Eine vergleichende Analyse des Wohnbaus in der Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino wurde heute bei einer Euregio-Tagung an der EURAC in Bozen vorgenommen.
„Die gesellschaftliche Veränderung wirkt sich auf die Wohnsituation der Menschen aus“, betonte heute (24. Mai) zur Eröffnung der Tagung über den Wohnungsmarkt-Vergleich in der Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino Landesrat Christian Tommasini. Er kündigte zum Auftakt der von der Europaregion und dem Arbeitsförderungsinstitut Südtirol (AFI) organisieren Tagung an, dasss die Landesregierung die politischen Rahmenbedingungen in Bezug auf Mietmarkt, Grundverfügbarkeit und Wohnungserwerb sowie sozialem Wohnbau anpassen werde, und die für die unterschiedlichsten Zielgruppen von jungen Leuten über den Mittelstand bis hin zu getrennten und geschiedenen Personen, damit Wohnen wieder leistbar werde.
Wie Stefan Perini vom Arbeitsförderungsinstitut Südtirol in seinem Referat ausführte, müsse die Gestaltung der Zukunft unter anderem auch über die Wohnpolitik erfolgen: „Wenn wir heute die Wohnpolitik neu gestalten, müssen wir überlegen, welche Gesellschaft wir morgen wollen.“ Er forderte, Elemente von Tradition und Innovation neu zu verknüpfen: „Was sich über Jahrzehnte bewährt hat, soll nicht verworfen, was nicht mehr funktioniert, soll aber unbedingt umgestaltet werden.“
Der von der Landesregierung angestrebte Paradigmenwechsel „Weg von der Stützung der Nachfrage – hin zur Schaffung von Angebot“ sei ohne Zweifel interessant, so Perini, als Form der Baulandbeschaffung können aber auch ebenfalls Privatverhandlungen der Enteigung vorgezogen werden. Oberstes politisches Ziel müsse die Deckung des Grundwohnbedarfs bleiben, damit jede Person in Südtirol sprichwörtlich ein Dach über dem Kopf habe. „Im aktuellen Landesgesetzesentwurf sehen wir dieses Prinzip zu wenig stark verankert. Vielmehr spricht man von Wohnraum für Ansässige beziehungsweise Nicht-Ansässige“, bemängelte Perini.
Markus Kröll, der Leiter der Abteilung Miet- und Wohnrecht der Arbeiterkammer Tirol, der über Videokonferenz zugeschaltet war, schilderte die Situation in unserem Nachbarland jenseits des Brenners folgendermaßen: „Geringe Einkommen und hohe Wohnungsaufwandsbelastungen führen in Tirol dazu, dass das Wohnen für Mieter nicht geförderter Wohnungen zu einem Luxusgut geworden ist.“ Daher sei eine soziale Wohnbauoffensive erforderlich, um die Marktsituation etwa im Ballungsraum Innsbruck zu entspannen und gleichzeitig den Standort Tirol für Anleger unattraktiver zu gestalten. Erst dadurch würde für Tirols Arbeitnehmer leistbares Wohnen wieder möglich.
Gianfranco Cerea, Dozent für Wirtschaft an der „Università degli Studi“ in Trient unterstrich: „Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass Eigentum an Wohnungen im Trentino die Regel darstellt, die Preise aber deutlicher als anderorts gestiegen sind.“ Der Vergleich mit anderen Realitäten zeige dementgegen ein komplett anderes Bild. Im Unterschied zu Bozen seien in Trient, wie im restlichen Italien, Zweitwohnsitze sehr verbreitet, vor allem in Tourismuszentren. Trotz steigender Anzahl schlage sich dieses Faktum nicht auf ein höheres Einkommen der Gesamtbevölkerung nieder: Bei gleichem Aufnahmevolumen nehme Bozen eine Milliarde Euro mehr ein.
Südtirol und das Trentino haben, so die Analyse, trotz besserer Ausgansposition in den 50er Jahren, eine niedrigere Eigentumsquote als die Lombardei und Venetien. Politische Maßnahmen, die Wohnungskäufe fördern sollten, waren demzufolge wenig wirksam. Im Besonderen haben sich die Finanzhilfen von Seiten der öffentlichen Hand in Preissteigerungen verwandelt, welche zum fast ausschließlichen Vorteil von Immobilienrenditen und –spekulationen wirkten.
Aber das war noch nicht alles. Die Vergünstigungen haben Häuser zu niedrigen Preisen geradezu vom Markt verschwinden lassen. Zwar kosten wertvolle Häuser im Trentino weniger als vergleichbare in Venetien, Niedrigpreishäuser liegen im Gegenteil dazu aber weit über dem Durchschnitt. Es fehlen Wohnungen zu leistbaren Preisen, mit gravierenden Auswirkungen sowohl für jene, die keine Beiträge erhalten, als auch für Mieter. Dieses Phänomen betrifft auch Bozen.
In Hinblick auf die derzeitige Bevölkerung ist der Immobilienmarkt bereits mehr als gedeckt. Es sei daher notwendig bereits bestehende Strukturen zu sanieren und wiederaufzubauen, anstatt weitere Flächen zu bebauen.
Durch ein Angebot von Mietwohnungen zu einem moderaten Preis sollte, so die Empfehlung, vor allem jungen Menschen leistbares Wohnen zugänglich gemacht werden. Eine positive Erfahrung, die im Trentino bereits erreicht wurde, auch durch die Zusammenarbeit mit Laborfonds. Für den sozialen Wohnbau ist eine Politik, welche bestehende Gebäude schätzt, unerlässlich. Dafür müsse man zwei grundsätzlichen Prinzipien folgen: Eine öffentliche Präsenz ist unerlässlich, vor allem in Bezug auf jene Bevölkerungsschicht, welche aus zeitlichen oder strukturellen Gründen nur schwer auf dem Wohnungsmarkt fündig wird; der Mietpreis muss den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen der Mieter entsprechen und Sozialwohnungen dürfen im Regelfall nicht für immer sein.
Mit der Tagung „Wohnbau zwischen Regulierung und Marktwirtschaft“ eröffnen die Europaregion, das AFI, die Kammer für Arbeiter und Angestellte Tirol und das Trentiner LaRes (Laboratorio di Relazioni di Lavoro e Sindacali) die Veranstaltungsreihe „Arbeits- und soziale Standortpolitik in der Euregio“ – mit dem Ziel, die Euregio Tirol-Südtirol-Trentino als gemeinsamen sozial- und arbeitspolitischen Standort zu begreifen und zu stärken. „Damit wollen wir gemeinsame Handlungsmöglichkeiten innerhalb der relevanten Politikfelder Arbeit und soziale Sicherung besser erkennen, erörtern sowie gute Praktiken auf ihre Transfermöglichkeiten hin überprüfen“, erklärte Matthias Fink vom Euregio-Büro abschließend. Die weiteren Tagungen sind der Beschäftigungspolitik (21. September in Trient) und der Sozial- und Wohlfahrtspolitik (29. November in Innsbruck) gewidmet. (LPA)
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