Bittgänge waren früher eine Notwendigkeit. Die Menschen waren den Unbillen der Witterung weit mehr ausgesetzt als heute. Eine längere Trockenperiode, die das Korn nicht mehr reifen ließ, bewirkte nicht selten eine Hungersnot. Gerade der Getreideanbau war überlebensnotwendig. Im Pustertal war die Kornmutter von Ehrenburg die dafür zuständige Adresse. Die Ahrntaler Männer machen sich noch heute einmal im Jahr auf und gehen zu Fuß nach Ehrenburg und zurück, wobei sie vor allem um gedeihliche Witterung bitten, aber auch zahlreiche andere Anliegen betend und singend der Gottesmutter vortragen, auf dass diese sie erhöre und Schaden nicht nur von den Bittgängern abwende, sondern ganz generell von Haus und Hof und dessen Bewohnern.
Die Kornmutter
Die Gnadenbilder, zu denen die Ahrntaler Bittgänger ziehen, befinden sich nicht in der Kirche von Ehrenburg, sondern in der unter der Kirche liegenden Gruftkapelle. Zu ihnen gehört die Statue der Kornmutter, eine Mutter-Gottes-Statue mit einem sehr schönen barocken Rahmen, eine Schmerzensmutter und ein Tafelbild mit der Madonna im Ährenkleid. Besonders legendenumwoben ist das Bild der Kornmutter. Der Legende nach befand sich diese Statue einst in der Höhlung einer immergrünen Esche am Schönbichl im Arzbachtal an der Grenze zwischen St. Johann und Luttach. Man barg das Bild und baute ihm eine Kapelle. Sie wurde mit der Zeit zu einer wirklichen Gnadenstätte, die man dann aber ganz allmählich vernachlässigte, bis sie von einer Mure vertragen wurde. Man grub nach der Statue und fand sie schließlich, als man dem Traume eines jungen Mannes folgte, in einer erlenbewachsenen Aue in Ehrenburg. Man brachte sie zurück ins Ahrntal und von dort dann in einer feierlichen Prozession – so quasi mit den ersten Ehrenburger Kreuzen – wieder nach Ehrenburg zurück, wo man sie von da an jedes Jahr im Frühjahr aufsuchte. Von den Ahrntalern kaum weniger verehrt wird die Madonna im Ährenkleid, vielleicht auch, weil die auf dem blauen Kleide der Madonna sichtbaren Kornähren das eigentliche Motiv des Bittganges abgeben. Leider sind die Originale der Kornmutter- und der Schmerzensmutter-Statue im Jahre 1975 gestohlen worden, sodass nur mehr Kopien vorhanden sind.
Die Pfarrkirche von Ehrenburg
Die Unser-Frauen-Kirche von Ehrenburg wurde um 1370 von Stefan Künigl (1340-1411) wohl in Kapellenform erbaut. Der Legende nach stand am Kirchbühel von Ehrenburg zunächst ein vorchristliches und dann ein christliches Heiligtum. Die Kirche wurde dann samt Gruftkapelle zur Grabstätte der Grafen Künigl. Der Ausbau der Marienkirche erfolgte in mehreren Etappen, nachdem von verschiedenen Seiten Ablässe gewährt worden waren.
Mit den Kreuzen nach Ehrenburg
Der Bittgang nach Ehrenburg findet am Freitag und Samstag nach Christi-Himmelfahrt statt. Der Kreuzgang beginnt um Mitternacht von Donnerstag auf Freitag in der Kirche von Prettau. Das durchschossene Kreuz von Heilig Geist wird mitgetragen. Früher nahm man den Weg über Prucha und Wegscheide zur Kirche von St. Peter. Seit dieser Weg murengefährdet ist, geht man über die Talstraße bis in die Klamme und steigt von dort zur Kirche auf. Ab St. Peter trägt man die kleine Fahne mit den von Johann Baptist Oberkofler gemalten Bildern mit. In jeder Dorfkirche des Tales wird Halt gemacht. Um 4 Uhr ist man in St. Johann, wo nicht nur eine Messe gelesen, sondern auch im Gasthaus Ahrner Wirt die erste längere Rast gehalten und das Frühstück eingenommen wird. Gegen 6 Uhr ziehen die Kreuze in die Pfarrkirche zum hl. Sebastian in Luttach ein. Das Lied „Wir ziehen zur Mutter der Gnaden“ gibt das Thema des Kreuzganges vor.
In Sand in Taufers schließen sich weitere Bittgänger an. Heute nehmen meist über 200 Männer am Bittgang teil. Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts war ihre Anzahl auf etwa 100 zurückgegangen. Der Kreuzgang besucht fast alle am Wege liegenden Kirchen zu einer Andacht. In Gais wird – wie beim Ahrner Wirt – gerastet und eine Stärkung zu sich genommen, ebenso in Bruneck in der Kreuzkirche am Kapuziner Platz, wo der Gottesdienst für die verstorbenen Kreuzgänger abgehalen wird. Nach Bruneck folgen Rast und Andacht in St. Lorenzen und in Pflaurenz. Den letzten Teil des Weges geht man nicht etwa über die Staatsstraße, sondern über Runggen und den Ehrenburger Wald. Knapp vor dem Dorfe Ehrenburg legt man die letzte Rast ein. Dort wird das durchschossene Kreuz mit einem Blumengebinde verziert. Gegen 17 Uhr kommt man nach 17 Wegstunden und ca. 60 Kilometern bei der Kornmutter in Ehrenburg an.
Ehrenburg und zurück
Am Samstag, den Tag der Rückkehr von Ehrenburg ins Ahrntal, wird in der Kirche um Uhr früh eine Messe gelesen. Danach werden die Kreuze ausgeläutet und ziehen ab in Richtung Kiens. Dort wurde früher einmal ein Amt gehalten, weil viele der Kreuzgänger einschliefen, hieß man es das „Schlafamt“. Heute begnügt man sich mit einer kurzen Andacht. Dann geht der Zug weiter nach Issing, Pfalzen, St. Georgen, Gais, Mühlen (St. Katharina) und Sand in Taufers, wobei – wie auf dem Herweg – die Kirchen der genannten Dörfer besucht werden. In Sand in Taufers wird noch einmal gerastet. Bevor man weiter zieht, trifft man sich gegen 13 Uhr beim Schlosskreuz, wo der Engel des Herrn gesungen wird. So wie auf dem Hinweg die Anzahl der Kreuzgänger von Dorf zu Dorf zunahm, nimmt sie auf dem Rückweg ab, weil die aus den jeweiligen Dörfern stammenden Kreuzgänger ausscheiden. Das Abendessen wird beim Eller oberhalb der Pfarrkirche von St. Peter eingenommen. Gegen 10 Uhr abends kommen die letzten Kreuzgänger in Prettau an.
Aus der Geschichte des Bittganges
Augustin Redensberger, Pfarer in Ahrn von 1608-1630, stellte einen Kirchenkalender zusammen, den er auf das Jahr 1003 zurückreichen ließ. In dem Kalender sind alle im Ahrntal gehaltenen Kreuzgänge aufgezählt. Pfarrer Redensberger war der erste Ahrner Pfarrer, der in den Jahren 1608 und 1609 Tauf- und Trauungsbücher schrieb. Seinem Pfarrkalender ist zu entnehmen, dass es früher im Ahrntal unerhört viele Kreuzgänge gegeben hat. Wahrscheinlich war es so, dass die damalige kirchliche Struktur des Tales – es gab nur die Pfarrei Ahrn – die Organisation von zahlreichen Kreuzgängen notwendig machte. Prettau war dann nach St. Johann der erste Ort mit einem eigenen Geistlichen (ab 1567 ein Kurat). Nach St. Peter kam im Jahre 1786 ein Lokalkaplan, nach St. Jakob im Jahre 1700 ein Kurat, nach Steinhaus im Jahre 1717 ein Kaplan und 1876 ein Expositus und 1937 ein Kurat, nach Luttach 1687 ein Kurat und nach Weißenbach erst 1859 ein Kurat. Solange nicht in jedem Dorfe ein Geistlicher war, gab es zwei seelsorgliche Alternativen: entweder der Pfarrer ging zu den Menschen oder diese kamen zum Pfarrer. Das folgende
Beispiel nennt nur einige markante Bittgänge aus dieser frühen Zeit:
Sonntag Laetare in der Faste (= 4. Fastensonntag): die ganze „Pfarrmenig“ kommt zur Pfarrkirche von St. Johann;
Palmsonntag: alle Pfarrangehörigen kommen zur Pfarrkirche von St. Johann;
Karsamstag: Pfarrgemeinde kommt nach St. Johann;
Osterdienstag: die Pfarrgemeinde kommt mit den Kreuzen zum Pfarrgottesdienst – nach der Vesper geht man mit den Kreuzen nach Weißenbach;
Sonntag nach Ostern: Pfarrgemeinde kommt mit den Kreuzen nach St. Peter, wo der Pfarrer Gottesdienst halten muss;
Zweiter Sonntag nach Ostern: Kirchweihe in St. Martin – die ganze Pfarre kommt mit den Kreuzen;
24. April: Pfarrer hält in St. Jakob Gottesdienst, zu dem ganze Pfarre mit den Kreuzen kommt;
25. April: Pfarre geht mit den Kreuzen nach St. Martin, dort Gottesdienst und Predigt.
Der Kreuzgang nach Ehrenburg
Laut Kalender von Pfarrer Redensberger wird am Sonntag nach dem Auffahrtstage die Kirchweihe zu Ehrenburg gefeiert, zu der die Pfarre Ahrn zu kommen verpflichtet ist.Dieser Kreuzgang wurde im Jahre 1679 durch ein bischöfliches Dekret verboten. Ursachen: „ob itineris longitudinem et emansionem nocturnam scandala et peccatorum pericula interveniunt“ – wegen der Länge des Weges und seiner nächtlichen Durchführung kamen Skandale und Sündengefahren vor. Ausweg: „Zur Abstellung aller etwo besorgenden Örgernus seien khein junge oder ledig Pursch zu schickhen, sunder die Haußvätter und Mieter selbsten zu gehen oder an ihrer statt gestandene Leith zu schicken.“ Das half zunächst, aber in den 30er Jahren des 19. Jh. kam es erneut zu Auseinandersetzungen mit dem Ordinariat. Von da an durften nur mehr Männer beim Kreuzgang nach Ehrenburg mitgehen. Das ist bis heute so geblieben. (RT)
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