Pustertal – In Südtirol sorgt man sich um die heimische Wirtschaft und der Ruf nach einem baldigen Neustart wird immer lauter. Mit welchen Herausforderungen die Wirtschaftstreibenden nach dem Lockdown zu rechnen haben und wie sie diese schaffen können hat der den Geschäftsführer der Raiffeisenkasse Bruneck gefragt.
Puschtra: Sie sind seit kurzem Direktor der Raiffeisenkasse Bruneck. Wie fühlt sich ihr Neustart in der Coronakrise an?
Georg Oberhollenzer: Das werde ich oft gefragt (lacht). Es ist eine ganz große Herausforderung und Bewährungsprobe. Ich bin seit 27 Jahre in der Raiffeisenkasse Bruneck und mit zehn Jahren als Vizegeschäftsführer also nicht mehr ganz neu. Die gesamte Verantwortung ist jetzt aber natürlich eine große Herausforderung, aber wir können uns jetzt besonders mit unseren Aktionen als Genossenschaftsbank bewähren und beweisen. Es gibt auch schwierige Momente, aber das Krisenmanagement zu bewältigen macht mir auch Freude.
Die Welt wird nach Corona nicht mehr so sein, wie vorher. Was werden Ihrer Meinung nach die größten wirtschaftlichen Herausforderungen sein, die auf die Südtiroler Unternehmen zukommen?
Die globale Wirtschaft hat eine radikale Erschütterung erlebt. Auf die Südtiroler Wirtschaftstreibenden werden große Herausforderungen zukommen und nicht wenige sind auf die staatliche Hilfe angewiesen. Das Land hat kürzlich ein ansehnliches Hilfspaket von Förder- und Hilfsmaßnahmen geschnürt, das letztendlich die Wirtschaft in Südtirol wieder ankurbeln soll. Die Folgen der Corona-Krise werden für jene Unternehmen am ehesten zu bewältigen sein, die mit Zukunftsmut, Innovationsgeist und mit einer starken Vision vorangehen. Denn eines ist klar: Viele unterschiedliche Trends, die den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin vorantreiben, sorgen mehr denn je für enorme Chancen in der Zukunft. So wird jetzt zum Beispiel ausgeliefert und zugestellt und es gibt neue Kanäle, wo neue Dienste und neue Produkte angeboten werden. Wesentlich ist es dabei den Blick auf die spezifisch regionale Wertschöpfung und auf die lokale Identität zu richten.
Jede Krise ist bekanntlich auch eine Chance. Wie sieht es mit den Chancen für die zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklungen im Pustertal aus?
In der Krise haben wir alle Erfahrungen gemacht und Erkenntnisse gewonnen. In der erzwungenen Entschleunigung steckt auch ein Innehalten und Rückbesinnen. Durch die Krise treten Werte hervor, die vernachlässigt waren und Wertigkeiten haben sich verschoben. Jede Krise beinhaltet Chance und Neuanfang. Wir haben gesehen, welche Stärke unsere lokalen Betriebe an den Tag legen können. Viele haben in kürzester Zeit enorme Entwicklungsschübe gemacht und sind über sich hinausgewachsen. Daran müssen wir anknüpfen und diese freigesetzten Innovationspotentiale systematisch fördern: Mit Geschäftskonzepten und Zukunftsbildern, die unseren Unternehmen Orientierung geben, wenn sie ihren jeweils eigenen Zukunftsprozess neu aufsetzen müssen. Im Pustertal kann dadurch ein neues, nicht minder erfolgreiches Wirtschaften entstehen: mehr Augenhöhe, mehr Sicherheit, mehr Tiefgang, mehr Nachhaltigkeit, längerfristige Perspektiven, kleinere, lokale Kreisläufe.
Die Raiffeisenkasse Bruneck hat zur Hilfe im Einzugsgebiet schon Maßnahmen gesetzt. Welche sind das?
Als größte Genossenschaftsbank Südtirols haben wir der örtlichen Gemeinschaft gegenüber eine Verantwortung. Sofort nach dem Lockdown haben wir einen Notstand-Fonds eingerichtet, der zum Ankauf von medizinischem Equipment für das Krankenhaus, das Weiße Kreuz oder die Feuerwehr dient. Auch für Institutionen wie dem Hauspflegedienst, die Altersheime oder die Bezirksgemeinschaft Pustertal steht der Notstand-Fonds zur Erleichterung ihrer aufopferungsvollen Arbeit zur Verfügung. Es ist uns bereits gelungen knapp 300.000 Euro (Stand 15.April) für den Gesundheitsbezirk Bruneck einzusetzen, um wichtige medizinische Geräte anzuschaffen. Die Intensivmediziner sind sehr dankbar und betonen, dass eine so schnelle und unbürokratische Beschaffung des Equipments in dieser akuten Phase ohne unsere Hilfe nicht so einfach gewesen wäre. Nach diesen ersten Maßnahmen wie dem Notstand-Fonds oder auch Stundungen von Krediten und Stützungs-und Überbrückungsfinanzierungen für Familien und Unternehmen, müssen wir unseren Blick klar Richtung Zukunft wenden.
Das neue Projekt der Raiffeisenkasse Bruneck, das den Neustart unterstützen soll, nennt sich ‘Neuland Pustertal‘? Um was geht es bei diesem Vorhaben konkret?
Es geht dabei um die Entwicklung eines Leitfadens, der den Pustertaler Unternehmen zu einer neuen Strategie und einem konkreten Post-Corona Plan verhelfen soll. Dies gelingt im Wechselspiel von theoretischen Inhalten, Zukunftsthesen, strategischen Übungen. Besonders wichtig sind uns dabei die Inputs durch die Miteinbeziehung unserer Kunden, Unternehmer, Arbeitnehmer, Sozialpartner, politischen Vertreter und Experten. Gemeinsam mit ihnen starten wir einen interaktiven Prozess, der wesentlich zum Zukunftsmut der Pustertaler Familienbetriebe beitragen wird. Zusammen wollen wir eine Vision erarbeiten, die als Leitfaden für das Endergebnis des Projekts, einem Arbeitsbuch mit dem Titel „Neuland Pustertal“, dient. Dieses Buch soll eine weitere Grundlage für die Pustertaler Familienunternehmen schaffen, um mit den wirtschaftlichen Folgen der Krise vorausschauend umzugehen.
Zum Projekt gehört auch eine visionäre Debatte der Bevölkerung. Sie laden die Menschen dazu ein sich online über die Zukunft im Pustertal Gedanken zu machen und sich auszutauschen. Welches ist hier der nächste Schritt?
Wir möchten eine gemeinsame Vision für die Zukunft des Pustertals entwickeln. Nachhaltig gelingt das nur, wenn wir auch die Bevölkerung daran teilhaben lassen. Dieser Schritt, nämlich der Prozess der Visionsentwicklung, ist uns ausgesprochen wichtig. Zum einen werden wir die Stimmung im mittleren Pustertal mittels eines Fragebogens abfragen, der sich mit Erwartungen, Hoffnungen, Ängsten und Wünschen der Menschen befasst. Emotionen sind als Seismographen der Veränderung eine geeignete Grundlage für neue Zukunftsbilder. Zum anderen werden wir in einem sogenannten Future-Room das kollektive Zukunftsbild nochmal schärfen. Gemeinsam mit regionalen Stakeholdern der Südtiroler Wirtschaft ermitteln wir die Kräfte, die uns als Individuen bewegen, in dem wir im moderierten online-Dialog systemisch in die Zukunft denken und so wichtige Ableitungen für die Vision machen können. Das gesamte Projekt wird selbstverständlich von Experten durchgeführt: Dem Südtiroler Beratungsunternehmen rcm solutions und dem renommierte Zukunftsinstitut mit Sitz in Wien und Frankfurt. (TL)
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