Die meisten Menschen verwenden Zucker, ohne zu wissen, woher er kommt, wer ihn produziert und wer daran verdient. 2020/2021 wurden weltweit fast 180 Millionen Tonnen Zucker produziert. Die Kampagne „Die faire Prise Süße. Un pizzico di equa dolcezza“ will zum Thema Zucker sensibilisieren und aufklären. Brigitte Gritsch, die Koordinatorin der Südtiroler Weltläden, im Interview.
Puschtra: Frau Gritsch, die Südtiroler Weltläden und der Katholischer Familienverband Südtirol (KFS) sind gemeinsam mit anderen Unterstützern Träger der Kampagne „Die faire Prise Süße. Un pizzico di equa dolcezza“. Welches Ziel verfolgt diese Kampagne?
Brigitte Gritsch: Die Kampagne soll in erster Linie alle Menschen für das Thema fairen Handel am Beispiel des Produktes Zucker sensibilisieren. Wichtig ist uns dabei vor allem auch die Zusammenarbeit mit anderen Partnern, die junge Menschen erreichen, so zum Beispiel die Jugendzentren, die direkt zu den Kindern und Jugendlichen kommen. Die Vorweihnachtszeit ist auch Zucker-Zeit, eine Zeit des Backens und viele Menschen verwenden Zucker, ohne über die Herkunft und den Handel mit diesem Produkt Bescheid zu wissen. Wir wollen den Konsumenten Fragen zu diesem Thema beantworten. Zuckerrohr wird hauptsächlich in Brasilien, Indien und China angebaut. Die meisten Zuckerrohr-Bauernfamilien leben in Armut. Vollrohrzucker aus fairem Handel bietet Kleinbauernfamilien eine Alternative und sichert ihnen ein Leben in Würde. Vier Fünftel des weltweiten Zucker-Verbrauches stammen nämlich aus dem Rohrzucker und nur ein Fünftel wird aus Rübenzucker aus Europa gewonnen. Der Weltweite Handel ist meist nicht fair und wir möchten die Daten und Fakten dazu aufzeigen und erklären was dahintersteckt.
Rohrzucker ist ein wichtiges Handelsprodukt. Wie funktioniert der weltweite Handel mit dem Zuckerrohr?
Das Zuckerrohr gehört zur Familie der Gräser und wird bis zu sieben Meter lang, zudem kann es laufend geerntet werden, da es sehr schnell nachwächst. Das Hauptanbaugebiet an Zuckerrohr ist Brasilien, wo das Zuckerrohr zu einer riesigen Monokultur herangezüchtet wurde und Raubbau und schlechten Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung stehen. Im Jahr 2020/2021 wurden weltweit 180 Millionen Tonnen Zucker produziert: Davon sind 20 Prozent Rüben- und 80 Prozent Rohrzucker. Zwei Drittel des weltweit erzeugten Zuckers werden im Erzeugerland verbraucht und ein Drittel auf dem Weltmarkt gehandelt. Die Preise für Rohrzucker sind auf dem Weltmarkt extrem schwankend, beeinflusst durch örtliche Zuckerbarone und international agierender Zuckerkonzerne, die die klein strukturierten Produzenten (Bauern) in den Hintergrund drängen und am Zuckerverkauf die eigentlichen Verdiener sind. Auch die EU-Zuckerpolitik führt zu einer schwierigen Konkurrenzsituation zwischen europäischen Zuckerproduzenten und kleinbäuerlichen Familien, deren Existenzgrundlage vom Zuckeranbau abhängt. Fairer Wettbewerb findet nicht statt.
Können Sie unseren Lesern und Leserinnen erklären, was ‘fair gehandelter Zucker‘ bedeutet?
Wenn von fairem Handel gesprochen wird, sind immer kleine Zusammenschlüsse, Genossenschaften von Bauern gemeint. Diese kleinstrukturierte Landwirtschaft wird durch soziale, ökonomische und ökologische Projekte unterstützt, zum Beispiel werden Stipendien finanziert, Krankenhäuser und Zuckermühlen gebaut. Es werden strenge, nachhaltige Standards verlangt und in der gesamten Lieferkette gibt es unabhängige Kontrollen. Ein Beispiel so einer Genossenschaft ist die Fair Trade Genossenschaft Copropap aus Ecuador. Die Cooperativa Productores de Panela El Paraiso (Copropap) wurde 1991 auf Initiative mehrerer Bauernfamilien gegründet, die seit Generationen auf kleinen, steil abfallenden Böden auf einer Meereshöhe zwischen 900 und 1.400 Metern Zuckerrohr anbauen. Heute gehören der Genossenschaft 49 Mitglieder an, kleinbäuerliche Betriebe, die Panela – einen biologischen Vollkornzucker mit charakteristischem Honigaroma – herstellen. Das Anbaugebiet ist ein geschütztes Biosphärenreservat von ca. 300.000 Hektar, das von diesen Zuckerrohrproduzenten auch so erhalten wird. Ein großes Problem der Bauern in diesem Anbaugebiet sind allerdings die Bodenschätze und die dadurch entstandenen Mienen. Diese Bergbauprojekte gefährden das Gebiet und den Zuckeranbau der Bauern. Tödliche Angriffe auf UmweltschützerInnen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Besorgniserregend ist unter anderem die unverhältnismäßige Wassernutzung, die das Wassersystem irreparabel schädigen und das Leben von 21.000 Menschen der Region massiv beinträchtigen würde. Da wird jährlich 14 Mal mehr Wasser benutzt, als in der gesamten Region in einem Jahr verbraucht wird.
Wie bei so vielen Produkten bestimmt der Preis die Kaufentscheidung der Konsumenten. Wie hoch ist der Preisunterschied von ‘fair gehandelter Zucker’ zu ‘nicht fair gehandeltem Zucker‘.
Der erhebliche Unterschied ist die Qualität des Zuckers, der fair produziert wird. Der geschmackliche Unterschied ist hier ausschlaggebend. Für die Konsumenten ist es wichtig zu wissen, dass mit jedem Einkauf eine Wahl getroffen wird. Zucker ist ein Luxusgut, das man auch in Maßen genießen kann.
Woher stammt der Zucker, den Südtirolerinnen und Südtiroler täglich verwenden?
Das könnte Zucker aus der Zuckerrübe sein, jedoch genauso auch jener aus dem Zuckerrohr! Was uns in unseren Recherchen zum Thema Zucker auch aufgefallen ist, ist, dass auf den Zuckerverpackungen die Rückverfolgbarkeit oft nicht möglich ist, weil sie nicht transparent ist.
Welche Initiativen und Veranstaltungen werden im Zusammenhang mit der Kampagne noch stattfinden?
Die Kampagne geht vom 17. November bis zum 18. Dezember und besteht aus mehreren großen Lebkuchen-Backtagen für junge Menschen und Familien, die in verschiedenen Jugend- und Kulturzentren oder in KFS-Gruppen stattfinden. Im Pustertal werden zum Beispiel in Toblach, im Raum Bruneck, im Ahrntal und im Gadertal solche Lebkuchenbackaktionen stattfinden. Dann hat die Autorin Brigitte Knapp zur Kampagne das Märchen „Leise rieselt der Zucker“ geschrieben, das während des Keksebackens vorgelesen werden kann. In verschiedenen Südtiroler fair + friendly Bars werden seit Mitte November 30.000 Kampagnen-Zuckersäckchen verteilt. In den 13 Südtiroler Weltläden stehen Verkaufstüten mit fairen Zutaten für ein Lebkuchenrezept von Konditor Benjamin Sellemond aus Feldthurns bereit. Auf der Webseite fairsugar.it finden sich weitere Infos und Termine zu den Lebkuchen-Backtagen.
Das Märchen: „Leise rieselt der Zucker“
Die Autorin und Schauspielerin Brigitte Knapp hat zur Kampagne „Die faire Prise Süße. Un pizzico di equa dolcezza“ das Märchen „Leise rieselt der Zucker“ geschrieben. Das Märchen richtet sich an Kinder und ist eine Phantasiegeschichte: Ein kleines Mädchen geht von der Schule nach Hause und von oben rieselt Zucker herab, dazu findet es auf dem Boden eine Zeichnung mit einem Bergtapir, der in Ecuador lebt. Damit beginnt die Phantasiereise von Lenchen und dem Bergtapir auf eine Zuckerplantage, wo sie hautnah miterlebt, wie der Zucker geerntet und hergestellt wird. „Die Geschichte soll die Kinder zum Nachdenken über unser Essen anregen und sie über die Herkunft und Herstellung von Zucker informieren, gleichzeitig soll sie unterhalten. Der Text soll eine gute Mischung aus Unterhaltung und Information sein. In Zusammenarbeit mit dem Team der Zucker-Kampagne ist diese Gratwanderung bis zum Schluss gut gelungen“, sagt die Autorin Brigitte Knapp. (TL)
Das Märchen kann unter www.fairsugar.it abgerufen werden.
INFO:
Getragen wird die Kampagne „Die faire Prise Süße. Un pizzico di equa dolcezza“ von den Südtiroler Weltläden und dem KFS Katholischer Familienverband Südtirol und unterstützt von der Arbeitsgemeinschaft der Jugenddienste (AGJD) und von netz | Offene Jugendarbeit EO. Das Amt für Außenbeziehungen und Ehrenamt und die Familienagentur unterstützen die Kampagne finanziell. KFS, AGJD und netz unterstützen die Zuckeraktion, um auf internationale Zusammenhänge unseres täglichen Einkaufs hinzuweisen, um ihren Zielgruppen die Geschichten hinter den Lebensmitteln zu erzählen und auf Konsumentscheidungen Einfluss zu nehmen.
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