…bestiegen, vermessen und kartografiert. Die Ferienregion Tauferer Ahrntal prahlt mit angeblich 80 Gipfeln über 3.000 Metern. Diesem Mythos ist Thomas Reichegger auf die Spur gegangen.
Thomas Reichegger, 36, stammt aus Mühlwald und wohnt in St. Peter im Ahrntal. Sein Projekt, alle 3.000er im Tauferer Ahrntal zu besteigen, vermessen und kartographieren vollendete er von 2023 bis 2024. Dabei hat er einen alten Mythos entzaubert: Denn effektiv sind es 26 eigenständige Berge und insgesamt 92 Gipfel mit mehr als 3.000 Metern.
Auf versteckten Gipfeln
Thomas hat alle 3.000er bestiegen, mit GPS vermessen, die Daten mit dem GeoBrowser sowie mit jenen aus alten und neuen Landkarten verglichen und katalogisiert. Außerdem galt es noch, den genauen Grenzverlauf des Tauferer Ahrntales zu bestimmen sowie die genaue Position jedes 3.000ers, da auch hier nicht alle Karten exakt bzw. übereinstimmend sind. Die Klassifikation – was ist ein Berg, was ein Gipfel, was ein Nebengipfel? – nahm er lt. den Richtlinien des Alpenvereins vor. Bei einer relativen Einsattelung von 100-300 Metern vom höchsten Punkt zur Scharte spricht man von einem eigenständigen Berg, in Abhängigkeit von dessen Dominanz. Zwischen 30 und 100 Metern von einem Gipfel, von weniger als 30 Metern von einem Nebengipfel und bei minimalen Unterschieden in vertikaler sowie horizontaler Ausrichtung spricht man von einem Doppelgipfel. „Ich versuchte, genau ins Detail zu gehen. Auch entdeckte ich versteckte Gipfel, die wahrscheinlich bisher kaum ein Menschenfuß bestiegen hatte. Überrascht hat mich das Schattendasein manch unscheinbaren 3.000ers mit einer knackigen, interessanten Klettertour, einer weitaus fordernden als daneben zu seinem berühmten großen Gipfelbruder.“
Die Heimatberge kennenlernen
Doch wie kommt man auf so eine Idee? „Bereits von Kindesbeinen habe ich mich für die Natur und vor allem für die Mächtigkeit der Berge fasziniert. Durch meinen Beruf als Lehrer habe ich im Sommer Zeit fürs Bergsteigen und Alpinklettern. Ich mache für mich gerne, Jahr für Jahr, persönliche Projekte. Eines war einmal, Berge mit dem Anfangsbuchstaben meines Rufnamens Tom zu besteigen, und so stand ich hintereinander auf Turnerkamp, Ortler und Matterhorn.
Eines meiner Lieblingsbücher aus der alpinen Bibliothek ist der „Alpinführer Tauferer Ahrntal“ von Beikircher & Hellweger. Dieses überaus umfassende Werk von 1981 bildete die Grundlage für mein Vorhaben. Mein Ansporn war, den Spuren von Werner Beikircher und Hans Kammerlander zu folgen, die wohl wie keine anderen die Berge im Tauferer Ahrntal kennen. Mein Runde führte über die Zillertaler Alpen, die Hohen Tauern, die Durreck Gruppe bis zu den Rieserferner Bergen. Eine weitere Motivation war, meine Heimatberge durch und durch kennenzulernen und nicht nur einzelne Gipfel und eben nicht nur die typischen Klassiker. Ich machte mir zudem zur Aufgabe, keinen Gipfel über den Normalanstieg zu begehen, auf manche suchte ich mir bewusst die schwierigste Route. Mein Dank gilt vor allem meinen Kolleg:innen, die mich v.a. auf den schwierigen Touren begleiteten.“
Einzigartige Geologie
„Fasziniert haben mich v.a. die abwechslungsreiche Geologie und die verschiedensten Gesteinsarten der Berge. Zudem wollte ich das sogenannte Tauernfenster besser verstehen lernen. Dieses entstand durch die Freilegung von Tiefengestein, das im Zuge der Verschiebung der europäischen und afrikanischen Kontinentalplatten hervorgehoben wurde. Ich musste staunen und schmunzeln zugleich, wenn ich mich innerhalb weniger Minuten auf verschiedenen Kontinenten befand und plötzlich vom europäischen Urkontinent auf afrikanischen Boden wechselte.“
Gletscherrückgang
„Ich genieße das Bergsteigen als Gesamterlebnis und empfinde eine große Zufriedenheit und Dankbarkeit. Erschreckt hat mich der enorme Gletscherschwund! Als 8-jähriger Hütbub bestaunte ich von der Alm aus die glitzernden Weiten am Weißzint, heute ist vom Weiß nicht mehr viel übrig.
Mein Vater besitzt noch alte Fotos seiner Gletschertour zum Großen Möseler Ende der 1970er-Jahre. Du meinst, er wäre im heutigen Mont Blanc-Gebiet, alles um ihn herum nur Eis und Schnee. Heute scheint der Möseler wie ein Geröllhaufen, am Normalweg hast du nicht mal mehr Kontakt zum Gletscher. Der Natur gegenüber müssen wir wieder demütiger werden, denn wir brauchen sie, die Natur braucht uns Menschen aber nicht. Wir sind nur ein Staubkorn im Universum eines großen Ganzen.“
IB