In Südtirol gibt es 116 Eigenverwaltungen, besser bekannt als „Fraktionen“. Im Sommer 2020 wurde der „Landesverband der Eigenverwaltungen bürgerlicher Nutzungsgüter Südtirols“ als Genossenschaft gegründet. Der Puschtra hat mit dem Vizepräsidenten des Verbandes Franz Troger aus Toblach über diese geschichtsträchtige Form der Verwaltung gesprochen.
Puschtra: Herr Troger, Sie sind Vizepräsident des Landesverbandes der Eigenverwaltungen B.N.G. Südtirols. Was sind in dieser Funktion Ihre Aufgaben?
Franz Troger: Ja, ich habe mir so einiges vorgenommen, mit vielen der Fraktionsverwaltungen in Pustertal habe ich schon Kontakt aufgenommen. Wir treffen uns einmal in Monat mit dem Verwaltungsrat, zurzeit nur online. Es kommen laufend Anfragen über Probleme, die schon lange in den Fraktionen anstehen. Da wird eine Hilfestellung ausgearbeitet. Was mich besonders freut, es kommen jeden Monat neue Ansuchen für die Mitgliedschaft.
Wann wurde der Landesverband der Eigenverwaltungen B.N.G. Südtirols als Genossenschaft gegründet?
Auf der Gründungsversammlung am 24. August 2020 haben die Eigenverwaltungen von Laas, Mals, Prad, Schleis, Latsch, St. Johann, Wahlen, Weißenbach, St. Peter, Niederdorf und Naturns mit Unterstützung des Südtiroler Bauernbundes den „Landesverband der Eigenverwaltungen bürgerlicher Nutzungsgüter Südtirols“ als Genossenschaft aus der Taufe gehoben.
Welche vordergründigen Ziele verfolgt dieser Landesverband?
Unser Ziel ist es, möglichst alle Fraktionen, auch die zurzeit in den Gemeinden angesiedelt sind, als Mitglied aufzunehmen. Es gibt in Südtirol sehr viel kleinere Eigenverwaltungen, die haben die Möglichkeit über unser Büro, nach Absprache, gewisse Arbeiten auszulagern.
Wie waren die „Fraktionen“ vorher zusammengeschlossen?
Eigenverwaltungen sind ein Teil der Geschichte und bei den Menschen stark verankert. Historisch gesehen lässt sich die Gemeinschaftsnutzung von Wald und Weide bis ins Mittelalter zurückverfolgen. 2009 wurde auf Initiative einiger Fraktionsverwaltungen im Südtiroler Bauernbund der Arbeitskreis Bürgerlicher Nutzungsrechte gegründet. Vorher waren die Eigenverwaltungen so ziemlich auf sich alleine gestellt. Leider konnte der Arbeitskreis nur begrenzt die Lücke eines Landesverbands füllen, so wie jener im Trentino, der schon vor Jahrzehnten gegründet worden ist.
Können Sie uns Beispiele nennen, welche konkreten Vorteile die Form der Verwaltung als “Fraktion“ für die Bürger bringt?
Als Landesverband setzen wir uns als Ziel, unseren Mitgliedern mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Wir helfen die Tätigkeiten der Eigenverwaltungen zu koordinieren, ihnen Hilfeleistungen und Beistand zu gewährleisten und als Ansprechpartner für rechtliche und verwaltungstechnische Fragen zur Verfügung zu stehen, ihre Interessen bestmöglich zu vertreten, diese zu bündeln und dadurch mehr Gewicht zu verleihen.
Wie viele Mitglieder hat der Verband heute?
In der Zwischenzeit sind schon über 40 Fraktionen bei uns Mittglied.
Wie kann eine „Fraktion“ Mitglied werden und welche Vorteile bringt eine Mitgliedschaft?
Alle Eigenverwaltungen sowie Gemeinden, die Nutzungsrechte verwalten, können Mitglied des neuen Landesverbandes werden. Die Kriterien für die Aufnahme sowie alle weiteren Informationen, welche die Mitgliedschaft betreffen, sind in unseren Satzungen geregelt. Antragsformular, Beschlussvorlage, Privacy Erklärung können unter www.fraktion.it herunterladen werden. Wir bieten: Beratende und betreuende Tätigkeiten in allen Bereichen Vertretung von Interessen gegenüber staatlichen, regionalen, Landes- oder europäischen Körperschaften, Ämtern oder Organen. Hilfestellung bei Öffentlichen Ausschreibungen. Gemeinsamer Informationsaustausch zwischen den Sekretären. Aus und Weiterbildungen der Sekretäre und Vorstandsmitglieder der einzelnen Fraktionen. Eigene Amtstafel.
Wie können sich Bürger über den Verband informieren?
Auf unserer Website unter: www.fraktionen.it, unserer E-Mail: info@fraktion.it, oder unter der Telefonnummer 347 997 14 28 stehen wir unseren Mitgliedern beratend zu Seite.
Wie viele Eigenverwaltungen/„Fraktionen“ gibt es im Pustertal?
Wir im Pustertal sind in Südtirol mit 64 von 116 Eigenverwaltungen gut aufgestellt. Weitere 70 Fraktionen werden in Südtirol von den Gemeinden verwaltet.
Sie stehen der „Fraktion“ Wahlen als Präsident vor, welche Anliegen sind zurzeit dort aktuell?
Unsere Haubteinnahme in der Fraktion Wahlen ist der Wald. Leider hat der Wintereinbruch im November 2019 schlimme Spuren hinterlassen. Das gleiche Schicksal trifft auch viele weitere Fraktionsverwaltungen in Südtirol. Die Aufräumarbeiten bei uns im Pustertal, werden sich sicher bis Ende 2021 hinziehen, was für viele Fraktionen eine große Belastung ist, da die Holzpreise total im Keller sind. Es gibt aber immer wieder Positives: Da ein kleiner Teil vom Windwurf in der Fraktion Wahlen in höheren Lagen wächst und als Klangholz geeignet ist, hat der bekannte Gitarrenbauer Rudolf Bachmann aus Antholz sich für unsere Fichte in der Silvesteralm Interessiert. Wir von der Fraktion Wahlen hoffen, dass der Gitarrenbauer einige Holzstämme brauchen kann und dass die Fichte aus dem Silvestertal etwas Besonderes wird.
Seit wann gibt es diese Form einer Verwaltung?
Seit es Nutzungsrechte für Wald, Weide und Wiesen gab, wurden sie auch verwaltet, aber sicher nicht in dieser Form wie heute. Der Grundstein wurde im Jahr 1910 gelegt. Das Staatsgesetz Nr. 1766 / 1927 stellt klar, dass Güter ohne Genehmigung des damaligen Ministeriums in Rom nicht veräußert werden können und dass die Rechte der örtlichen Bevölkerung auf diesen Gütern zu erhalten und auszuüben sind. Im Landesgesetzt Nr.16 / 1980 wurde außerdem Ermöglicht, dass Bürger die mindestens vier Jahre in der Fraktion ansässig und in der zuständigen Gemeinde wahlberechtig sind auch nutzungsberechtig sind. Bis dahin waren nur Nutzungsberechtigte, wer einen Hof besitzt und jene, die ein Vieh überwinterten. Außerdem wurde festgelegt, dass 30 Prozent des restlichen Ertrages, damit sind die ordentlichen Einnahmen des betreffenden Jahres gemeint – für Güterwege und Unternehmen im Interesse der Landwirtschaft verwendet werden sollen. Die Tätigkeit der Eigenverwaltungen geht jedoch über rein landwirtschaftliche Nutzungsrechte hinaus. Manche sind beteiligt an Wasserwerken, Skigebieten, Obstbau. Ein wichtiger Bestandteil ist die Unterstützung lokalen Vereine und Verbände.
Warum wurden „Fraktionen“ ursprünglich gegründet?
Es ging Grundsätzlich immer um den Schutz des bäuerlichen Nutzungsrechtes. Heute Bürgerliche Nutzungsrechte. Aufzeichnungen kann man bis zum Jahr 1050 zurückverfolgen. Mit der Bezeichnung „Dorfrechte“ und „Nutzungsrechte“. Später übernahm die Tiroler Landesregierung die allgemeinen Grundgedanken daraus. Schon damals ging es um den Erhalt der Rechte von Wald, Wiesen, Almen, Fluss und Auen. Heute sprechen wir von Eigenverwaltungen oder Fraktionen. Es gibt sie auch in anderen Regionen Italiens, in Österreich und der Schweiz.
Hatten die Eigenverwaltung damals Unterlagen und Vorlagen?
Jede Eigenverwaltung war auf sich alleine gestellt und es gab wenige Vorlagen an die man sich auch halten konnte. Oft genug gab es Grenz- und Weidestreitigkeiten, wie zum Beispiel der urkundlich erwähnte Almstreit zwischen Toblach und Auronzo der viele Jahrhunderte andauerte.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Stärken so eines Zusammenschlusses?
Durch den Zusammenschluss in Form einer Genossenschaft können wir gemeinsam die bürokratischen Hürden, die weiß Gott nicht weniger werden, die Fraktionen beraten und unterstützen, wenn es nötig, auch unter die Arme greifen.Vor kurzem hat der Verband ein Forschungsdoktorat in die Wege geleitet, bei dem es darum geht die Gemeinnutzungsgüter im Vergleich zwischen den Ländern Südtirol, Schweiz und Österreich zu erforschen.
Was sind die Herausforderungen für die Zukunft?
Ziel des Verbandes ist es, die Tätigkeiten der Fraktionsverwaltungen zu koordinieren und die Zusammenarbeit zu stärken, als Ansprechpartner für rechtliche und verwaltungstechnische Fragen zur Verfügung zu stehen, die Interessen zu bündeln und ihnen mehr Gewicht zu verleihen. Zudem sollen die Eigenverwaltungen mehr Sichtbarkeit erhalten sowie die Bedeutung und Vorteile dieser Gemeinnutzungsrechte besser kommuniziert werden. Demnächst sollen die Eigenverwaltungen im Hinblick auf eine geplante Überarbeitung des betreffenden Landesgesetzes den Landtagsabgeordneten vorgestellt werden. Auch sind eine bessere Vernetzung der Sekretäre der Eigenverwaltungen und ein Treffen mit der Vergabestelle bzgl. Ausschreibungen geplant.
Was wünschen Sie sich als Vizepräsident zukünftig für den neuen Landesverband?
Seit 2014 arbeite ich im Arbeitskreis Bürgerliches Nutzungsrecht als Vizeobmann. Von 2017 – 2019 als Obmann im Arbeitskreis. Unser Ziel war es, einen Weg zu finden, wie wir die Fraktionsverwaltungen besser Informieren und koordinieren können. Bei der Vollversammlung im Januar 2018 in Terlan wurden wir von der Idee unterstützt. Es war klar, wir brauchen einen Zusammenschluss. Die Form wurde bei den nachfolgenden Sitzungen ausgearbeitet. Durch den neu gegründeten Verband der Eigenverwaltungen, hoffe ich und wünsche mir von Herzen, dass der Meilenstein ein Meilenstein bleibt und dass das Angebot den Fraktionen auch nützt. Was mich am meisten freuen würde, wenn alle 64 Fraktionen, die im Pustertal angesiedelt sind, Mitglied des Verbandes würden. Die 12 Pusterer Fraktionsverwaltungen, die von den Gemeinden Ausschüssen verwaltet werden, sind bei uns im Verband auch als Mitglied herzlich willkommen. (TL)
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