Was du säst, wirst du ernten! Landsorten auf dem Vormarsch

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Was du säst, wirst du ernten! Landsorten auf dem Vormarsch

Im Frühjahr bereiten sich die Bauern bereits auf die bestehende Aussaat in ihren Feldern und Äckern vor. Immer mehr Menschen interessieren sich wieder für eine Vielfalt an Kulturpflanzen und den Anbau von Landsorten. Der Puschtra hat sich über Lokalsorten im Pustertal und die Vermehrung dieses Saatguts informiert.

In Salern trafen sich Anfang Februar alle, die sich für Saatgut alter Südtiroler Getreide-, Obst- und Gemüsesorten interessieren. Die Südtiroler Bäuerinnenorganisation, der Verein Sortengarten Südtirol, das Versuchszentrum Laimburg, Bioland Südtirol, die Fachschule für Land- und Hauswirtschaft Salern und die Weiterbildungsgenossenschaft im Südtiroler Bauernbund haben zur Tagung zum Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt und zum Saatgutfest geladen. Diese Südtiroler Organisationen haben es sich zum Ziel gesetzt das Wissen um die Sorten- und Artenvielfalt und die Vermehrung von Saatgut weiterzugeben damit die Vielfalt an Kulturpflanzen erhalten bleibt. Dieses Ziel verfolgen auch die Bäuerin Maria Hecher Zingerle aus Antholz Mittertal und der Leiter Arbeitsgruppe Acker- und Kräuteranbau des Versuchszentrums Laimburg, Manuel Pramsohler. Im Interview sprechen die Experten über den Anbau und die Gewinnung von Saatgut.

Puschtra: Sie setzen sich für die Sorten- und Artenvielfalt und die Vermehrung und Weitergabe von Saatgut ein. Warum?
Manuel Pramsohler:  Es ist wichtig diese Vielfalt an Kulturpflanzen, die wir in Südtirol haben, so gut es geht zu erhalten. Man bedenke den Wert, den lokale Sorten aus Südtirol haben. Wenn so eine Sorte nicht vermehr wird, dann geht sie für immer verloren. Zudem ist zu bedenken, dass diese Landsorten über Eigenschaften verfügen können, die in Zukunft für eine Züchtung interessant sein können. Lokale Sorten zu vermehren, erfordert teilweise Spezialwissen, das erlernt werden muss, um es richtig einsetzen zu können. Zudem wird hier jahrhundertealtes Wissen unserer Vorfahren erhalten und weitergegeben.

Kann bei diesem Prozess jeder einen Beitrag leisten?
Der Verein Sortengarten Südtirol organisiert übers Jahr mehrere Tauschmärkte für Saatgut alter Sorten, die Interessierte hier bekommen und diese in ihrem Garten oder Acker anbauen können. Gerade bei den Gemüsesorten könnte jeder seinen Beitrag leisten. Es ist wichtig, dass lokale Sorten nicht nur in der Genbank tiefgekühlt gelagert werden, sondern dass sie auch angebaut werden. Unsere Umwelt verändert sich, und die Pflanzen müssen immer wieder angebaut werden, damit sie sich an die Umweltbedingungen anpassen.

Wo werden solche alten Landsorten zum Beispiel aufbewahrt?
Seit den 1980er-Jahren sammelt, charakterisiert und sichert das Versuchszentrum Laimburg verschiedene alte Obst-, Reb-, Gemüse- und Getreidesorten. Seit 1993 werden zum Beispiel Getreide- und Gemüse-Landsorten gesammelt und in einer Genbank gesichert. Diese Tätigkeit beinhaltet die Sammlung, Dokumentation, Erhaltung und Charakterisierung der gesammelten Landsorten. Zu jeder Sorte gibt es dann in einer Datenbank auch eine eigene Dokumentation. Die Sorten wurden phänotypisch und agronomisch charakterisiert, viele wurden auch im Rahmen verschiedener Projekte auf ihre Eignung zur weiteren Verarbeitung – etwa zur Herstellung von Brot oder Bier – untersucht. Auf Anfrage werden kleine Mengen an Saatgut abgegeben.

Wie viele Getreide- und Gemüsesorten sind in dieser Datenbank gespeichert?
Insgesamt wurden 147 Getreidesorten aus Südtirol und Nordtirol gesichert. Das Saatgut wird fachgerecht an zwei Standorten (Genbank am Versuchszentrum Laimburg und Genbank in Innsbruck) aufbewahrt. Beim Gemüse wurden insgesamt 227 Sorten aus Nord- und Südtirol gesichert. Die Kartoffel-Landsorten werden jährlich in Nord- und Südtirol nachgebaut, um die Erhaltung der gesammelten Sorten zu gewährleisten.

Welche alten, lokalen Getreidesorten hat es früher im Pustertal gegeben und welche davon werden heute noch angebaut?
Was den Getreideanbau anbelangt hatten wir im Jahr 1920 noch 30.000 Hektar an Getreide in ganz Südtirol, aktuell sind davon noch gut 300 Hektar – also etwa ein Prozent – übriggeblieben. Die Höfe waren früher Selbstversorger, die noch über das Wissen zum Anbau, Lagerung usw. verfügt haben. Speziell im Pustertal wurde früher viel Roggen, Hafer, Gerste, Weizen angebaut. Heute wird zum Beispiel im Projekt Regiokorn, Roggen und Dinkel angebaut ansonsten haben wir nur noch einen Bruchteil vom Getreideanbau früherer Zeiten.

Warum werden diese alten Sorten heute nicht mehr angebaut?
Der Getreideanbau im Alpenraum ist stark zurückgegangen, weil es heute kaum mehr Selbstversorger gibt. Heute wird das Brot nicht mehr selbst gebacken, sondern gekauft. Getreide zu importieren ist viel billiger, als es in kleinen Feldern und an Steilhängen anzubauen. Heute geben die Verarbeiter (Mühlen, Bäcker) die Qualitätsanforderungen für das Getreide vor. Diese Qualitäten können oft nur mit modernen Sorten erreicht werden. Zudem sind die Erträge höher als bei Landsorten, und die Landwirte können es sich oft einfach nicht leisten auf diese höheren Erträge zu verzichten.

Woher kommt heute das Getreide für Südtirol?
Vor allem aus Deutschland und Österreich, aber auch aus anderen Teilen Europas und der ganzen Welt. Die USA sind zum Beispiel ein großer Weizenlieferant. Das Getreide wird dort eingekauft, wo Qualität und Preis gerade passen, so wie in allen Bereichen der modernen Marktwirtschaft.

Warum entsprechen viele Sorten nicht den heutigen Marktvorgaben?
Die alten Landsorten lassen sich zum Beispiel maschinell nicht sehr gut ernten, weil das Getreide nicht gleichmäßig reift oder verschiedene Wuchshöhen aufweist. Da wäre der Buchweizen ein Beispiel. Zum Teil ist der Anbau bei alten Landsorten auch schwieriger und weniger Ertrag zu erwarten. Auch die Lagerfähigkeit spielt zum Beispiel beim Gemüse oder Obst  eine entscheidende Rolle, da manche alte Sorten nicht gut gelagert werden können. Beim Gemüse ist oft auch die Form entscheidend, oft entsprechen Größe, Wuchsform und Farbe nicht den heutigen Marktanforderungen.

Das Wissen um die Vermehrung von altem Saatgut ist teilweise verlorengegangen. Wo könnten sich Interessierte dieses Wissen wieder aneignen?
Mit 2021 startet im Jänner der Lehrgang „Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt“ wo die Themen Aussaat, Anbaubedingungen, Düngung, Ernte, Reinigung, Lagerung usw. von Saatgut gelehrt werden. Er wird voraussichtlich über ein ganzes Jahr laufen, Informationen dazu gibt es bei der Südtiroler Bäuerinnenorganisation, der SBB-Weiterbildungsgenossenschaft oder bei der Fachschule für Land- und Hauswirtschaft Salern. Ansonsten können sich Interessierte für Fragen zum Anbau von alten Gemüsesorten beim Verein Sortengarten Südtirol oder für Fragen zum Getreide bei uns am Versuchszentrum Laimburg informieren. (TL)

Hüterin alten Wissens
Maria Hecher Zingerle hütet mittlerweile einen Schatz von über 200 alten Landsorten, die sie in jahrelanger Arbeit und Erfahrung weitergezüchtet hat. Für das Saatgut hat sich die Bäuerin schon als Kind interessiert, auf ihrem Heimathof  beim “Hasler“ in Antholz Mittertal auf 1.375 Metern Meereshöhe wuchs die mit acht Geschwistern auf. „Die Neugier und das Interesse an den Pflanzen und ihrer Vermehrung hat meine Patentante in mir geweckt, die damals bei uns auf dem Hof gewohnt hat“, erzählt Maria Hecher Zingerle. Alle Kornsorten wie Roggen, Weizen, Gerste, Hafer auch Leinsamen, Mohn, Kohl, Erbsen, Rüben sowie Ringelblumen seien damals noch auf den Höfen im Pustertal bis in die 1970er-Jahre (Korn bis ca. 1960) angebaut und vermehrt worden, berichtet Maria Hecher Zingerle „Wilden Spinat, Löwenzahn, Brennessl, Fichtenspitzen und Spitzwegerich haben wir gesammelt. Meine Mutter hat sehr viele Nutzpflanzen selbst vermehrt und auch im Dorf lebte eine Köchin, die für alle Dorfbewohner ein Frühbeet angelegt hat, damit immer genug Saatgut vorhanden war. So zum Beispiel den Braunschweiger Kohl“, erzählt die Bäuerin. So richtig mit dem Züchten und Vermehren der alten Landsorten begann Maria Hecher Zingerle, als sie heiratete und auf den Häusler Hof kam, wo sie im Garten und auf dem Acker begann die alten Landsorten anzubauen und sich das nötige Wissen durch Kurse, Bücher und Erfahrung anzueignen. Wie der Anbau und die Züchtung von alten Landsorten gelingen und für welches Gericht sie verwendet werden, verrät Maria Hecher Zingerle anhand von fünf Beispielen.

Haslermohn/Graumohn
Das Saatgut des Graumohns stammt noch von meiner Mutter und ist auch in der Samenbank in Innsbruck gespeichert. Der Anbau wurde im Zweiten Weltkrieg sogar zeitweise verboten. Gesät wird der Graumohn im Frühjahr Mitte April, wenn der Boden bereits aufgefroren ist und es warm ist. Er braucht jedoch noch die Winterfeuchte. Wichtig ist, den Mohn nur leicht mit Erde zu bedecken und ihn durch ein Loch in der Kapsel in einem Abstand von zwei bis drei Zentimetern auszusäen. Bei einer Temperatur unter -5/-6 Grad ist es ratsam ihn mit einem Vlies zu bedecken. Die Ernte erfolgt ab September, wenn der Mohn in der Kapsel zu rascheln beginnt. Gelagert wird er in der Kapsel im Dunkeln, da das Saatgut dort sicher zwei Jahre lang hält. Der Mohn schmeckt besonders gut als Füllung für Strudel und in gebackenen “Krapflan“ wie sie seit früher her bekannt sind.

Pferdebohne/Saubohne
Seit ich denken kann wurde auch die Pferdebohne in Antholz angebaut, da sie auch auf einer Höhe von 1.250 Metern Meereshöhe gut gedeiht, weil sie sehr kälteresistent ist  (bis -7/-8 Grad). Sie wächst schnell, mag allerdings keine große Hitze. Die Reife setzt ab Ende August ein, wenn die Schoten dunkel/beige werden und zu rascheln beginnen. Diese Bohne wurde früher gern für die Gerstensuppe verwendet, heute für Salate und Suppen. Die Saubohne soll vor dem Verzehr immer gekocht werden, da sie roh Blausäure enthält und am besten einige Stunden vor dem Kochen in Wasser eingelegt werden. Mit Bohnenkraut serviert, schmeckt sie besonders gut.

Grüne und gelbe Balerbse
Der Samen meiner grünen Balerbsen stammt von einem Bergbauernhof in Niederdorf und ist über 100 Jahre lang so gezüchtet worden. Die grünen Balerbsen am besten Mitte April in Reihen aussäen. Sie benötigen ein Rankgerüst zur Stütze, da sie ca. 2,5 Meter hoch werden. Diese Erbse blüht weiß und ist selbstbefruchtend. Zwischen den Sorten sollte ein Abstand von mindestens 50 Metern eingehalten werden, um eine Kreuzung mit anderen Sorten zu vermeiden. Geerntet wird, wenn die Schoten anfangen einzutrocknen. Das Saatgut kann in Papiertüten oder in Gläsern gehortet werden. Soll die Erbse eingefroren werden, soll sie noch grün und knackig geerntet werden. Die grünen und gelben Balerbsen eignen sich gut für Suppen, Gerstensuppen und Erbsenpüree.

Brotklee
Das Brotklee, bei uns als Zigeunerkraut bekannt, wird auch heute noch als Zutat für das Brot verwendet. Die Pflanze wird 60 bis 70 Zentimeter groß, wird Mitte Mai gesät und ist nicht sehr kälteempfindlich. Geerntet wird im Juli/August, wenn die Blätter grün sind und in voller Blüte stehen. Da werden die Stängel in Bodennähe abgeschnitten und kopfüber im Schatten aufgehängt. Der Geruch entwickelt sich, wenn der Klee trocken ist. Für das Saatgut des Brotklees am besten an die 100 Pflanzen (1 Quadratmeter) Restbestand stehen lassen, abwarten, bis die Blätter vertrocknet und sich die kugelartigen Samenkapseln gebildet haben. Dann schneiden, auf Stoff trocknen und die Samen mit den Händen aus den Kapseln reiben und die Trockenreste ausblasen.

Leinsamen
Auch der Leinsamen wird Mitte April, nicht zu dicht in Reihen ausgesät und ist nicht sehr kälteempfindlich. Die Pflanze wird an die 60/70 Zentimeter groß und trägt eine hellblaue Blüte, die nach verblühen zu runden Samenkapseln werden. Die Samen sind reif, wenn die Pflanze eine braun/beige Farbe bekommt. Dann wird die ganze, reife Pflanze samt Stängel aus der Erde gezogen und eine Handvoll gebündelt. Diese dann im Schatten trocknen lassen und anschließend die Samen auf einem Stoff ausstampfen oder mit einem Nudelholz dreschen. Aus den Stängeln kann anschließend durch verschiedene Arbeitsschritte noch die Faser herausgeholt und diese zu Flachs verarbeitet werden. (TL)