„Es macht Spaß, sich in verschiedene Charakterrollen zu versetzen.“
Oliver Pezzi ist ein begnadeter Schauspieler und hat bedeutende Bühnen- und Filmauftritte vorzuweisen. Markante Charakterrollen sind sein Markenzeichen. Derzeit spielt der 69-Jährige eine der Hauptrollen in der Uraufführung „Die Großen von gestern“ von Luis Zagler im Rahmen der Meraner Festspiele.
Worum geht es in diesem Stück?
Es geht um einen Sonderling, der die Geschichte Südtirols in der Art eines Wandelgartens durchstreift. Beim Gang durch historische Ereignisse trifft er auf Persönlichkeiten wie Oswald von Wolkenstein, Margarethe Maultasch, Kanonikus Michael Gamper, Silvius Magnago und der Bogen spannt sich bis Corona. Er selbst ist ein konservativer Patriarch in Geldnot. Mehr verrate ich nicht, am besten, man schaut es sich an …
Wie geht es Ihnen dabei?
Für mich ist es eine Bombenrolle. Ich kann alle Register ziehen, eine emotionale Bandbreite spielen, von der tiefsten Verzweiflung bis zum Hochgefühl. Unter der Regie von Gerd Weigel und im Laufe des Textstudiums und von rund dreißig Proben wuchs ich in die Rolle hinein. Eine intensive Zeit, sie begleitet dich durch Wochen. Das Lampenfieber steigert sich bis zum Aufführungstag. Und dann raus auf die Bühne und los geht’s!
Theaterspiel oder Kinofilm, was erfüllt Sie mehr?
Auf jeden Fall das Theater. Ich fühle mich intensiver eingebunden. Im Film fasziniert mich das Set, und ja: Einen Film kann man sich später auch noch ansehen, während das Theater mit dem Augenblick lebt.
Welche Ihrer Stücke haben Sie am meisten überzeugt?
Gefesselt haben mich von der Thematik her die Stücke von Felix Mitterer im Stadttheater Bruneck wie „Munde“ und „Stallerhof“. Oder „Bauern sterben“ von Franz Xaver Krötz. Spannend war auch mein Mitwirken bei der „Kulisse“ in Brixen, bei den Rittner Sommerspielen oder den Osterfestspielen in Sterzing.
Wie kamen Sie zum Theater?
Durch puren Zufall. 1990 führte man in Rasen ein Freilichttheater über die Hutterer unter der Regie von Peter Mitterrutzner auf und dafür brauchte es über 80 Leute an Schauspielern und Komparsen. Der Obmann der Bühne suchte verzweifelt nach Darstellern. Er bat auch mich – und mehr aus Gefälligkeit denn aus Spielfreude, sagte ich zu. Seitdem hat mich das Spielfieber gepackt. Alles zu verdanken habe ich aber Klaus Gasperi vom Stadttheater Bruneck. Er förderte mich in jeglicher Weise, ohne ihn wäre ich mit dem professionellen Theater nie in Berührung gekommen. Gasperi vermag Laiendarsteller und Berufsschauspieler gemeinsam in Stücke einzubinden.
Wie ging es weiter?
Beruflich war ich Briefträger, also der letzte in der Postverwaltung, den die Hunde beißen. (lacht) Da ich nachmittags frei hatte, ermöglichte dies mir, mich der Bühne zu widmen und Theaterkurse zu besuchen, dazu gehörte auch das Erlernen der Hochsprache. Als gebürtiger Ahrntaler aus St. Jakob war mein Teldra-Dialekt nicht zu überhören – und ist es bis heute nicht ganz.
Was ist die Faszination am Theaterspiel?
Es macht mir Spaß, mich in verschiedene Figuren und Geschichten hineinzuleben und dass sich das Publikum mit der Rolle, die ich spiele, auseinandersetzt. Der Applaus am Schluss ist eine große Genugtuung, doch man muss auch mit Kritik umgehen und daraus lernen können.
Macht die Bühne „süchtig“?
Ja, wenn man Blut geleckt hat, wird der Reiz nach interessanten Stücken und Rollen immer größer. Meine ebenso große Leidenschaft ist aber das Weitwandern, das ich seit etwa zehn Jahren regelmäßig betreibe. Wäre nicht der Lockdown durch die Pandemie gewesen, wäre ich längst unterwegs – und stünde jetzt nicht auf der Bühne. 2010 ging ich beispielsweise zu Fuß von Rasen nach Santiago de Compostela in Spanien. Gut drei Monate brauchte ich für die 2.800 Kilometer. Eigentlich hatte ich vor, dem Inn entlang bis zur Donau zu wandern, traf dann auf die Markierung der Jakobsmuschel und disponierte um.
Welche Touren unternahmen Sie noch?
In Norwegen den Olavsweg von Oslo nach Trondheim, den Israel National Trail, den Lykischen Fernwanderweg in der Türkei, auch ging ich von Sterzing nach Rom, oder die kurze Via degli Dei von Bologna nach Florenz. Wenn ich länger daheim bin, fängt’s in mir an zu kribbeln und ich muss den Rucksack schultern. Zu Fuß entdecke ich so viele kleine Wunder am Wegesrand und idyllische Orte, die ich fahrend nie sehen würde. Herrliche Erlebnisse!
Gibt es Wünsche?
Wunsch eins: Gesundheit. Wunsch zwei: der 3.500 Kilometer lange Appalachian Trail durch die USA von der Grenze Mexikos bis zu jener Kanadas. Halt eine etwas kostspielig Sache. Vielleicht erhalte ich irgendwann ein fantastisches Engagement – und werde es mir dann leisten (lacht verschmitzt). (IB)
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