Einerseits wollen wir uns so gut es geht beschützt fühlen, andererseits bangen wir um unsere Freiheit. Wie in anderen Südtiroler Landesteilen haben sich auch die Gemeinden des Pustertals Gedanken gemacht, wie die öffentliche Sicherheit verbessert werden kann. Doch wie viel Sicherheit und Freiheit brauchen wir?
Einige Mitgliedsgemeinden der Bezirksgemeinschaft Pustertal haben vor einigen Jahren ihr Interesse an einem System zur Autokennzeichen-Ablesung an die Bezirksgemeinschaft bekundet, die die Koordination für ein Konzept einer pustertalweiten Videoüberwachung übernommen hat. Nun wurde das Vorprojekt ausgearbeitet und im Rahmen einer Bezirksratssitzung vor kurzem im Brunecker Rathaus allen 26 Mitgliedsgemeinden vorgestellt.
Der zuständige Techniker René Gazzoli, von der Firma Gazzoli Engineering GmbH aus Padua, hätte vorerst in Zusammenarbeit mit allen Gemeinden vor Ort die Bedürfnisse erhoben und dann die Studie ausgearbeitet. Das Vorprojekt sei deshalb ein „Zwischenergebnis“, das in den kommenden Monaten durch die Rückmeldungen von den Gemeinden und der zuständigen Arbeitsgruppe von Fachleuten und auch Sicherheitskräften noch hinterfragt werde, informiert Roland Griessmair, Präsident der Bezirksgemeinschaft Pustertal und Bürgermeister von Bruneck.
René Gazzoli erläuterte diese ersten Entwürfe der Zusammenarbeit: Für das gesamte Pustertal seien 88 Kontrollpunkte ausgemacht worden, die mit 193 Kameras ausgestattet würden. Laut dem Ingenieur würden diese Kameras bei Tageslicht, als auch bei vollkommener Dunkelheit Informationen zum Kennzeichen und zum Fahrzeug liefern. „Je flächendeckender die Kontrolle, desto besser ist sie, aber umso höher auch die Kosten“, erklärt der Präsident, der hofft, dass im Laufe dieses Jahres eine flächendeckende Lösung, die das gesamte Tal umfasst und dabei auch in einem gewissen Kostenrahmen bleibt, möglich ist. Dabei spielen für Roland Griessmair die Zielsetzungen einer Videoüberwachung die bedeutende Rolle: Prävention, Aufklärung, Verkehrskontrolle, -überwachung und -planung seien damit möglich. Laut dem Bezirkspräsident bleibt der Schutz der Daten durch klar definierte Zugangsdaten mit Passwörtern und Protokollierungen gewahrt. Dazu kommt eine Vereinbarung bezüglich des Umgangs mit den Daten mit dem Regierungskommissariat. Die Verantwortung der ablesbaren Daten hat der jeweilige Bürgermeister der Gemeinde, wo die Kameras installiert werden. Laut Griessmair sind allein für die Installation des Überwachungssystems 2,2 Millionen Euro fällig, die zur Hälfte vom Land finanziert und zur Hälfte von den Gemeinden selbst bezahlt werden müssen. „Für die Aufteilung der Kosten, die die jeweiligen Gemeinden betreffen, muss noch ein gemeinsamer Schlüssel der Kostenaufteilung zusammen diskutiert werden“, sagt Roland Griessmair, der den Bürgermeistern als Stichtag für die Rückmeldungen den 31. August mit auf ihren Entscheidungsweg gibt. Dass diese Entscheidung den Bürgermeistern der Mitgliedsgemeinden nicht leicht fallen wird, war anhand der Reaktionen über die Kosten, die so eine Überwachung – auch über die Jahre hinweg – verursachen wird, bereits bei der Bezirkssitzung klar.
Sicherheit versus Freiheit
Karl H. Brunner, der Vorsitzende des Bezirk Pustertal im Katholischen Verband der Werktätigen (KVW) hat Zweifel an einer „rund um die Uhr Beobachtung“. Wenn einzelne sich für die Weitergabe ihrer Daten entscheiden würden, sei das eine private Sache, aber, wenn die öffentliche Hand Daten sammle sei das „warum“ ausreichend zu begründen. „Sicherheit ist natürlich wichtig und dafür kann man auch auf ein gewisses Maß an Freiheit verzichten, aber an Dorfeinfahrten den gesamten Verkehr zu erfassen, ist ein enormer Eingriff. Zu einer freien Demokratie gehört dazu, dass wir nicht überwacht werden“, betont der Vorsitzende. Karl H. Brunner spricht von einem „Eingriff in die Bürgerrechte“. Dabei ist es dem Vorsitzenden in dieser Sache wichtig nicht ausgesprochen dagegen oder dafür zu sein, sondern das Thema „ausgewogen“ durch das Abwägen von Vor- und Nachteilen und nicht populistisch zu betrachten. Eine Reihe von Fragen tun sich laut dem Vorsitzenden bei diesem Thema auf, die das für oder wider maßgebend beeinflussen werden: „Welche Daten werden gespeichert? Wird es eine Gesichtserkennung oder/und die Erkennung der Kenntafeln geben? Wie lange werden die Daten gespeichert und wann werden sie überprüft? Wer hat die Berechtigung diese zu überprüfen. Rechtfertigt unsere aktuelle Sicherheitslage überhaupt einen derartigen Eingriff in unsere Grundrechte als freie BürgerInnen?“, zählt Karl H. Brunner auf. Deshalb fordere der KVW Bezirk Pustertal mit Nachdruck, „dass die Bevölkerung nicht nur über diese Themen informiert wird, sondern bei derartig wichtigen Fragestellungen eine umfassende Information erfolgt und dann gemeinsam mit den BürgerInnen abgewogen wird, wie viel Überwachung wir uns leisten müssen und welche Freiheiten wir uns bewahren wollen.“ Dafür ein Umfrage zu starten, wie sie vor einiger Zeit von der Bezirksgemeinschaft Eisacktal unternommen wurde, hält Karl H. Brunner nicht für das richtige Kommunikations- und Informationsmittel.
Für Bezirksrat Bernd Ausserhofer steht die Notwendigkeit einer Videoüberwachung für den gesamten Bezirk außer Frage. Das Pustertal sei zwar eine „Insel der Seligen“, aber in dieser Sache dürfe nicht „locker gelassen bzw. die Sicherheit nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wenn wir uns diese relative Sicherheit, die wir noch haben bewahren wollen, müssen wir einfach diesen Schritt machen“, betont Bernd Ausserhofer. Als lobendes Beispiel nennt Ausserhofer die Installation der Videoüberwachung in der Gemeinde Bruneck vor einigen Jahren. „Diese heute zu entfernen wäre undenkbar“, hält der Bezirksrat fest. Die Frage, ob der Schutz der Privatsphäre oder die Sicherheit der Bürger vorgehen, sei für ihn vollkommen klar, außerdem habe das Vorprojekt gezeigt und der Ingenieur mehrmals betont, „dass der Schutz der Privatsphäre dem Privacy-Gesetz entspricht, deshalb ist außer Frage, dass die Sicherheit hier vorgeht“, sagt Ausserhofer. Für den Bezirksrat sind vor allem die Kosten für die Wartung der Videoüberwachung der springende Punkt, der zu klären ist. Diese betragen laut den Ausführungen des Ingenieurs zehn bis zwölf Prozent.
„Nicht den gewünschten Erfolg“
Internationale Studien würden zeigen, dass die Anbringung von Kameras präventiv “wenig“ bringe, aber im Zuge von Aufklärungen sehr nützlich sein können, hält Karl H. Brunner fest. Zudem habe der Vorsitzende den Eindruck, dass das Thema Überwachung auch sehr stark von Seiten der Bevölkerung selbst gewünscht werde, aber gleichzeitig bestünde die Angst, dass so eine Maßnahme „nicht den gewünschten Erfolg“ bringe. Dabei bezieht sich Karl H. Brunner auf Studien anderer Länder. Deshalb sollte hier genau „abgewogen“ werden, wo Kameras als sinnvolles Mittel für die Verbrechensbekämpfung eingesetzt werden können. Es herrsche eine zunehmend gefühlte Unsicherheit in der Bevölkerung, die sich laut Daten der angezeigten Strafdaten nicht decken würde, sagt Karl H. Brunner. „Aktuelle ASTAT-Daten zeigen, dass die angezeigten Straftaten und zwar auch im Bereich der Diebstähle und der Sachbeschädigungen bezogen auf Südtirol seit Jahren stabil sind und letzthin eher zurückgehen“, erklärt Brunner. Laut ihm handle es sich hier um eine „gesellschaftliche Schieflage“, die emotional und nicht faktenbedingt ist. Diese Debatte könne einen Beitrag leisten, um zu klären wie man mit diesem Gefühl „umgeht“ und weniger damit zu „spielen“.
(TL)
INFO:
Weniger angezeigte Straftaten
Die ASTAT-Erhebung „Von den Polizeikräften angezeigte Straftaten 2017“ zeigen: Im Jahr 2017 wurden in Südtirol 15.985 Straftaten von den Polizeikräften bei der Gerichtsbehörde angezeigt. Gegenüber 2016 sind das 1.293 Straftaten (7,5 Prozent) weniger. Insbesondere haben die Diebstähle, die mit 49,3 Prozent fast die Hälfte der angezeigten Straftaten ausmachen, um 7,6 Prozent abgenommen. Weniger geworden sind mit 27,4 Prozent die mit besonderer Geschicklichkeit begangenen Diebstähle und mit 18,3 Prozent die Ladendiebstähle. Zugenommen haben die Diebstähle durch Einbrüche in Wohnungen mit 13,9 Prozent und die Einbrüche in abgestellte Autos mit 4,9 Prozent.
Gefühl der Unsicherheit gestiegen
Die Mehrzweckerhebung der Südtiroler Haushalte „Sicherheit der Bürger 2018“ des ASTAT zeigt, dass sich 71 Prozent der Südtiroler “sehr“ oder “ ziemlich sicher“ fühlen, wenn sie bei Dunkelheit durch die Straßen gehen. 24 Prozent der Personen fühlen sich „Sehr sicher“ und 47 Prozent „ziemlich sicher“. Dabei ist im Vergleich zur letzten Merzweckerhebung 2009 der Anteil jener, die sich “ sehr sicher fühlen“, um neun Prozentpunkte zurückgegangen.
Landbevölkerung fühlt sich sicherer
Die Studie zeigt auch, dass die Menschen in Stadt- und Landgemeinden ein unterschiedliches Sicherheitsempfinden haben. 16 Prozent der Stadtbewohner fühlen sich “sehr sicher“. In den Landgemeinden sind es hingegen schon 29 Prozent, die sich “sehr sicher fühlen“.
Frauen fühlen sich bei Dunkelheit “unsicher“
Die Astat-Daten zeigen auch, dass sich ein Drittel der Frauen bei Dunkelheit auf den Straßen nicht sicher fühlt. Rund 33 Prozent der Frauen gaben an, sich dabei “ etwas“ oder “ sehr unsicher“ zu fühlen. 58 Prozent der Frauen fühlen sich „Sehr sicher“ bzw. „Ziemlich sicher“.
Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.