlichen heute eine Fülle von Möglichkeiten. Und in der Industrie ist es so, dass wenig bekannt ist, wie viele attraktive Arbeitsmöglichkeiten es für junge Menschen gibt. Wir im Unternehmerverband bemühen uns intensiv darum, die Jugendlichen und deren Familien darüber zu informieren. Sich wiederholende Tätigkeiten übernehmen immer mehr die Roboter, dafür entstehen andere Aufgabenfelder. Also, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden trotz zunehmender Digitalisierung auch in Zukunft die zentrale Rolle spielen
Ist die Ausbildung für die Jugendlichen hierzulande ausreichend?
Thomas Walch: Wir haben zurzeit im Pustertal die Hotelfachschule mit über 500 Schülerinnen und Schülern. Diese Schüler bekommen eine allumfassende und sehr gute gastgewerbliche Ausbildung. Darüber sind wir sehr froh. Am Ausbildungsprogramm mangelt es also nicht. Auffallend ist, dass Abgänger der Hotelfachschule von anderen Sektoren abgeworben werden, weil die Abgänger halt eine Top-Ausbildung haben, etwa in den Sprachen. Vor einiger Zeit wurde den Absolventen der letzten Jahre einen Fragebogen geschickt. Von den 409 verschickten Fragebögen wurden 40,8 Prozent beantwortet. Die Ergebnisse zeigten, dass 69,9 Prozent der Befragten noch im Gastgewerbe tätig sind, von denen, die es nicht sind, studieren 26 Prozent, 88,7 Prozent arbeiten in der Provinz Bozen und 83 Prozent der Absolventen würden die Hotelfachschule weiterempfehlen.
Anton Schenk: Ja, da sind wir im europaweiten Vergleich sicher gut unterwegs und die Schulen hierzulande sind sehr stark darum bemüht, mit der Industrie, dem Handwerk und anderen Branchen zusammenzuarbeiten. Auch wir als Unternehmerverband haben eine sehr intensive Zusammenarbeit mit den Schulen auf allen Ebenen und mit der Freien Universität Bozen. Aufgrund der Vielzahl von Ausbildungsmöglichkeiten ist es für Jugendliche mitunter schwierig, sich zu orientieren.
Welche Chancen haben die jungen Leute in Südtiroler Betrieben?
Thomas Walch: Das Hotel- und Gastgewerbe ist vorwiegend gekennzeichnet durch familiär geführte Betriebe. Das hat natürlich große Vorteile, aber auch den Nachteil, dass diese Betriebe nur sehr wenige Direktorenstellen oder Management- bzw. Abteilungsleiter bieten. Junge Menschen, die eine Top-Ausbildung bei uns und/oder im Ausland genossen haben, streben natürlich diese Positionen an. Das heißt dann für die Betriebe, das Arbeitsfeld so zu gestalten, dass sie motiviert werden, in unseren Betrieben zu arbeiten. Innovative Lösungen sind hier zum Beispiel den Mitarbeitern klare Aufgabenbereiche zuzuteilen, Hierarchiestufen einzuführen, flexible Arbeitszeitenmodelle anzubieten, aber auch den Mitarbeitern jene Infrastrukturen anzubieten, welche unsere Gäste genießen können, etwa in der Wellnessabteilung, die Nutzung des Mountainbikes und mehr.
Anton Schenk: Die Mitgliedsbetriebe des Unternehmerverbandes – jene der Industrie und der industrienahen Dienstleistungen – beschäftigen beinahe 40.000 Menschen: jeder vierte in der Privatwirtschaft unselbständig Beschäftigte arbeitet somit in einem unserer Mitgliedsunternehmen. Es handelt sich dabei um sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze. Neun von zehn Arbeitsverhältnissen sind unbefristet und die Entlohnungen in unseren Mitgliedsunternehmen sind leistungsgerecht. Mit ihren Waren und Produkten sind unsere Mitgliedsunternehmen weltweit in über 170 Ländern vertreten; sie schaffen rd. 60 Prozent des gesamten Südtiroler Exports. Schon allein diese wenigen Fakten zeigen, dass die Unternehmen den Jugendlichen attraktive Möglichkeiten bieten und in vielen Fällen neben der Entlohnung auch zusätzliche Leitungen insbesondere im Welfare-Bereich.
Welche Maßnahmen sind gefragt, um diesem Phänomen entgegenzuwirken?
Thomas Walch: Zuerst müssen wir auf die Jugend setzen und danach trachten, dass die Ausbildung an der Hotelfachschule weiterhin attraktiv bleibt. Dann müssen die Betriebe verstärkt in Mitarbeiterbindung und -führung investieren. Zudem sollen den Mitarbeitern diverse Zusatzangebote und Einzelunterkünfte angeboten werden. Natürlich muss auch die Entlohnung stimmen, wobei ich überzeugt bin, dass wir Gastwirte, im Gegensatz zu den Kollegen im restlichen Italien, unsere Mitarbeiter besser bezahlen. Wichtiger als die Entlohnung sind allerdings die Themen Freizeit und Weiterbildungsmöglichkeiten geworden.
Anton Schenk: Leider gibt es kein Patentrezept, sondern es braucht Anstrengungen auf allen Ebenen. Wir im Unternehmerverband glauben fest daran, dass es vor allem wichtig ist, zu informieren und sichtbar zu machen, welche Möglichkeiten die Betriebe heute bieten. Und wir müssen uns auch nach außen öffnen und keine Berührungsängste haben. Ein Potential z.B. sehe ich im angrenzenden norditalienischen Raum, wo es noch 15 bis 20 Prozent an Jugendarbeitslosigkeit gibt. Fachkräfte haben eine gute Ausbildung in unterschiedlichen Bereichen und damit sehr gute Chancen, schnell in einen Beruf einzusteigen.
Ist die Situation im Pustertal bereits so, dass Unternehmen daran denken, Betriebszweige auszulagern?
Thomas Walch: Es gibt Gründe dafür, warum ein Betrieb an einem anderen Standort investiert: attraktiver Standort, international aufgestellt, die Bevölkerung ist offen für Innovation und die Mitarbeitersuche ist einfacher. Das trifft zum Beispiel auf den Gardasee zu. In meiner Branche ist es nicht möglich, einen Betriebszweig auszulagern, etwa mein Restaurant anderswohin zu verlegen. Wir können nur entscheiden, einen neuen Betrieb anderswo zu öffnen. Dieser Trend ist bei uns aber nicht auffallend groß. Wenn eine Gastwirtefamilie investieren will, dann wird dies in der Regel vor Ort gemacht, wenn es die urbanistischen Voraussetzungen zulassen.
Anton Schenk: Nein, von der Industrie ist mir im Pustertal nicht bekannt, dass Betriebe allein aufgrund des Fachkräftemangels – also ohne weitere Faktoren, wie z.B. Erreichbarkeit, Bürokratie u.ä. zu berücksichtigen – Betriebszweige ausgegliedert haben oder daran denken, das zu tun.
Was bringt die Zukunft?
Thomas Walch: Wenn ich das wüsste, würde ich damit viel Geld als Unternehmensberater verdienen. Die Wirtschaft ist schnelllebig geworden. Die Betriebe müssen sich darauf so gut es geht einstellen. Die Betriebe müssen nicht jedem Trend folgen, sie müssen aber höllisch aufpassen, die Entwicklung nicht zu verschlafen. Eines noch: Im Tourismus haben wir es mit Menschen zu tun, die bei uns die schönste Zeit ihres Jahres erleben wollen. Deshalb müssen wir in der Lage sein, ihren Ansprüchen, welche stetig steigen, gerecht zu werden, damit wir sie als Stammgäste gewinnen. Das ist die größte Herausforderung für die Betriebe.
Anton Schenk: Wir stehen alle vor großen Herausforderungen, die aber gleichzeitig auch Chancen sind. Früher hat der Betrieb die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgesucht, heute suchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Betrieb aus. D.h., die Unternehmen müssen sich öffnen, immer attraktiver werden und v.a. ihre Werte und Alleinstellungsmerkmale klar kommunizieren. Es kommt immer mehr darauf an, dass das gesamte Umfeld und das Image des Betriebes stimmen, das ist bei den Jugendlichen heute oft mehr wert als die Bezahlung. (TL)
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