Am Anfang überschütten Narzissten ihre Partner mit viel Aufmerksamkeiten und Liebe. Dann aber zeigen sie ihr wahres Gesicht. Statt Zuneigung wird der:die Partner:in schikaniert, gedemütigt und beleidigt. Wie sich Narzissmus zeigt und was Betroffene tun können schildern uns die Expertinnen Christine M. Merzeder und Patrizia Gfader.
Frau Merzeder, Sie sind Autorin des Buches „Wie schleichendes Gift – Narzisstischen Missbrauch in Beziehungen überleben und heilen“ und Gruppenkoordinatorin Selbsthilfe für Betroffene von narzisstischem Missbrauch in Tirol. Wie beschreiben Sie das Phänomen narzisstischer Missbrauch?
Christine M. Merzeder: Narzisstischer Missbrauch zeigt sich dann, wenn Betroffene in einer Beziehung (Arbeit, Nachbarschaft, Ehe, Zusammenleben, Familie) durch verschiedene manipulative Taktiken emotional, sozial, materiell, sexuell ausgebeutet werden. Das Phänomen ist häufig aber trotzdem unbekannt in seinen gravierenden Auswirkungen auf die Betroffenen und deren Umfeld.
Das Trauma emotionaler Ausbeutung und Erniedrigung setzt sich oft über Generationen fort. Betroffene wie Fachleute haben oft keine Ahnung von diesem Phänomen und weisen Betroffene, wenn sie um Hilfe bitten, ab.
Fachleute sprechen davon, dass Narzissten sich ihre ‘Opfer‘ aussuchen? Wie können wir uns das vorstellen?
Narzissten verfügen nicht über das, was wir Empathie nennen, das ist das Phänomen des Mitgefühls, das durch die Theorie der Spiegelneuronen in den letzten Jahren sehr gut erklärbar und verstehbar wurde. Narzissten fehlt diese Empathie. Sie verfügen jedoch über eine ‚kalte Empathie‘, sie können Personen kaltblütig ‚abrastern‘ und ihre Schwächen und Bedürftigkeiten ausloten, um ihnen dann mit manipulativen Taktiken das Blaue vom Himmel herab zu versprechen.
Wenn diese dann angebissen haben, werden sie gnadenlos fertiggemacht und ausgenützt. Stichworte: Love-bombing, Gaslighting, future faking etc. Sehr verletzlich für solche Avancen des Narzissten sind Menschen in einer Krise, sie haben einen Partner oder Job verloren, sie wurden verlassen, sie sind alleinerziehend und damit emotional sehr bedürftig.
Wie erkennen wir denn einen Narzissten eine Narzisstin?
Wenn man Bescheid weiß über narzisstische Taktiken, dann ist es einfach, Narzissten zu erkennen, sie verhalten sich fast immer nach einem klar erkennbaren Schema: Umschwärmen, loben, von Seelenverwandtschaft sprechen, schnelles Eingehen von Beziehungen, Abwertung, Psychoterror, Verlassen des Opfers, etc. Wir haben dazu in der Gruppe den sogenannten Narzissmusradar entwickelt, der Betroffenen Begrifflichkeiten liefern soll zu der großen Palette an Gefühlen, die sie durchleben.
Das Papier ist frei zugänglich und ein praktisches Instrument, narzisstische Taktiken zu erkennen und zu benennen.
In welchen Beziehungen können wir auf Narzissmus treffen?
In jeder Beziehung, ob mit Eltern, Kindern, Paarbeziehungen, in der Arbeitswelt etc.
Sie waren selbst jahrelang Betroffene von narzisstischem Missbrauch. Können Sie uns einen Einblick geben, wie eine Beziehung mit einem Narzissten einer Narzisstin aussieht?
Wenn man nicht Bescheid weiß, so wie ich damals, dass es narzisstische Taktiken gibt, dann wird man sich jede Art von abnormalem Verhalten zu erklären versuchen. Die Erklärungen, die man meist zur Hand hat, sind normale, alltägliche Verhalten aus einem normalen sozialen Repertoire. D.h. wenn man beschuldigt wird, irgendetwas getan zu haben, was man wirklich nicht getan hat, so versucht man Rechtfertigungen, Entschuldigungen, man wird sich bessern, zusammennehmen etc. Nur wird einem der Narzisst wieder aus anderen Verhalten einen Strick drehen, man gibt sich noch mehr Mühe, man sucht bei sich. Irgendwann kann man dann nicht mehr. Ich hatte nach Jahren der Erschöpfung einen Zusammenbruch. Die Fehler lagen immer bei mir! Meine Erkenntnis heute mit einer abnormalen Person kann man nie und nimmer eine normale Beziehung führen. Es geht nicht. Es helfen auch keine Paartherapien, Mediationen, Einigungsversuche, Verträge. Dazu kommen Untreue, Pornographiesucht, Betrügereien, Urkundenfälschung, finanzielle Probleme und Ungereimtheiten etc.
Wann sollten bei Betroffenen die Alarmglocken läuten?
Eigentlich bei der ersten Ungereimtheit, bei der ersten Abwertung, der ersten beleidigten Reaktion, bei der ersten entdeckten Unwahrheit. Alles hinterfragen, nichts akzeptieren, das nicht glaubwürdig beantwortet werden kann. Das ist sehr schwer in einer Phase der Verliebtheit, der emotionalen Bedürftigkeit. Der erwähnte Narzissmusradar kann aber dabei helfen.
Was raten sie Menschen, die von narzisstischem Missbrauch betroffen sind?
Nicht mehr alleine zu leiden! Es gibt viel Lektüre über das Thema mittlerweile, es gibt die Selbsthilfegruppen, es gibt auch vereinzelt Opferhilfestellen, die sich im Thema auskennen. Die Scham beiseitestellen und sich Hilfe suchen ist die wichtigste Aufgabe. Man ist nicht allein in dieser furchtbaren Situation. Mit der besten Freundin darüber reden ist wohl ein guter Anfang. Sich belesen und dann handeln ist der beste Weg.
In Ihrem Buch berichten Sie auch über die Auswege aus dieser Hölle. Wie gelingt der Ausstieg aus so einer Beziehung?
Viele Betroffene sind sehr stark und halten daher auch viel zu lange durch. Es ist ganz wichtig, eine innere Entscheidung zu treffen, dass man ein besseres Leben verdient hat. Und dann einen kühlen Kopf bewahren, den Ausstieg schafft man durch das Erkennen, was mit Einem passiert ist, die innere Entscheidung, dass man ab jetzt für das weitere Leben Verantwortung übernimmt und dass man an der Situation nicht schuld ist. Dazu kommen eine gute therapeutische Beratung, eine gute juristische Beratung, die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe, denn dort sitzen die wirklichen Experten:innen aus Erfahrung. Eine strategische Planung für den Ausstieg ist extrem wichtig. Dazu steht vieles in meinen Büchern. Und das Nachher ist ebenso gut zu planen, denn der Narzisst wird nicht loslassen, er wird auch nach einer Trennung alles versuchen, einem das Leben zu vermiesen, speziell, wenn es Kinder gibt, die er dann manipuliert und der Mutter zu entfremden versucht. Dabei ist er ganz geschickt, die Kinder- und Jugendhilfe zu manipulieren, die Mutter schlecht zu machen, keinen Unterhalt zu zahlen usw.
Frau Gfader, im Pustertal ist vor kurzem eine Selbsthilfegruppe für Opfer von narzisstischem missbrauch gegründet worden. in Bozen gibt es aktuell zwei bestehende Gruppen, in Meran und Brixen jeweils eine Gruppe. Ist das Thema Narzisstischer Bissbrauch ein weitverbreitetes Thema in Südtirol?
Patrizia Gfader: Ja, leider gibt es in ganz Südtirol viele betroffene Personen, Frauen wie Männer. Häufig melden sich bei uns auch Familienangehörige, die mitansehen müssen, wie beispielsweise ihre Tochter durch den Narzissten von der Familie isoliert wird, und die sich ebenfalls Unterstützung in der Gruppe suchen. Opfer von narzisstischem Missbrauch werden durch den Narzissten gedemütigt, verleumdet, isoliert, kontrolliert, beleidigt, kleingemacht. Sie sind einer großen psychischen Belastung ausgesetzt, das Selbstvertrauen leidet sehr darunter. Es ist oft ausgesprochen schwierig, sich aus solch einer Beziehung zu lösen.
Die Selbsthilfegruppe im Pustertal ist jetzt auch aktiv und hat sich ein erstes Mal getroffen. Wohin soll ich mich wenden, wenn ich so einer Selbsthilfegruppe beitreten will?
Ja, die Gruppe im Pustertal ist Ende Oktober gestartet und wird sich einmal im Monat treffen. Anmeldungen sind unter der Telefonnummer der Dienststelle für Selbsthilfegruppen, 0471/188 81 10, sowie per E-Mail an selbsthilfe@dsg.bz.it möglich. Wir vermitteln die Personen dann an die Leiterin der Gruppe.
Was erwartet mich als Betroffene:r bei so einem Treffen?
In einer Selbsthilfegruppe kommen Menschen zusammen, die alle von einem gemeinsamen Thema betroffen sind. In diesem Fall erleben die Teilnehmer:innen narzisstischen Missbrauch, sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld. Die Teilnehmer:innen tauschen sich darüber aus, wie es ihnen mit dieser Situation geht, was sie erleben und wie sie damit umgehen. Man spricht über Gefühle und Erfahrungen und tauscht Informationen aus. Man hört einander zu und erkennt, dass man nicht allein ist. Das tut gut und gibt Kraft. Was gesagt wird, ist vertraulich; man erzählt niemandem außerhalb der Gruppe davon.
Narzisstischer Missbrauch bleibt oft unentdeckt und ist meist ein Tabuthema. Wie kann die breite Bevölkerung über dieses Thema besser informiert werden?
Der Dachverband für Soziales und Gesundheit hat im April 2024 einen Informationsabend zu diesem Thema organisiert. Der Andrang war enorm. Viele der Teilnehmer:innen haben erstmals von diesem Begriff gehört und dadurch zuordnen können, was ihnen, oft jahrelang, widerfahren ist oder noch widerfährt. Zeitungsartikel wie der vorliegende haben große Bedeutung bei der Information über dieses Thema. Der Dachverband für Gesundheit und Soziales plant eine weitere Informationsveranstaltung im nächsten Jahr.
TL
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