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Der Dichter Norbert Conrad Kaser

Teil IV – Dem Ende zu

 

In einem in Bad Berka geschriebenen Brief heißt es, das Nicht-mehr-Saufen falle nicht schwer, aber der Rückfall kam sehr schnell. Auf dem Rückweg von Bad Berka besuchte Kaser in Innsbruck Paul Flora und nahm an der Vorstellung der Zeitschrift „Der Föhn“ teil, die gerade damals stattfand. Kaser gehörte zu den Gründern dieser Zeitschrift. In einem Brief an Rosmarie Judisch berichtet Kaser über die Vorstellung, es heißt: … „war sterbensmued & voller mitgebrachter impressionen  & in kuerze stockbesoffen“.

 Gedicht: „stegener markt“
ausgabe 77
weinen will ich weinen um den groessten markt tirols.
leute zuhauf menschen auch … nix weiter.
der markt aber schreit nicht mehr.
kinderaugen verlaufen sich nicht am tuerkischen Honig.
automatisierte schausteller.
wo? wo die schwerversehrten bettler
die gaukler schwindler feuerfresser
die heiligenbildchen wundermittel
die tiger panther rotarschaffen
die dickste ziehorglerin der welt
koeschtnbrater bauernfänger riesenschlange
steilwandfahrer tanzbaer akrobat

fade sind die waren ohne salz dass sich die plastikblumen schaemen
die tupfer fehlen im gewog gewurrle und geschehen.
doch ueber allem schweben vom bierzelt aus die schwaden massenhaft
massakrierter huehner dem dorfe stegen zu.
weinen will ich weinen & find das schneuztuchmanndl nimmer
mit seinem song:

eins fiers moidile nannile joggile seppile tresile
moidile nannile joggile seppile
moidile nannile joggile
moidile nannile
moidile
plaerren kannt`i!

„stegener markt“ ist eines der bekanntesten Gedichte von N. C. Kaser. Der Text ist eine Reihung von konkreten Bildern und ist Beweis dafür, dass Kaser ein unverbesserlicher Nostalgiker ist. Das Nostalgische ist geradezu ein Grundzug seiner Texte. Beispiele dafür neben diesem Gedicht:  die Stellungnahmen für den Turmwächter am Rainturm in Bruneck, für die Hausermuchkühe und Lackners Fuhrwerk, dann der Dialektsatz am Schluss des obigen Gedichtes und der Gedichtstitel „zuflure“. Schließlich ist das Sprüchl des Schneuztuchmandls im Stegenermarkt-Gedicht so angeordnet, dass im Leser die Form eines konkreten Lautgedichtes evoziert wird. Natürlich ist der ganze Text in der von Kaser 1968 eingeführten Kleinschreibung abgefasst, die Umlaute werden als ae, oe und ue geschrieben. Es gibt keine Satzzeichen außer hie und da einen Punkt. In Prosatexten fällt vor allem der senkrecht eingehaltene rechte Seitenrand auf, was dem Text zwar so etwas wie das Schriftbild gedruckter Seiten vermittelt, aber natürlich auch zu ganz willkürlichen Trennungen führt.

N. C. Kaser

Als nach der Rückkehr Kasers aus der DDR in Bruneck die Not bald wieder groß war, gewährte Bundesminister Sinowatz noch einmal 10.000 öS. als eine Art Überbrückungshilfe. Ab August 1977 schrieb Kaser dann wöchentlich eine Glosse für den Alto Adige, pro Glosse bekam er 15.000 Lire minus Steuern. In der Fahrschule Adang besserte er dieses magere Einkommen als Telefonhüter etwas auf.

Einige Lesungen brachten Erfolge, aber mehr nur solche in kleinem Kreis, einmal in Lienz (7.4.1978), dann in der Alten Schmiede in Wien, zusammen mit Joseph Zoderer (11.4.1978). Die Alte Schmiede ist ein Lokal in Wien, in dem Dichterlesungen und Ausstellungen stattfinden. Vom 4.-7. Mai 1978 nahm Kaser noch einmal an den Innsbrucker Wochenendgesprächen teil, die von der Schriftstellerin Ingeborg Teuffenbacher organisiert wurden. Kaser hatte sich dazu schon eine Einladung im Jahr vorher erhofft und reagierte gegenüber Zoderer recht unwirsch, weil man ihn anscheinend vergessen hatte. Am Schluss dieses Briefes heißt es:

„es mag sein daß ich Dich zum x-tenmal als steigbuegel brauche aber be
denke Deine eigne truebe wienerzeit so verstehst du leichter die lage.
als ‚kuperion‘ will ich keineswegs enden!“

Kuperion war ein in Meran herumvagabundierender Bettelmaler, der abstrakte Bilder malte und diese dann oft gegen ein Glas Wein eintauschte. Im Jahre 1961 wurde er von recht findigen Leuten entdeckt und auf Ausstellungen in Mailand und Meran groß herausgebracht. 1966 starb Kuperion mit 75 Jahren. Kaser endet wie Kuperion, nur viel früher. Er starb am 21. August 1978 im Alter von 31 Jahren.

Will man Erklärendes zu Kasers Schicksal sagen, kann man davon ausgehen, dass eine Wurzeln dieses Schicksals  seine Herkunft ist. Es ist hier nicht der Ort, sie haargenau zu rekonstruieren und darüber herzufahren. Sicher ist aber, dass Kaser unter den tristen Verhältnissen, die sich um ihn  allmählich herausgebildet hatten, gelitten hat. Es scheint übrigens gar nicht selten so zu sein, das triste Verhältnisse die Voraussetzung für Künstlertum sind. Die Psychoanalytikerin Alice Miller schreibt zu dem Problem:

„Wenn man von der schweren Kindheit eines Dichters erzählt, kann man häufig die Ansicht vernehmen, daß das große Werk gerade den frühen Traumatisierungen seine Existenz verdanke … Es ist zweifelslos kaum denkbar, daß ein Mensch, der nicht leidensfähig ist, ein großes Werk schaffen kann. Aber die Leidensfähigkeit ist nicht eine Folge von Traumatisierungen, sondern beide sind Folgen der sehr hohen Sensibilität … Daher ließe sich der eben angeführte Satz eigentlich umkehren: man könnte wohl sagen, daß es in der Kindheit eines jeden großen Dichters viel Leiden gab,  weil dieser viel stärker und intensiver die Kränkungen, Demütigungen, Ängste und Verlassenheitsgefühle erlebte, die zu jeder Kindheit gehören … Das erklärt, warum große Künstler fast notwendig neurotisch werden müssen, doch die Neurose ist die Begleiterscheinung ihrer Situation … Nicht in der Neurose, sondern in der Leidensfähigkeit liegen die Wurzeln der Kreativität.“ Die hohe Sensibilität lässt tiefere Wunden zu von Anfang an, tiefere als uns unter Anführungszeichen „Normalen“ geschlagen werden. Als der aus Südtirol stammende österreichische Maler Oswald Oberhuber, er gehört in Wien zu den führenden Leuten der Moderne,  nun schon vor einigen Jahrzehnten in seiner Vaterstadt  Meran eine Ausstellung eröffnete, sagte er in einem Interview:

„Künstler wird man, wenn man Verwundungen erlitten hat, je mehr, desto besser.“

Außerdem war er der Meinung, die Tiroler seien kunstbegabt, weil sie sehr feinfühlig seien, aber dieses Zuviel an Gefühl lasse verkommen, verführe zum Scheitern,. Oswald Oberhuber hat nicht von Kaser gesprochen, aber was er gesagt hat, passt auf ihn.

N.C.Kaser mit dem Maler Albert Mellauner auf dessen Vernissage in der Athesia Gallerie in der unteren Stadtgasse (Herbst 1977).

Wenn jemandem nun das alles ein bisschen zu hochgegriffen erscheint, vor allem dann, wenn Sie Kaser persönlich gekannt haben, dann vergessen Sie nicht, dass künstlerische Begabung sich keineswegs mit dem decken muss, was wir biedere, brave Bürger an Idealen haben.

Kasers Werk ist sehr stark südtirolbezogen, dessen war er sich auch bewusst. Aber das Lebensgefühl Kasers, das aus seinen Texten spricht, ist allgemeiner, ist das einer ganzen Generation. Kasers Nähe zu jenen Lyrikern, die man heute unter die Gruppenbezeichnung „Neue Subjektivität“ fasst, ist frappierend. Rolf Dieter Brinkmann ist der vielleicht wichtigste Vertreter dieser Neuen Subjektivität. Bei ihm wie bei Kaser ist immer wieder das Gefühl der Isolation thematisiert, die Angst nicht mehr weiter zu wissen, der Wille, eingefahrene Bahnen trotzdem nicht mehr zu befahren und der Wille zum Außenseitertum. Kaser hat vor allem in den letzten Briefen dieses resignative, beklemmende Lebensgefühl immer wieder in glasklare Worte gefasst, eine Art Zitatenkollage soll das zeigen:

… ich bin und bleibe ein spinner der nirgends hinpaßt …
… ich bin einsam, wie ein alter mann, aber frei, mein eigener herr …
… ich weiß noch immer nicht, wer ich eigentlich bin, aber daß ich wer
bin, weiß ich & daß ich tausendfach anders bin als sie …

… ich bin zu faul und zu marod …
… unsere jahrgaenge stehen jetzt in vorderster front.
… wir sind ueberhaupt eine recht eingeklemmte generation.
Rueckwaerts geht es nimmer & vor dem vorwaerts graut uns
… zum glueck bin nur ich mir selber ein unglueck …

Das letzte Kurzzitat stammt aus Kasers letztem Brief an Rosmarie Judisch, datiert vom 17. Juli 1978.

Kaser begann früh mit dem Tode zu kokettieren, 1970 z. B., als sein Mitschüler Karl Rubatscher verunglückte, gab er einem Gedicht den Titel „in memoriam Karl Rubatscher oder wer weiß wo ich Ende 70 bin“. In der späteren Lyrik und in den Briefen nehmen diese Anspielungen zu, wie überhaupt der immer schon düstere Grundton noch schwermütiger wird. In gewisser Weise kippt diese Schwermut im letzten Gedicht N. C. Kasers in surrealistische Bilder, die gegen Todesahnung und Verzweiflung gesetzt werden. Das letzte Gedicht Kaser bildet den Schluss dieses Artikels. (RT)

C. Kasers letztes Gedicht:

ich krieg ein kind
ein kind krieg ich
mit rebenrotem kopf
mit biergelben fueßen
mit traminer goldnen haendchen
& glaesernem leib
wie klarer schnaps
zu allem lust
& auch zu nichts
ein kind krieg ich
es schreiet nie
lallet sanft
ewig sind
die windeln
von dem kind
feucht und naß
ich bin ein faß