Reischach – Eine sagenhafte Heilige

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Reischach – Eine sagenhafte Heilige

Einst war sie eine hochverehrte Heilige, heute ist sie fast in Vergessenheit geraten. Aber eben nur fast. Mystische Erzählungen und manch sagenhafter Ort erinnern noch an sie: die heilige Kummernus, eine Heilige am Kreuz. Einer ihrer Verehrungsorte war das Schlosskirchlein der Lamprechtsburg in Reischach.

Über Jahrhunderte wurde die hl. Kummernus – auch als hl. Kümmernis und Wilgefortis bezeichnet – hoch verehrt und angebetet; ein alter, weit verbreiteter Kult, der seinen Höhepunkt zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert hatte und in weiten Teilen Europas anzutreffen war. Ihr Gedenktag war der 20. Juli. Im Pustertal war das Schlosskirchlein der Lamprechtsburg ein viel besuchter Wallfahrtsort zu dieser sagenumwobenen Volksheiligen. Heute noch hängt dort die Nachbildung des romanischen Originals eines Kruzifixes mit Frauengestalt und ein Gemälde am Seitenaltar zeigt die Heilige mit einem Spielmann mit Geige. Beides Zeugnisse aus jener Zeit, als vor allem Frauen mit ihren ganz persönlichen Anliegen zur Lamprechtsburg pilgerten und um Beistand baten. Die Kummernusverehrung ging nach dem Ersten Weltkrieg langsam zu Ende, als diese mystische Heilige jäh aus dem Heiligenkalender gestrichen wurde. Das ist auch der Grund dafür, dass die Heiligenfigur der Kummernus nach und nach in Vergessenheit geriet. Doch heute scheint diese mystische Frauengestalt wieder Interesse zu erwecken. Christina Niederkofler Cont, die auf der Lamprechtsburg aufwuchs und einen besonderen Bezug zu dieser starken Heiligenfigur hat, erläutert: „Die hl. Kummernus galt als mächtige Befreierin und Siegerin über alles Leid. Vor allem Frauen hatten einen starken Bezug zu dieser Heiligen. Sie riefen sie in persönlichen tiefen Nöten an, etwa bei Kinderlosigkeit, Schwangerschaft, Geburt, Eheproblemen und sexuellen Übergriffen. Die Kummernusverehrung lässt auch das Bedürfnis nach einem weiblichen Gottesbild erkennen.“ Die originale Holzfigur aus dem Lamprechtsburger Schlosskirchlein ist heute im Diözesanmuseum in Brixen ausgestellt. Mit der Beschreibung dieser romanischen Skulptur von kunsthistorischem Wert hält man sich allerdings bis heute dezent zurück, denn noch immer fehlt dort die Information, dass diese als hl. Kummernus verehrt wurde. Damit wird den Besucher:innen Wichtiges vorenthalten. Eigentlich ein Verlust, wenn man einen Kult wie diesen beiseiteschiebt, ist die Kummernus doch ein starkes Symbol für das Frauenbild von gestern und heute.

Das Kruzifix mit der hl. Kummernus
in der Kapelle der Lamprechtsburg;
eine Nachbildung aus dem Jahr 1926.

Starke Frau als Rettungsanker – Kummernuslegenden
Jahrhundertelang war die Kultfigur der „Frau am Kreuz“ als Heilerin und Helferin weit verbreitet. Der Kummernuskult nahm im 14. Jahrhundert seinen Ausgang vom niederländisch-belgische Raum auf weite Teile Europas. In den Niederlanden nannte man sie „Ontcommer“, was so viel wie „Entkümmerin“ bedeutet. Ihre Verehrung war stark von einer Frauenmystik geprägt, wobei sich zunehmend das Bild einer weiblichen christusähnlichen Erlöserin entwickelte. Zahlreiche Legenden ranken sich um diese Frauenfigur am Kreuz. Die wohl am meisten verbreitete Legende lautet folgendermaßen: Die schöne Tochter eines heidnischen Königs bekehrte sich im Geheimen zum Christentum und gelobte, Jesus bedingungslos zu folgen. Als ihr Vater sie aber mit einem heidnischen Königssohn verheiraten wollte, widersetzte sie sich ihm und gestand ihren Glauben. Um den Widerstand seiner Tochter zu brechen, ließ ihr Vater sie ins Verlies werfen. Dort flehte sie Gott an, er möge ihr Aussehen so verändern, dass sie kein Mann mehr begehren würde und es wuchs ihr ein Bart. Erbost über das Aussehen und die Unbeugsamkeit seiner Tochter befahl der König, sie solle gekreuzigt werden wie ihr Gott. Ein vorbeikommendes Geigerlein empfand Mitleid mit der Gekreuzigten und spielte für sie auf seiner Fidel. Daraufhin schenkte ihm die Königstochter ein Lächeln und warf ihm einen ihrer goldenen Schuhe zu, den er als Geschenk annahm. In der Stadt bezichtigte man den Geigenspieler aber des Diebstahls und schleppte ihn zur Bestrafung vor das Gericht. Das Geigerlein bat darum, noch einmal unter dem Kreuz spielen zu dürfen. Dies wurde ihm gewährt und es fanden sich der König und sein Gefolge unter dem Kreuz ein. Das Geigerlein spielte so schön wie noch nie und bald warf ihm die Königstochter ihren zweiten goldenen Schuh zu. Als der König dieses Wunder sah, erkannte er das Unrecht seiner Tat und empfand tiefe Reue. Sein Land bekehrte sich zum christlichen Glauben und die Königstochter erfuhr Verehrung als hl. Kümmernis. Und sie ermutigt Frauen und Mädchen bis heute, ihre eigene Widerstandskraft und Stärke zu entwickeln, sich miteinander zu verbünden und sich gemeinsam gegen Gewalt zu wehren.
SH