In Südtirolers öffentlichen und privaten Krankenhäusern gab es 2020 laut ASTAT 513 Fehlgeburten. Gesellschaftlich gilt das Thema von Fehl- und Totgeburten immer noch als Tabu. Dementsprechend schwer ist die Aufarbeitung für die Betroffenen. Durch die Initiative „Sternenkinder – Bimbi stella“ will der Katholische Familienverband Südtirol (KFS) gemeinsam mit den Netzwerkpartnern die Gesellschaft für dieses Thema sensibilisieren.
Als Sternenkinder werden all jene Kinder bezeichnet, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. „Das Projekt Sternenkinder ist mir ein Herzensanliegen, weil Kinder wie Sterne vom Himmel fallen, so einzigartig und einmalig. Manchmal bleiben sie nicht in unserer Gegenwart und leuchten dann als Sterne vom Himmel aus zu ihren Eltern und zu uns allen. Diese Kinder sind die Brücke zum Himmel. Familien, die dieses Schicksal trifft, sollen hier Hilfe und Unterstützung finden“, sagte KFS-Präsidentin Angelika Mitterrutzner anlässlich der Projektvorstellung im Mai.
„Mit dem Projekt ‘Sternenkinder – Bimbi stella‘ möchten wir als Katholischer Familienverband Südtirol das delikate und vielfach leider noch immer tabuisierte Thema der Fehl- und Totgeburt aufgreifen. Es wurde durch dieses Projekt eine Informationsplattform für Eltern, welche ihre Kinder vor, während oder kurz nach der Geburt verloren, erstellt. Neben der Bereitstellung von Informationen, wollen wir mit dem Projekt die Gesellschaft zum Thema Sternenkinder sensibilisieren und die Vernetzung aller Betroffenen beleben“, erklärt die Projektverantwortliche „Sternenkinder – Bimbi stella“ vom KFS, Laura Spitaler. Bereits im Dezember 2020 sei die Idee für das Projekt greift. Damals hätten sich betroffene Sterneneltern mit dem Anliegen, sich für diese Thematik mehr einzusetzen, da dies noch immer ein sehr sensibles Thema ist, an den KFS gewandt, berichtet Laura Spitaler. „Bevor die konkrete Ausarbeitung des Projektes begann, gab es allerdings einige Austauschtreffen mit den betroffenen Eltern, dem Haus der Familie, einer Hebamme, dem Verein ‘Kinderherz‘ und dem Familienseelsorger Toni Fiung. Dabei wurde deutlich, dass es eine Plattform, auf welcher die Netzwerkorganisationen Informationen austauschen und agieren notwendig ist“, so Spitaler weiter. Es sei die Domain www.sternenkinder.it entstanden, wo Informationen zu Beratungsdiensten, Veranstaltungen, Trauerbewältigung sowie die Regelung zur Bestattung zu finden sind. Zudem könnten Betroffene Erfahrungen austauschen. „Wer seine Erfahrungen (auf Wunsch natürlich auch anonym) teilen möchte, kann diese dem KFS mailen an info@sternenkinder.it und wird auf der Webseite veröffentlicht“, sagt die Projektverantwortliche. Neben dem Katholische Familienverband Südtirol als Trägerverein wird das Projekt von weiteren Projektpartnern wie Auto Mutuo Aiuto– Bolzano, Familienberatungsstelle Lilith Meran, Haus der Familie, Hospizbewegung Meran und Krankenhausseelsorge Bozen unterstützt. „Wir sind dankbar uns mit diesen Partnern vernetzen zu dürfen. Ein Dankeschön gilt auch unseren Förderern Stiftung Fondazione Sparkasse und Familienagentur“, bedankt sich Laura Spitaler, die sich mit dem KFS schon darauf freut die Gesellschaft auch in Zukunft mit verschiedenen geplanten Aktionen zu sensibilisieren. „Unter dem Titel ‘Engelskleider für Sternenkinder‘ rufen wir zusammen mit der erfahrenen Referentin Michaela Bacher Näher/innen auf, aus nicht mehr verwendeten Hochzeitskleidern „Engelskleider“ für Sternenkinder zu nähen. Anschließend werden diese an die Krankenhäuser in Südtirol verschenkt.
Astrid di Bella: Hebamme und Projektleiterin „MutterNacht“
Der Puschtra hat mit Astrid di Bella, einer Hebamme, die bereits seit 20 Jahren in diesem Beruf arbeitet gesprochen.
Puschtra: Sie sind seit über 20 Jahren als Hebamme tätig, zuerst in verschiedenen Krankenhäusern und jetzt als freiberufliche Hebamme. Wie wird das Thema Fehl- und Totgeburten in unserer Gesellschaft wahrgenommen?
Astrid di Bella: Dieses Thema wird in unserer Gesellschaft immer noch viel zu wenig angesprochen. Zwar wurden durch die Sensibilisierungskampagnen wie die „MutterNacht“, die es seit acht Jahren gibt, auch die Themen Fehl- und Totgeburt aufgegriffen, aber das sind immer noch Tabuthemen, denen man viel zu wenig Raum schenkt. Deshalb ist das Projekt „Sternenkinder – Bimbi stella“ sehr gut, weil hier die Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen angestoßen wird.
Warum tun sich Eltern schwer über diese Themen mit dem Umfeld zu sprechen?
Die meisten Paare warten bis zur 12 Schwangerschaftswoche mit dem Ankündigen des Nachwuchses. Deshalb weiß das Umfeld meist nicht, dass ein Kind unterwegs war und wenn die Frau dann eine Fehlgeburt hat, redet man nicht wirklich darüber – es wird totgeschwiegen. Medizinisch gesehen ist eine Frau nach einer Fehlgeburt nach wenigen Tagen, rein physisch, wieder in der Lage ihrer Arbeit nachzugehen. Emotional gesehen ist das Thema damit aber noch lange nicht abgeschlossen. Medizinisch gelten bei einer gesunden Frau zwei Fehlgeburten auch als ‘normal‘und das wird den Frauen auch so kommuniziert. Diese vielen Aspekte rund um das Thema Fehl- und Totgeburten tragen dann dazu bei, dass nicht darüber gesprochen wird.
Was ist für betroffene Eltern nach so einem emotionalen Lebenseinschnitt besonders wichtig?
Für solche Paare ist es ganz wichtig, dass sie nicht allein gelassen werden und Unterstützung bekommen. Frau und Mann – die Männer werden nämlich oft vergessen. Miteinander im Gespräch bleiben und die Trauer leben. Es ist wichtig, dass man sich berechtigt fühlt sich auch in dieser Sache Hilfe zu holen. Dass es nie zu spät ist, über Fehl- und Totgeburten zu reden, bestätigt eine Geschichte, die mir bei einer Veranstaltung der „MutterNacht“ wiederfahren ist. Eine ca. 70-jährige Dame kam auf mich zu und hat sich für die Auseinandersetzung mit diesem Thema bei mir bedankt und mir erzählt, dass sie vor 40 Jahren eine Fehlgeburt gehabt hat und es niemandem erzählt hat. Für die Frau war es befreiend an diesem Abend darüber zu reden. Das hat mich sehr berührt und beeindruckt.
Wie können betroffene Eltern dem Verlust eines Kindes entgegentreten?
Die erste Anlaufstelle ist meiner Meinung nach eine Hebamme, mit der sich die Betroffenen gemeinsam aussprechen können. Diese kann bei Bedarf die Frau auch an andere Einrichtungen weiterleiten. Aus meinen Erfahrungen melden sich nur wenige Frauen, die eine Fehlgeburt hatten, für ein Beratungsgespräch an. Meist kommen die Frauen alleine, ohne ihre Männer. Diese Beratungsgespräche sind dazu da, Ängste anzusprechen und Trauer zuzulassen oder auch ein Ritual zu schaffen, wo man sich von dem Kind verabschieden kann. Diese Bewältigung ist auch für eine weitere Schwangerschaft sehr wichtig.
An welche Einrichtungen können sich diese Eltern wenden?
Betroffene können sich zum Beispiel an Hebammen, Selbsthilfegruppen, Psychologinnen, emotionale Erste-Hilfe Fachberaterinnen und an den Katholische Familienverband Südtirol, usw. richten. Auf der Website des Projektes „Sternenkinder – Bimbi stella“ können auch viele Informationen zu Beratungsdiensten, Veranstaltungen, Trauerbewältigung, Erfahrungen und Regelungen zur Bestattung eingeholt werden.
Waren Sie als Hebamme bei einer Totgeburt dabei? Wie gehen Sie damit um?
Ja, leider ist mir dies auch wiederfahren. Als Hebamme ist das natürlich eine herausfordernde und schwierige Situation. Wir versuchen zuerst für die Familie da zu sein, aber auch wir als Hebammen brauchen in solchen Situationen Unterstützung, Supervisionen, Begleitung…
Erfahrungsbericht einer Mutter
„Ich habe zwei Kinder, eines hier und eines im Himmel“, sagt eine Mutter, die gerne anonym bleiben möchte (Namen ist der Redaktion bekannt), aber es dennoch als sehr wichtig empfindet, dass sie ihre Erfahrungen mit anderen Eltern teilt. Doch von Anfang an: Es geschah 2020, dass die junge Frau und ihr Ehemann sich ein Kind wünschten und wie gewünscht, habe es auch gleich geklappt, erzählt die Frau. Alles war in bester Ordnung und nach der 12ten Schwangerschaftswoche hätten die werdenden Eltern auch ihr Umfeld über den bevorstehenden Nachwuchs eingeweiht. Doch es sollte anders kommen. „In der 14ten Schwangerschaftswoche stand ein Ultraschall an, der dann für mich zum Trauma wurde, als der Arzt bei der Untersuchung feststellte, dass mein Baby keinen Herzschlag mehr hatte. Meine ganze Welt ist zusammengebrochen“, erzählt die Frau unter Tränen. Über die Aufklärung des Arztes und den anschließenden Krankenhausaufenthalt hat die Frau keine guten Erinnerungen. „Die Situation war steril und überhaupt nicht einfühlsam und als ich dann nach Hause kam, ging es erst richtig los“, beschreibt die Frau, die von Schuldgefühlen und Scham erzählt. Sie vertraute sich einer bekannten Hebamme an und dann begann der Weg der Trauer. „Mit jemanden zu reden hat mir sehr gut getan. Mein Mann und ich haben dem Kind einen Namen gegeben und eine Kerze gestaltet, die wir immer wieder anzünden. Es ist uns wichtig, dass unser Kind nicht vergessen wird.“ Die Frau, die mittlerweile glückliche Mutter eines zehn Monate alten Sohnes ist, rät allen, denen ein ähnliches Schicksal wiederfahren ist, sich Hilfe zu holen und den Weg der Trauer zu gehen. (TL)
Info:
Unter der Domain www.sternenkinder.it finden sich Informationen zu Beratungsdiensten, Veranstaltungen, Trauerbewältigung und die Regelung zur Bestattung. Wer seine Erfahrungen (auf Wunsch natürlich auch anonym) teilen möchte, kann diese dem KFS mailen an info@sternenkinder.it und wird auf der Webseite veröffentlicht.
Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.