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Patrick Baumgartner

Pfalzen – Der 188 Zentimeter große und 100 Kilogramm schwere Hüne Patrick Baumgartner aus Pfalzen ist derzeit Italiens bester Bobfahrer. Mit bahnbrechender Geschwindigkeit rast er die Bobbahnen dieser Welt hinunter, um erfolgreich zu sein muss er dabei die richtige Mischung aus Risikobereitschaft und Sicherheit finden. Wie die ungewöhnliche Sportart ihn in seinen Bann gezogen hat und wie sein Leben als professioneller Bobfahrer aussieht erfahren Sie hier!

Südtirol ist wahrscheinlich bekannter für seine schnellen Rodler, du bist aber Bobfahrer geworden, wie hat es dich in den Eiskanal verschlagen?
In meiner Kindheit habe ich es zuerst als Skifahrer versucht. Vor zehn Jahren arbeitete mein Onkel bei den Carabinieri mit dem Olympiasieger von 1998 Günther und dessen Bruder Arnold Huber zusammen, diese waren gerade auf der Suche nach Nachwuchs für den Eiskanal. Auf deren Anfrage habe ich kurzerhand zugesagt und bin mit meinem Onkel spontan nach Igls gefahren und habe die Sportart als ich 15 Jahre alt war ausprobiert. Auf Anhieb war ich von der Geschwindigkeit fasziniert und von diesem Zeitpunkt an wollte ich Bobpilot werden.

Wie können wir uns ein erstes Training eines angehenden Piloten vorstellen? Einfach Augen zu und los?
So in etwa! Natürlich erklärt einen der Trainer zuerst die Lenkung und alle wichtigen Aspekte um es als ganzes Stück nach unten zu schaffen. Dann geht es aber einfach darum auszuprobieren und zu lernen! Als ich angefangen habe, suchten die Trainer vor allem nach Piloten, da habe ich nicht lange gezögert und bin bei meiner allerersten Fahrt schon an den Zügeln gesessen. Ich kann mich noch genau ans erste Training erinnern: Zusammen mit einem Kollegen habe ich drei Fahrten vom Rodel-Start der Damen absolviert, damit wir nicht die ganz hohen Geschwindigkeiten erreichen. Bei beiden Fahrten wo mein Kollege am Steuer saß sind wir zu Sturz gekommen. Fortan war für mich klar, dass ich nur Pilot sein möchte und die Zügel selbst in der Hand halten will. Dass war das erste und letzte Mal, dass ich im Bob hinten drinnen gesessen bin. Wenn ich heute mit jemanden hinten mitfahren müsste, wäre mir wohl immer noch etwas mulmig zumute.

Du rast mit weit über 100 Kilometer die Stunde einen schmalen Eiskanal runter, was reizt dich dabei am meisten?
Mit Sicherheit der Speed, die Geschwindigkeit ist schon atemberaubend. In manchen Bahnen erreichen wir weit über 150 Kilometer die Stunde, da muss jede Lenkbewegung sitzen. Spannend an der ganzen Sache ist, dass wir nur relativ wenig Fahrten machen können, im Training oder bei Wettkämpfen kommen wir auf rein zwei bis drei Läufen am Tag. Aufs gesamte Jahr und auf alle verschiedenen Bahnen verteilt sind das nur um die 150 Fahrten. Dabei liegt die Herausforderung darin, immer eine kluge Linienwahl zu treffen und den Bob im richtigen Moment laufen zu lassen. Für eine schnelle Zeit, gilt es sich an die Perfektion heranzutasten, dafür muss ich bei jeder Fahrt 100-prozentig fokussiert und konzentriert sein. Bei einen solch hohem Speed wird jeder kleine Fehler bestraft, als Pilot trage ich die Verantwortung für meine Anschieber, da muss ich das richtige Maß an Risiko finden.

Nun fährst du Zweierbob und die Königsdisziplin den Viererbob, was liegt dir mehr und worin liegt der Unterschied?
Hauptsächlich bin ich im Viererbob unterwegs, das ist unsere Hauptdisziplin und darauf liegt der Fokus. Die meisten Bob-Piloten fahren eigentlich beides. Im Viererbob ist vor allem etwas schwerer, das merke ich an den Zügeln beim Fahrverhalten. Dadurch erreichen wir nochmals höhere Geschwindigkeiten, da kann ich mir keine Fehler erlauben. Im Zweierbob bilde ich mit meinem Gadertaler Anschieber Alex Verginer ein gutes Team.

Welche Attribute muss ein guter Bobfahrer besitzen, um es weit zu schaffen?
Der Start ist extrem wichtig, auch der beste Pilot muss mit seinen Anschiebern gut mithalten können und dementsprechend athletisch auf der Höhe sein. In der Bahn selbst gilt es die Kurven geschmeidig zu fahren; dabei liegt die Herausforderung darin, die richtige Mischung aus Risiko und Sicherheit zu finden. Dass bedeutet sich nicht nur auf eine saubere Linienwahl zu verlassen, sondern auch zu wissen, wo der Pilot seinen Schlitten laufen lassen kann.

Was zeichnet dich und dein Team aus und wo müsst ihr euch noch verbessern?
Unsere Schwäche ist sicherlich der Start, speziell im Zweierbob, da müssen wir noch zulegen. Vom Typ her war ich selbst nie der “Allerspritzigste”, da musste ich hart an mir arbeiten. Im Viererbob können wir hingegen relativ gut mit den Besten mithalten. Unsere Stärke zeigt sich in der Bahn selbst, besonders in technisch anspruchsvollen Bahnen mit vielen Kurven können wir meistens etwas Zeit gutmachen.

Welche Rituale hast du bevor du dich in die Bahn wirfst?
Vor dem Start gehe ich die Bahn und deren Besonderheiten im Kopf durch und präge mir ein, wo ich welche Lenkbewegung machen muss. Nur wenn ich ein Problem bei einer bestimmten Stelle habe, besichtige ich die Bahn vorab zu Fuß, um mir die Linie besser einprägen zu können. Direkt bevor es losgeht, klatsche ich mit meinem Team nochmals ab und gebe dann das Startsignal.

Wie sieht das Training eines Bobfahrers aus, machst du auch Mentaltraining?
Das Konditionstraining ist hauptsächlich eine Mischung aus Kraft und Schnelligkeit, ich stemme Gewichte und mache kurze Sprints. Vor allem in der Saisons-Vorbereitung verbringe ich viel Zeit im Kraftraum, da heißt es Muskeln und Gewicht aufbauen und trotzdem explosiv und spritzig zu sein. Beim spezifischen Bobtraining direkt am Schlitten arbeiten wir besonders am Startvorgang. Da haben wir in Cortina und Sterzing eine Anlaufbahn, wo wir mit einer Art “Sommerbob” auf Rollen den Start üben können. In Cesana ist eine ähnliche Anlage die sogar gekühlt und eingeeist werden kann. Konkrete Übungen mit einen Mentaltrainer mache ich nicht, mentales Training etwa in der Form von Koordination, Aktivierung beider Gehirnhälften oder visuellen Übungen. Die heurige Saisonsvorbereitung war natürlich etwas speziell, ich konnte aber relativ problemlos trainieren und habe etwa meine Garage zuhause in einen Kraftraum umfunktioniert.

Welchen Einfluss hat das Material aufs Endergebnis im Bobsport?
Das Material spielt eine wichtige Rolle. Es gibt nicht viele Hersteller und die haben keine hohe Nachfrage, also sind die Schlitten dementsprechend teuer. Eine Neuanschaffung ist kostenaufwendig, den wir nun sicherlich mehrere Jahre lang benützen werden. Kleine Veränderungen oder Tüfteleien nehmen wir selbst vor. Vor allem bei den Schienen wird viel getestet, sie sind ein entscheidender Teil im Gesamtpaket. Im Viererbob haben wir im Sommer einen neuen Bob angekauft und müssen erst noch das ideale Setup finden.

In der laufenden Weltcupsaison konntest du schon einige Male dein Können unter Beweis stellen. 2019 bist du Junior-Europameister geworden und hast zudem die Europacup-Gesamtwertung gewonnen, bereits 2012 hast du bei den Olympischen-Jugendspielen Gold geholt, welche dieser Resultate stufst du als deine größten Erfolge ein?
Der Saisonsauftakt ist mit einem siebten Platz in Sigulda (Lettland) im Großen und Ganzen nach Maß gelaufen, auch wenn dabei Corona-bedingt nicht die gesamte Weltelite am Start stand. Die YOG in Innsbruck sind mittlerweile schon seit einer ganzen Weile Geschichte, dennoch kann ich mich noch genau daran erinnern. Nur dabei zu sein war eine coole Erfahrung – dann noch die Goldmedaille mit nach Hause nehmen zu können war eine kleine Überraschung und machte die Spiele noch besonderer! Sportlich gesehen war der Gewinn des Europacups sicherlich die beste Leistung. Bei einem einzigen Rennen kann viel passieren, über die ganze Saison konstant gute Leistungen abzurufen und am Schluss der Beste zu sein ist am meisten Wert.

Wo soll die Reise hingehen? Mailand-Cortina 2026 sind mit Sicherheit ein Thema?
Natürlich liebäugeln alle heimischen Sportler mit den Olympischen Spielen in fünf Jahren, keine Frage! Bis dahin ist es allerding noch ein weiter Weg, das Ziel ist konstant mit den Weltbesten mithalten zu können! Zuerst denke ich allerdings auf die Spiele in Peking im nächsten Jahr. Dafür habe ich unter anderem mein Studium auf Eis gelegt, um mich voll und ganz auf den Sport konzentrieren zu können. Auch heuer steht mit den Weltmeisterschaften in Altenberg, einer meiner Lieblingsbahnen, ein wichtiges Highlight an, wo ich meine besten Fahrten zeigen will.
Vielen Dank für das Interview! (MT)