Lungiarü / Campill – Giovanni Mischí aus Lungiarü/Campill hat Meilensteine für das Bewahren der ladinischen Kultur gesetzt.
Herr Mischí, eines Ihrer Hauptwerke ist das Wörterbuch Ladinisch-Deutsch / Deutsch-Ladinisch. Was bedeutet es für Sie?
Giovanni Mischí:Ich habe das große Glück, mich beruflich mit meiner Muttersprache beschäftigen zu dürfen – ein Privileg, das ich sehr zu schätzen weiß. Das Ladinische ist die älteste Sprache Südtirols und ein wesentlicher Bestandteil unseres gemeinsamen kulturellen Erbes. Es liegt daher in der Verantwortung aller, dafür zu sorgen, dass diese Sprache eine lebendige und gesicherte Zukunft hat. Ein großer Bedarf besteht heute in der Erweiterung des Wortschatzes, insbesondere durch die bewusste Schaffung zeitgemäßer Ausdrücke. Daher war die Erstellung eines modernen und praxisorientierten Wörterbuchs ein dringendes Bedürfnis. Die ladinischen Idiome unterscheiden sich zwischen Gadertal, Gröden, Buchenstein, Fassa und Ampezzo nicht nur in Wortschatz, Aussprache und teils in der Grammatik, sondern weisen selbst innerhalb eines einzelnen Tals Variationen auf. Das von mir erarbeitete Wörterbuch erfasst und beschreibt in erster Linie den Wortschatz der ladinischen Gegenwartssprache des Gadertales. Ein zentrales Ziel war es jedoch, eine möglichst umfassende und repräsentative Sprachgrundlage zu schaffen, die sowohl die sprachliche Vielfalt widerspiegelt als auch zur Standardisierung beiträgt. Es soll helfen, eine brauchbare Basis für die Kodifizierung eines einheitlichen ladinischen Wortschatzes zu liefern und die Schaffung von Neologismen sowohl für die Alltagssprache als auch für die einzelnen Varietäten des ladinischen Diasystems zu erleichtern. Durch die kürzlich erschienene Online-Version des Buches erhält das Ladinische eine globale Reichweite, die es sonst nicht hätte.
Ihre Interessen gehen aber weit über die Sprache hinaus …
Intensiv beschäftigte ich mich auch mit der Geschichte und Bewirtschaftung des Lärchenwaldes von Lungiarü, daraus entstand das Buch „Larjëi.1000 Jahre Bewirtschaftung der Lärche im Campilltal“. Auch die Wassermühlen von Lungiarü, die Viles und die Kalkbrennöfen hielt ich in einem Bildband bzw. in diversen Beiträgen fest.
Seit einem Jahr arbeiten Sie im Museum Ladin in San Martin de Tor. Womit befassen Sie sich?
Auch im Museum Ladin arbeiten zu dürfen, erachte ich als ein großes Privileg. Das Museum ist eine der bedeutendsten kulturellen Einrichtungen im Gadertal und spielt eine zentrale Rolle in der Bewahrung und Vermittlung unserer ladinischen Kultur. Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter und befasse mich derzeit mit der Erschließung diverser Archivalien.
Was war Ihre berufliche Tätigkeit?
Ich arbeitete als Übersetzer, Lexikograf und Archivar am Ladinischen Kulturinstitut Micurá de Rü in San Martin de Tor. Weiters leitete und entwickelte ich am Schulamt Weiter- und Fortbildungsprogramme für ladinische Lehrkräfte und war als Lehrbeauftragter an der Freien Universität Bozen tätig, wo ich ladinische Lehrinhalte unterrichtete. Auch setzte ich mich viele Jahre als Gemeindereferent in der Gemeinde San Martin de Tor ein und ehrenamtlich in verschiedenen Vereinen sowie als Präsident des Gadertaler Seniorenwohnheims.
Lungiarü ist seit einigen Jahren Bergsteigerdorf. Eine gute Idee?
Ja, denn dadurch wird sanfter Tourismus gefördert, der im Einklang mit der Natur und den lokalen Traditionen steht. Gleichzeitig bringt der Titel aber auch die Verantwortung mit sich, den natürlichen Raum nachhaltig zu pflegen und zu respektieren und die Infrastruktur so zu entwickeln, dass sie den Anforderungen der Bergsteiger und Wanderer gerecht wird, ohne die Umwelt und die lokale Bevölkerung zu belasten. Insgesamt hat der Status als Bergsteigerdorf somit sowohl wirtschaftliche als auch kulturelle und ökologische Dimensionen.
Sie studierten Germanistik und Geschichte, bezeichnen sich aber nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als „Wiesen-schaftler“…
Ich kreierte den Begriff „Wiesen-schaftler“, um meine enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis auszudrücken.
Neben meiner akademischen Arbeit verbrachte und verbringe ich viel Zeit auf unserem Bauernhof, wo ich viel über die Natur, die Landwirtschaft und das einfache Leben lernte. Diese Erfahrungen bereichern meine wissenschaftliche Arbeit und vermitteln mir eine tiefere Perspektive auf das tägliche Leben und die Traditionen unseres Tales. Ich bewirtschafte nach wie vor den Hof, mähe die Wiesen, pflege den Wald. Die Arbeit am Hof macht mir Spaß, sie vermittelt mir nicht nur praktisches Wissen, sondern auch ein tieferes Verständnis für die kulturellen Wurzeln.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
In meiner Jugend wollte ich Sport studieren, leider hat es damit nicht geklappt. Nach wie vor ist Rennradfahren mein großes Hobby. Der Sport gibt mir Energie, Ausgleich und die Möglichkeit, mich selbst herauszufordern. Viele meiner besten Ideen für Initiativen und Projekte kommen mir meist beim Radfahren. Die Natur hingegen schenkt mir Ruhe, Inspiration und eine tiefe Verbundenheit mit meiner Umgebung. Beide Aspekte helfen mir, mein inneres Gleichgewicht zu finden und meine Kreativität zu fördern.
Ihre Botschaft an die Welt …
Lasst uns die Vielfalt in all ihren Formen schätzen – sei es in der Natur, der Sprachen oder im menschlichen Miteinander. Jeder von uns hat etwas Einzigartiges in sich, das es verdient, gehört und respektiert zu werden. Möge dieser Respekt den Weg für Frieden ebnen, damit wir eine Zukunft gestalten, die auf Verständnis, Zusammenarbeit und dem Erhalt dessen basiert, was uns verbindet.
Vielen Dank für das Gespräch!
IB