Das Land Südtirol hat heute (11. Juni) im Stadttheater von Bozen an einen Meilenstein in der Geschichte der Südtirol-Autonomie erinnert: die Streitbeilegung vor den Vereinten Nationen.
Mit einem großen Festakt wurde am heutigen Samstag (11. Juni) in Bozen an die Abgabe der Streitbeendigungserklärung vor 30 Jahren erinnert. Am 11. Juni 1992 war damit der formelle Abschluss der Südtirol-Verhandlungen vor der UNO vollzogen worden. Österreich und Italien beendeten gemeinsam den Streit über die Auslegung und Anwendung des Pariser Vertrages.
Landeshauptmann Arno Kompatscher begrüßte die „vielen Freunde Südtirols“, die sich dazu im großen Saal des Stadttheater versammelt hatten, insbesondere die Außenminister der Signatarstaaten des Pariser Vertrages, Österreich und Italien, Luigi Di Maio und Alexander Schallenberg. „Ihre Beteiligung unterstreicht die Bedeutung dieses Ereignisses“, sagte Kompatscher.
„Heute vor genau 30 Jahren, am 11. Juni 1992, hat der damalige Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, Alois Mock, die Streitbeendigungserklärung an den italienischen Botschafter in Wien übergeben“, erklärte der Landeshauptmann. Kompatscher spannte den geschichtlichen Bogen vom Gruber-De Gasperi-Abkommen von 1946 über das „Los von Rom“ 1957 und das Aufwerfen des Streites über die Durchführung des Pariser Vertrages im Oktober 1960 bis hin zu dem im Südtirol-Paket vorgesehenen Zweiten Autonomiestatut 1972 und der Streitbeilegungserklärung 1992. „Südtirol steht heute dank der auf diese Weise erwirkten Autonomie kulturell und wirtschaftlich gut da“, fuhr Kompatscher fort. „Die dafür im Zweiten Autonomiestatut vorgesehenen Schutzinstrumente haben ihre Wirkung entfaltet. Auch wirtschaftlich ist das Land dank der Autonomie besonders unter der Führung von Luis Durnwalder aufgeblüht.“
Südtirol steht heute gut da
Kompatscher zeigte sich zuversichtlich, Südtirols Autonomie auch in Zukunft als Schutzinstrument und als wirksames Entwicklungsinstrument für alle in Südtirol lebenden Bevölkerungsgruppen bewahren zu können. „In diesem Sinne wollen wir in Zukunft die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rahmen der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino noch stärker ausbauen. Eben weil wir uns mit unserem kulturellen Reichtum und unserer Mehrsprachigkeit als Brücke zwischen dem deutsch-österreichischen und dem italienischen Kultur- und Wirtschaftsraum, als kleines Europa in Europa, verstehen“, schloss Kompatscher. Der Sonderberichterstatter für Minderheitenfragen im UN-Menschenrechtsrat Fernand de Varennes betonte in seiner Rede die historische Bedeutung der Streitbeilegungserklärung für Südtirol: „Die Streitbeilegung Südtirol ist ein gutes Beispiel dafür, wie es zwei Regierungen – Italien und Österreich – gelungen ist, Spannungen und Konflikte friedlich über jahrelange Verhandlungen und einen Prozess des Dialogs auszuräumen.“ Mit anderen Worten sei der Jahrestag der Streitbeilegung der Jahrestag für einen sehr erfolgreichen Friedens- und Stabilitätsprozess durch Gerechtigkeit und Respektierung der Menschenrechte, so der UN-Sonderberichterstatter.
Vorzeigemodell für das friedliche Zusammenleben
Per Video zugeschaltet war die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet. „An diesem 30. Jahrestag der Streitbeilegung bleibt Südtirol ein Beispiel dafür, dass der Schutz des sprachlichen und kulturellen Erbes der Minderheitenbevölkerung möglich ist und dass ein friedliches Zusammenleben zwischen Minderheiten durch Konfliktlösung erreicht werden kann“, unterstrich sie. „Der Gedenktag erinnert auch an die Bedeutung rechtzeitiger politischer Maßnahmen, um Menschenrechtsprobleme ausfindig zu machen und an die Verantwortung der Regierungen zu appellieren, diese anzugehen.“ Wenn Minderheiten am Verhandlungstisch eine Stimme haben, fuhr Bachelet fort, könnten Staaten Lücken in Gesetzen und Richtlinien erkennen und sicherstellen, dass Lösungen gefunden werden, die für alle tragbar sind und unsere Qualitätsziele erfüllen. Der österreichische Bundesminister Alexander Schallenberg betonte die gemeinsame Verantwortung Österreichs und Italiens für die Weiterentwicklung der Autonomie. „Vor 30 Jahren konnten wir das Gemeinsame vor das Trennende stellen und einen jahrzehntelangen Konflikt friedlich beilegen. Heute können wir mit Recht sagen, dass die Südtirol-Autonomie ein Vorzeigemodell für das Zusammenleben von Minderheiten ist.“ Dieser Erfolg dürfe aber nicht zur Selbstverständlichkeit werden. „Das friedliche Zusammenleben zwischen Staaten und Menschen unterschiedlicher Kultur und Sprache ist eine gemeinsame Verantwortung von uns allen.“ Für den italienischen Außenminister Luigi Di Maio ist Südtirols Autonomie ein Modell für eine Konfliktlösung, die der Minderheit ebenso Rechnung trägt wie der nationalen Souveränität: „Die zwei großen Staatsmänner Alcide De Gasperi und Karl Gruber haben die Grundlagen für eine moderne Autonomie gelegt. Italien und Österreich haben sich international zur Lösungsfindung verpflichtet und diesen Weg mit dem Zweiten Autonomiestatut erfolgreich abgeschlossen. Es war das Ergebnis des Dialogs zwischen Ministerpräsident Aldo Moro und Landeshauptmann Silvius Magnago, der mit Respekt vor den sprachlichen Minderheiten und mit Respekt vor dem Prinzip der Einheit und Unteilbarkeit des italienischen Staates geführt worden ist.“ Dieses Modell habe sich weiterentwickelt und gefestigt und Südtirol zu außergewöhnlichem Erfolg verholfen. Der große Festakt zu 30 Jahre Streitbeilegung im Stadttheater Bozen wurde mit einer musikalischen Darbietung des Herbert Pixner Projekts feierlich abgeschlossen.
Wissenschaftliches Panel zur Übertragbarkeit der Autonomie
Vor dem Festakt hatte Eurac Research zu einem wissenschaftlichen Panel mit dem Titel „30 Jahre Streitbeilegungserklärung – Ein Etappenziel in der Südtiroler Geschichte“ ins Studiotheater geladen. 30 Jahre nach der Abgabe der Streitbeilegungserklärung stand im Mittelpunkt der Diskussion der Vertretenden von Eurac Research, Politik und Wissenschaft, ob und inwieweit Südtirol beispielgebend für andere Minderheitenkonflikte sein kann. Den Hauptvortrag mit dem Titel „Minderheitenrechte sind Menschenrechte“ hielt UN-Sonderberichterstatter Fernand de Varennes. Am Runden Tisch zum Thema „Die Autonomie und ihre Übertragbarkeit im Vergleich“ tauschten sich unter der Moderation von Marc Röggla, (Eurac Research) Sia Spiliopoulou Åkermark (The Åland Islands Peace Institute), Francesco Palermo (Eurac Research und Universität Verona) und Emma Lantschner (Universität Graz und Mitglied im Beratenden Ausschuss zum Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten) aus. (mpi/jw)
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