„Wichtig ist, immer mit dem Fortschritt zu gehen und nicht auf dem Alten zu beharren.“
Am 1. Jänner 2020 feierte Candidus Schraffl seinen 100. Geburtstag! Benannt nach dem Patron von Innichen, erzählt er mit wachem Blick und Geist aus seinem Jahrhundert voller Schaffensfreude.
Herr Schraffl, wie fühlt man sich mit 100?
Gesundheitlich geht es mir gut, ich war nie beim Arzt oder im Krankenhaus. Nur in den Beinen bin ich jetzt etwas schwach. Vielleicht bin ich so alt geworden, weil ich nie Sport betrieben habe. (lacht) Mit 35 Jahren heiratete ich, als Hochzeitsreise fuhren wir zum Wörthersee. Ansonsten war ich mein ganzes Leben nie im Urlaub. Wozu sollte ich wegfahren? Mir gefällt es hier am besten. Meine längste Reise war nach Rom, weil ich dort etwas ausmessen musste. Ich lese täglich, um auf dem neuesten Stand zu sein. Lesen klappt noch ohne Brille. Fernsehen interessiert mich kaum.
Wie war Ihre Kindheit?
Ich war ein schwächliches Kind mit blonden Locken, mein Vater meinte, dass ich nicht alt werden würde. In der Schule war ich aber unter den Besten. Ich war 10 Jahre, als Mutter starb. Mit 13 kam ich in die Tischlerlehre meines Vaters. Bereits mein Großvater war Tischler; die Tischlerei Schraffl besteht übrigens seit mehr als 150 Jahren. Für mich als einzigen Sohn war es vorbestimmt, Tischler zu werden, auch wenn ich selbst lieber Maschinenbau oder Elektrotechnik studiert hätte.
Also war es nicht Ihr Traumberuf?
Doch, es passte schon. Tischlern ist ein schönes, nachhaltiges Handwerk, dessen Erzeugnisse Jahrhunderte überdauern. Mein Vater machte beispielsweise 1926 die Täfelung und die Beichtstühle in der Innichner Klosterkirche, sie bestehen heute noch. Als ich 27 Jahre alt war, starb mein Vater und so führte ich den Betrieb allein weiter. Ich hatte knapp 20 Angestellte; insgesamt bildete ich in all den Jahren über 40 Lehrlinge aus. Früher als Bautischlerei stellten wir auch Türen und Fenster her, jetzt als Möbeltischlerei vorwiegend Inneneinrichtungen. Viel Arbeit gab es zur Olympiade in Cortina, nur war die Zahlungsmoral oft nicht die beste. Einmal musste ich im Winter eine Schlafzimmereinrichtung nach Cortina liefern, ich packte die Teile aufs Dach meines alten Mercedes, befestigte sie mit einem Seil, das ich durch die offenen Autofenster band und los ging’s. Es schneite Riesenflocken. Auf einmal stand die Polizei am Straßenrand und hielt mich an. Ich dachte, dass sie mir wegen der überdimensionalen Dachlieferung eine Strafe ausstellen würden, stattdessen baten sie, ob ich sie mitnehmen würde, da sie wegen des starken Schneefalls mit ihrem Auto steckengeblieben waren. Auch mein Sohn Stefan stieg in den Betrieb ein, verstarb aber 21-jährig. Die Werkstatt wurde nach Welsberg verlegt und nun führt mein Sohn Karl Candidus den Betrieb in der 4. Generation weiter. Bis zu meinem 85. fuhr ich täglich mit dem Auto zur Werkstatt. In Welsberg haben wir übrigens auch ein Tischlereimuseum mit alten Geräten meines Großvaters eingerichtet, welches besichtigt werden kann.
Wie haben Sie die Kriegszeit erlebt?
Ich hatte ein einmaliges Glück und war keinen einzigen Tag im Krieg. Das kam so: In Innichen war einst ein Kino, allerdings mit der Zeit ziemlich heruntergekommen. Während des Krieges war in Innichen ein Befehlszug des Generals Richthofen stationiert und dessen Techniker setzten das Kino zur eigenen Unterhaltung und jener der Soldaten wieder in Gang. Da ich technisch versiert war, stellten sie mich als Filmvorführer an. Am Anfang jedes Filmprogramms lief stets eine propagandistische Wochenschau und danach ein Film nach dem Gefallen der Heeresführung. Manchmal spielte ich zur Aufmunterung der Soldaten auf einem Plattenspieler flotte Musik. Von der Ortskommandatur wurde schließlich ein Befehl erlassen, dass ich meinen Militärdienst in Innichen abzuleisten habe und nicht einberufen werden dürfe. Und so verbrachte ich die Kriegsjahre als Filmvorführer und war auch vom Tragen der Uniform befreit.
Wie verbrachten Sie Ihre Freizeit?
Musik hat mich immer fasziniert, vor allem die Klassische und die Volksmusik. Im Orchester des Kirchenchors blies ich die Klarinette. Als der Leiter des Kirchenchors Pater Urban plötzlich versetzt wurde, reichte man mir den Dirigentenstab in die Hand. Zwar hatte ich keine Ausbildung, aber man war mit mir zufrieden. Und so leitete ich zwei Jahre lang den Kirchenchor. Auch bei der Musikkapelle spielte ich und war kurzfristig Kapellmeister.
Wie sehen Sie die heutige Zeit?
Die Technik hat zum Wohle der Menschheit große Fortschritte gemacht. Im Handwerk sehe ich gute Zukunftschancen für unsere Jugend. Heute ist ein Hasten und ein Rennen. Die Leute sollten das Leben etwas gemütlicher nehmen, so wie früher. (IB)
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