Südtirol – Seit 50 Jahren wird Burgi Künig bei allen Tages- und Nachtzeiten gerufen. Sie ist die älteste freiberufliche Hausgeburtshebamme in Südtirol.
Ihr Beruf erfordert Erfahrung, Wissen und eine gute Portion Einfühlungsvermögen. Mit dem Puschtra Magazin hat die Hebamme über 50 Jahre Entbindungsgeschichte, das Phänomen weiblicher Körper und werdende Väter gesprochen.
Frau Künig, Sie sind jetzt seit 50 Jahren Hebamme, was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?
Burgi Künig: Am 27. Juni 2024 waren es genau 50 Jahre, dass ich Hebamme bin, denn genau dieses Datum findet sich auf meinem Diplom wieder. Ich liebe meinen Beruf nach wie vor. Ein besonderer Vorteil ist, dass ich mein eigener Herr bin (lacht). Da ich gerne mit Menschen arbeite und ein sehr großes Einfühlungsvermögen habe, passt dieser Beruf gut zu mir. Vor allem reizt mich das ‘Rundumpaket‘, das weit über die Geburt hinausgeht, so wie es in den alten Hebammenbüchern beschrieben ist: Die Hebamme ist zuständig für die Gesundheit der Frau, für die physiologische Schwangerschaft und die Geburt, sowie für das Kind bis zu drei Jahren. Hier ist der ganzheitliche Ansatz gut beschrieben und das ist genau mein Tagesgeschäft: Die selbstständige Hebamme ist die Ansprechpartnerin für alles! Früher war die Hebamme, nach dem Pfarrer, die wichtigste Person in einer Gemeinde, die sogar gerufen wurde, wenn dem Vieh etwas gefehlt hat. Nachdem ich ohne Arzt und Ärztin arbeite, muss ich auch für allerleih Wehwehchen gewappnet sein und musste mich deshalb auch ständig weiterbilden. Das größte Geschenk ist allerdings die Dankbarkeit der Frauen, die ich in einem der wichtigsten Momente ihres Lebens begleiten darf.
Wie hat sich das Gebären in diesen 50 Jahren verändert?
Es hat sich sehr viel verändert. Bis in die 50er-Jahre gab es die Gemeindehebammen und es war üblich Zuhause zu entbinden. In den Folgejahren wurden die Entbindungsstationen in den Krankenhäusern ausgebaut und auch die Hebammen haben begonnen die Gebärenden ins Krankenhaus zu begleiten. Man wollte jetzt sozusagen ‘auf Nummer sicher gehen‘, um Risiken zu minimieren. Ich kann mich noch erinnern, dass ich bei meiner Krankenpflegeausbildung 1970 bis 1972 Frauen erlebt habe, die nur zum Entbinden ins Krankenhaus gekommen sind, vorher aber noch nie eine Kontrolle im Krankenhaus gemacht hatten. Nach meiner Ausbildung zur Hebamme gab es dann schon den Ultraschall, was für uns junge Hebammen sehr spannend war. Schwangere fanden sich in diesen Jahren dreimal zur Kontrolle im Krankenhaus ein. Ein großer Unterschied, den ich heute immer wieder feststelle ist, dass die Frauen von damals in vielen Dingen anders reagiert haben als heute. Sie waren ‘in der Hoffnung‘ und hatte das Beste im Sinn. Informationen über eine Schwangerschaft gab es wenige und wenn, dann kamen sie von anderen Frauen, die selbst schon geboren hatten oder von Hebammen. Wenn es Schicksalsschläge gab, hat man sie akzeptiert, weil diese zum Leben dazugehören. Die medizinischen Visiten und Kontrollen für Schwangere sind im Laufe der Jahre kontinuierlich angestiegen und auch die Geburten haben sich verändert, diese wurden viel intensiver medizinisch betreut. Heute sind wir bei einer Schwangerschaft und Geburt angelangt, wo versucht wird alles zu kontrollieren, das soll den Frauen Sicherheit geben. Ich habe aber festgestellt, dass die Frauen heute immer ängstlicher in Bezug auf ihre Schwangerschaft sind. Um es in einem Satz festzuhalten: Die Geburt hat sich von einem sozialen zu einem medizinischen Ereignis gewandelt. Eine Geburt ist das Natürlichste auf der Welt, seit es Menschen gibt und an der Art, wie ein Kind auf die Welt kommt, hat sich nichts geändert, aber alles, wie damit umgegangen wird.
Sie haben als junges Mädchen in Brixen die Krankenpflegeschule besucht, danach in Bozen die zweijährige Ausbildung zur Hebamme absolviert und sich in den 80er-Jahren auf Hausgeburten spezialisiert. Warum dieser Schritt?
Nach 20 Jahren Krankenhaus Brixen habe ich mich nach Bozen versetzen lassen, weil ich dort gewohnt habe. Die Stimmung im Krankenhaus Bozen war eine ganz andere, als ich sie von Brixen her kannte: Die Hebammen waren teils empathielos und die Geburten hatten sich verdoppelt. Es gab weder Zeit noch Ohr für die Nöte der Frauen und das war für mich wirklich schlimm, das habe ich nicht ausgehalten. In dieser Zeit sind die Gemeindehebammen in den Ruhestand getreten und die Hausgeburten haben sich ins Krankenhaus verlagert. Da brauchte es in den Gesundheitssprengeln des Landes Hebammen und für so einen Job habe ich mich dann beworben. Im ganzen Land hielt ich Geburtsvorbereitungskurse und kam mit Hausgeburten in Kontakt. Die Frauen haben geweint, weil es keine Hebamme mehr gab und so bin ich in diese Aufgabe reingerutscht. Da ich bereits 20 Jahre Diensterfahrung hatte, konnte ich in Pension gehen und machte mich daraufhin als Hebamme selbstständig. Das war eine sehr positive Erfahrung für mich.
Welche Erinnerungen haben Sie an ihre erste Hausgeburt?
An meine erste Hausgeburt kann ich mich genau erinnern: Diese war in den 90er-Jahren und die Dame war etwas kritisch und ich noch nicht so reif (lacht). Die steile Stiege im Haus – die bei einem Notfall zum Problem geworden wäre – ist mir immer noch in Erinnerung. Ich war nicht so ausgerüstet wie heute, etwas naiv und der Vater des Neugeborenen war gegen die Hausgeburt, aber das Baby ist gekommen und es ist alles gut gegangen, nur die Matratze war ruiniert! Heute bin ich auch diesbezüglich gut ausgerüstet! Damals habe ich für meinen Dienst noch kein Geld erhalten, mir ging es in erster Linie immer um die Frauen und ihr Wohlergehen.
Hausgeburt oder im Krankenhaus entbinden?
Für eine Hausgeburt muss ich vorerst den Gesundheitszustand der Mutter kennen, um zu entscheiden, ob sie überhaupt eine Hausgeburt machen kann: Die Mutter muss gesund sein, darf nicht an Vorerkrankungen leiden und die Geburt darf nicht vor der 37 Schwangerschaftswoche eintreten, weil es sich dann um eine Frühgeburt handelt, bei der die Frau ins Krankenhaus muss. Die Hebamme ist dazu da die Frau bei einer Hausgeburt zu begleiten und zu unterstützen. Sie ist emotional, menschlich und medizinisch für die werdende Mutter zuständig. Das Krankenhaus gibt mir bei einer Hausgeburt im Hintergrund die Sicherheit für den Notfall. Tritt dieser ein, verlege ich die Frau ins Krankenhaus. Eine Geburt ist das Intensivste, was eine Frau im Leben erlebt. Die Mutterschaft und die Geburt sind wichtige Entwicklungsprozesse im Leben einer Frau, deshalb ist es wesentlich, dass Frauen den Geburtsprozess verstehen lernen. Damit verbunden ist auch das Aushalten des Geburtsschmerzes, etwa für die spätere Annahme des Kindes und für den weiteren Lebensweg beider. Heute entfernen wir uns immer mehr von diesem natürlichen Geburtsprozess. Jeden Monat eine Arztkontrolle mit Blutbild, Ultraschall und weiteren Kontrollen sind meiner Meinung nach übertrieben. Die Frauen fühlen sich sicher, aber trotzdem gibt es die 100-prozentige Sicherheit nicht und eine komplikationsfreie Schwangerschaft bedeutet nicht, dass die Geburt genauso verläuft. Eine Frau besitzt von Natur aus ihr gesamtes Grundpaket für eine Geburt und braucht – wenn es keine Komplikationen gibt – im Grunde nur sich selbst.
Wissen Sie, wie vielen Kindern Sie schon auf die Welt geholfen haben?
Das ist eine Frage, die ich nicht genau beantworten kann, da müsste ich nachschauen, aber über tausend Geburten sind es sicher. Bei den Hausgeburten bin ich mir sicher: bis heute sind es 547.
Was sind die häufigsten Gründe, dass sich eine Frau für eine Hausgeburt entscheidet?
Frauen, die sich für eine Hausgeburt entscheiden sind besondere Frauen, die einen guten Zugang zu ihrem Körper haben, wissen, was sie brauchen und sich in der häuslichen Umgebung wohl fühlen. Zudem ist das Vertrauen zu mir gegeben, was sehr wichtig ist. In einem Vorgespräch lerne ich das Paar kennen und ergänzend zum Arzt oder Ärztin betreue ich im Idealfall die gesamte Schwangerschaft, die Geburt und die Zeit der ersten drei Lebensjahre des Kindes. Es sind Frauen, die bestimmen, wie sie gebären wollen. Im Krankenhaus ist die Frau Gast, im eigenen Haus ist sie der Boss. Ich muss auch erwähnen, dass es viele Frauen gibt, welche im Krankenhaus schlechte Erfahrungen gemacht haben und sich deshalb entscheiden, Zuhause zu gebären. Wenn diese Frauen die Hausgeburt als eine positive Lebenserfahrung beschreiben, ist das für mich das Glück meines Berufes.
Was machen Sie, wenn bei zwei Ihrer Gebärenden zeitgleich die Wehen kommen?
Bereits im Erstgespräch erkläre ich, dass es auch Berufsrisiken gibt. Ich könnte zum Beispiel krank im Bett liegen. Ich habe allerdings eine starke Natur und bis jetzt auch das Glück, dass es mir nur einmal passiert ist, dass ich eine Gebärende abgeben musste. Dass ich von einer Geburt zur anderen fahre, passiert allerdings nicht selten. So hatte ich zum Beispiel in 24 Stunden vier Geburten hintereinander: die erste in Mühlwald, die zweite in Kaltern, die dritte in Oberinn auf dem Ritten und die vierte in Lana. Wenn die Frauen gleichzeitig in den Wehen liegen, kann ich auf eine Kollegin zählen oder ich schicke die werdende Mutter ins Krankenhaus.
Sie haben selbst zwei Kinder bekommen. Welche Erfahrungen habe Sie für Ihren Beruf mitgenommen?
Der Geburtsschmerz ist mir noch präsent, aber sonst kann ich nicht sagen, dass mich diese Erfahrung für meinen Beruf nachhaltig geprägt oder verändert hat. Ich habe im Krankenhaus mit Arzt entbunden, und die Geburten waren relativ ‘einfach‘ und schnell.
Während der Geburt kochen Sie eine Hühnersuppe. Wie kam es dazu?
Eine Hühnersuppe, als erste Mahlzeit nach der Geburt, wärmt die Frau, bringt ihr Kraft und ist in vielen Kulturen präsent. Deshalb köchelt während einer Geburt meistens eine Hühnersuppe auf dem Herd. Die Männer beauftrage ich stets nach der Suppe zu sehen, damit sie auch eine Aufgabe haben.
Und was machen die Männer sonst noch?
1985 kamen mit der ‘sanften Geburt‘ auch die Männer in den Kreissaal, vorher wurde die Frau samt Koffer alleine im Krankenhaus empfangen. Bei diesem Thema bin ich ein bisschen spitz und behaupte, dass nicht alle Männer kreissaaltauglich sind. Bei den Hausgeburten bin ich aber froh um die Männer, weil sie sich im Haus auskennen und mir auch sonst mit der Mobilisierung der Frau zur Hand gehen können. Außerdem bekommt die Hebamme auch irgendwann Hunger.
Vor kurzem ist Ihr Buch „Burgi, das Baby kommt! Geschichten einer Hebamme“ erschienen. Warum haben Sie es geschrieben?
Mit diesem Buch war ich lange schwanger! Der Beruf der Hebamme ist einfach ein interessantes Thema, das in einer Runde gleich für viel Gesprächsstoff sorgt. Wenn ich über meine Hausgeburten erzählt habe, hat man mich ermutigt, diese Geschichten doch aufzuschreiben und das habe ich gemacht.
Wie kommt das Buch an?
Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen bekommen. Bei der Buchvorstellung am 18. Februar, um 18 Uhr im Sparkassensaal Waltherhaus in Bozen bin ich schon gespannt, was mich erwartet.
TL