Fachkräftemangel im Hotel- und Gastgewerbe

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Fachkräftemangel im Hotel- und Gastgewerbe

Ein Thema, das seit Jahren in Südtirol präsent ist, ist der steigende Mangel an Fachkräften. Durch die letzten Jahrzehnte hindurch hat dieses Phänomen bereits in allen Branchen Fuß gefasst. Judith Rainer, die HGV-Bezirksobfrau Pustertal/Gadertal und Stefan Perini, der Direktor des Arbeitsförderungsinstituts (AFI), gehen im Interview zur aktuellen Situation des Fachkräftemangels im Hotel- und Gastgewerbe ein.

Puschtra: Frau Rainer, das Hotel- und Gastgewerbe tut sich zunehmend schwer, Arbeitskräfte zu finden. Wie sieht die aktuelle Situation in den Betrieben im Pustertal/Gadertal aus?
Judith Rainer: Ich möchte vorausschicken, dass sich der Mitarbeitermangel auf alle Sparten ausgedehnt hat und alle Arbeitgeber deshalb jetzt im selben Boot sitzen. Ich möchte hier aber schon darauf hinweisen, dass in unserem Sektor noch nie so viele Arbeitskräfte gearbeitet haben, wie im Sommer 2022. Im Hotel- und Gastgewerbe waren im August rund 44.000 Mitarbeitende beschäftigt, das sind 4.000 Personen mehr, als im selben Monat des Jahres 2019. Dies bedeutet, dass es unseren Betrieben trotz Schwierigkeiten gelungen ist, die freien Stellen zu besetzen. Dies ist eine große Leistung, wofür ich mich bei den Wirtinnen und Wirten, aber auch bei unseren Mitarbeitenden bedanken möchte.

Wie suchen heute Hotels und Gastbetriebe nach Fachkräften bzw. wie wird eine derartige Stelle beworben?
Es gibt viele Wege, um zu Fachkräften zu gelangen. Sehr viele Mitarbeitende werden über die sozialen Netzwerke und über Bekanntschaften der Mitarbeitenden selbst angeworben. Ansonsten kommen die Beschäftigten über die Personalagenturen, die auch einen wichtigen Teil in der Personalbeschaffung einnehmen. Natürlich bewerben sich Interessierte auch von sich aus.

Was sind denn Ihrer Meinung nach die Vorteile, die ein Beruf im Hotel- und Gastgewerbe heute zu bieten hat?
Ich finde, dass ein Beruf im Hotel- und Gastgewerbe höchst attraktiv ist. In den allermeisten Fällen finden die Mitarbeitenden einen schönen Arbeitsplatz vor, wo ein stimmungsvolles Ambiente herrscht. Dann ist die Arbeit im Hotel- und Gastgewerbe sehr abwechslungsreich. Dazu hat man die Möglichkeit, sehr viele Menschen unterschiedlicher Nationalitäten kennenzulernen und viele Sprachen zu sprechen. Für mich persönlich waren diese Möglichkeiten immer gute Beweggründe, in diesem Beruf zu arbeiten. Ich denke, dass diese Art von Beschäftigung für junge Menschen eine schöne Herausforderung sein kann. Was für mich auch immer entscheidend ist, ist der Faktor Mensch: Man kann in diesen Berufen sehr viel Freude und Dankbarkeit erleben und auch täglich an den Herausforderungen dieser Berufssparte wachsen. Entgegen den gängigen Meinungen hat das Gastgewerbe auch eine attraktive Entlohnung. Dazu bieten immer mehr Betriebe auch unterschiedliche Arbeitszeitmodelle und weitere Zusatzleistungen an. Als Beispiel darf ich den vom HGV und den Gewerkschaften ins Leben gerufenen sanitären Zusatzfonds mySanitour+ erwähnen, der unseren Mitarbeitenden eine ganze Reihe an Gesundheitsleistungen bietet. Die Situation am heutigen Arbeitsmarkt ist aber mittlerweile so, dass nicht mehr nur der Arbeitgeber die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses vorgibt, sondern zunehmend die Arbeitnehmenden ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern. Wenn dabei die Betriebe mit attraktiven Bedingungen punkten können, dann haben sie einen Vorteil.

Als HGV-Bezirksobfrau sind Sie im ständigen Austausch mit den Gastwirtinnen und Gastwirten des Pustertals/Gadertals. Welches sind die am meisten geäußerten Sorgen der Unternehmer/Innen rund um das Thema Arbeitskräfte?
Die Frage, die sich unsere Mitglieder stellen, ist natürlich, wie lange sie mit den üblichen Arbeitszeitmodellen wirtschaften können. Vor allem die kleinstrukturierten Betriebe – wir sprechen hier von Betrieben mit ca. 25 bis 100 Betten und den Gastronomiebetrieben – müssen sich hier die Rechnung machen, weil die Kosten für flexiblere Arbeitsmodelle, etwa Fünf-Tage-Woche usw., erheblich höher sind. In unserem Bezirk finden sich viele dieser kleinstrukturierten, familiengeführten Betriebe, die mit dieser Herausforderung umgehen müssen. Der HGV berät und begleitet seine Mitgliedsbetriebe in diesem Prozess.

Laut Stefan Perini, dem Direktor des Arbeitsförderungsinstituts (AFI), braucht es neue Arbeitszeitmodelle.

Für Judith Rainer, der HGV-Bezirksobfrau Pustertal/Gadertal, ist die Arbeit im Gastgewerbe abwechslungsreich.

Das Hotel- und Gastgewerbe war von den Pandemie-Einschränkungen besonders betroffen. Viele Mitarbeiter/Innen waren gezwungen, ihre Arbeit zu wechseln. Sind diese Mitarbeiter/Innen wieder in ihren Beruf zurückgekehrt?
Sicher haben einige Mitarbeitende in andere Berufssparten gewechselt. Aber wenn es der Branche gelungen ist, wie eingangs erwähnt, dass heuer 4.000 Mitarbeitende mehr beschäftigt werden konnten als im selben Monat des Jahres 2019, dann heißt das, dass viele Mitarbeitende wieder in die Gastronomie und Hotellerie zurückgekehrt sind. Worüber wir natürlich froh sind.

Was unternehmen die Betriebe im Pustertal, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken?
Der Arbeitskräftemangel hat viele Ursachen: Unter anderem der demografischen Wandel, das Bedürfnis, Beruf, Freizeit und Familie besser in Einklang zu bringen und die Tatsache, dass die sog. Babyboomer-Generation in den Ruhestand tritt. Die Betriebe müssen deshalb verstärkt mit jenem Arbeitskräftepotenzial auskommen, welches vorhanden ist. Die Betriebe müssen sich verstärkt um das Mitarbeitermanagement kümmern. Auch hier bietet der HGV Beratung und Begleitung an. Betriebe werden mehr in die Aus- und Fortbildung investieren. Sie werden attraktive Teamevents organisieren, um die Bindung zum Betrieb zu stärken. Natürlich werden auch noch flexiblere Arbeitszeiten eingeführt und angeboten werden müssen, um den Wünschen der Mitarbeitenden entgegenzukommen.

Die Wintersaison steht bevor. Hat die Suche nach geeigneten Fachkräften in den Pusterer Betrieben bereits begonnen?
Heute ist es in jeder Branche so, dass ständig nach Personal Ausschau gehalten wird und somit ist man das ganze Jahr über wachsam, was die Mitarbeitersuche anbelangt.

Puschtra: Herr Perini, das Hotel- und Gastgewerbe sucht, wie viele andere Branchen auch, bereits seit Jahren händeringend nach Arbeitskräften. Wie hat sich der Fachkräftemangel in dieser Branche in den letzten Jahren entwickelt?
Stefan Perini: Der Fachkräftemangel hat sich in den letzten 25 Jahren schrittweise verstärkt. Heimisches Personal war nicht mehr im gewünschten Maße zu finden, um den gesamten Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Der Tourismussektor ist in dieser Zeitspanne seht stark gewachsen. Aus diesem, aber auch aus Kostenüberlegungen, wird seit den 90er-Jahren die Fachkräftelücke im Sektor mit Mitarbeiter/Innen aus anderen italienischen Provinzen und aus dem Ausland gefüllt.

Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf den Mangel an Fachkräften im Hotel- und Gastgewerbe?
Es ist unbestritten, dass die Pandemie in erster Linie das Gastgewerbe getroffen hat. Darüber hinaus wird in dieser Branche stark auf Zeitverträge zurückgegriffen, die in der Corona-Zeit ausgelaufen sind. Einige Mitarbeiter aus diesem Bereich haben sich deshalb umorientiert. Diese sind dann als Fachkräfte für das Hotel- und Gastgewerbe auf der Strecke geblieben. Arbeitsmarktbeobachtungs-Studien zeigen aber auch, dass diese Zahl aber überschaubar ist.

Welche Ursachen für den steigenden Mangel an Arbeitskräften im Hotel- und Gastgewerbe sind laut Studien zum Arbeitsmarkt festzumachen?
Der erste Grund für die sehr starke Nachfrage nach Arbeitskräften in Südtirol ist die massive Entwicklung des Sektors in den letzten Jahrzehnten. Wie bereits erwähnt haben sich einige Fachkräfte umorientiert, andere wiederum beanspruchen lieber das Bürgereinkommen. Dieses spielt beim Fachkräftemangel zwar auch eine Rolle, aber nicht so sehr, wie es uns die Arbeitgeberorganisationen manchmal präsentieren. Dazu kommt noch ein weiterer Faktor, der stets unterschätzt wird: Ausländische Fachkräfte sind zum Teil auch in ihr Ursprungsland zurückgekehrt (z.B. in die Slowakei), da sich die Lebensqualität dort verbessert hat. Die Arbeit als Gastarbeiter/In (in diesem Fall in Südtirol) ist dementsprechend uninteressant geworden. Die Summe all dieser Faktoren führt schlussendlich dazu, dass der Personalmangel in Südtirol als besonders ausgeprägt wahrgenommen wird.

Studien belegen körperlich und psychisch belastende Arbeitsbedingungen in diesem Sektor. Wie kann hier entgegengesteuert werden?
Genau, in dieser Branche kommen beide Typen von Belastungen vor und verstärken sich gegenseitig. Die Rezepte, wie man diesen Risikofaktoren begegnen kann, sind schon vielfach bekannt und teilweise auch umgesetzt. Im Hotel- und Gastgewerbe geht es in erster Linie um die Arbeitszeiten: Die 5-Tage-Woche, freie Wochenenden und flexible Arbeitszeitmodelle könnten hier Abhilfe schaffen, um vor allem auch Fachkräfte mit Familie durch eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf anzulocken. Das nächste große Thema sind die Verträge. Saison- und befristete Verträge sollten nur dort eingesetzt werden dürfen, wo es sich nicht um einen Ganzjahresjob handelt. Dort sollen unbefristete Arbeitsverträge zum Einsatz kommen. Dadurch würden dem Mitarbeiter die Rentenbeiträge für das ganze Jahr voll eingezahlt, volkswirtschaftlich gesehen fallen dann keine Kosten für die Steuerzahler an. Dazu sollte ein fairer Lohn selbstverständlich sein.

Je knapper ein Gut, desto höher der Wert! Wie bewerten Sie diese Aussage in Bezug auf die Ressource Mitarbeiter für die Zukunft.
Was knapp ist, ist sicher teuer! Der Arbeitgeber wird immer wieder gefordert, kreative Wege zu finden, um attraktiv zu bleiben und dementsprechend leichter Mitarbeiter zu finden. (TL)