Teil II – In einer unserer vorherigen Ausgaben hatten wir in Teil I die Arbeiter in Landwirtschaft und Handwerk, die freien und unfreien Dienstboten und die Zeit der Hochzeit angeschaut. Heute wenden wir uns den Dienstboten etwas genauer zu und jetzt soll auf die Frage eingegangen werden, wie man in der Tiroler Vergangenheit mit den Industriearbeitern umgesprungen ist.
Die Altersversorgung der Dienstboten
Ein ganz dunkles Kapitel der Tiroler Sozialgeschichte war die Altersversorgung der Dienstboten. Es gab sie praktisch nicht. Wurde ein Dienstbote arbeitsunfähig, erwartete ihn das sogenannte Anlegerdasein, in der Schriftsprache heißen diese Leute Einleger. Sie zogen als Bettler von Hof zu Hof und hatten das Recht, auf einem Hof einen bis einige Tage zu bleiben. Die Dauer des Aufenthaltes hing von der Größe des Hofes ab. Diese Anleger waren ohne ärztliche und ohne jede hygienische Versorgung. Sie waren voll von Läusen, Wanzen und Flöhen und durften auch deswegen meist nur in den Ställen oder Futterhäusern nächtigen, wo man sie auch notdürftig verköstigte. Wenn ein Anleger bettlägrig wurde, dann trug man ihn auf einer Trage von Hof zu Hof, bis er endlich in den Friedhof überwechselte. Diese Zustände waren nicht etwa aus dem finstern Mittelalter. Sie waren eine Tiroler Wirklichkeit noch zu Beginn des 20. Jh. Diese unmenschliche Behandlung der Dienstboten ist umso unverständlicher, wenn man bedenkt, dass die meisten Dienstboten ja aus dem eigenen Dorfe kamen. Weichende Bauernkinder – nur ein Sohn erbte ja den Hof – Kinder von Taglöhnern und Söllhäuslern sowie ledige Kinder von Dienstboten bildeten eine unerschöpfliche Reservearmee für die Landwirtschaft, die nur äußerst geringe Löhne zahlte, vor allem wenn es sich um weibliche Arbeitskräfte handelte.
Die Löhne der Dienstboten
Einige Preise und Löhne, die verstehen helfen, wieviel bzw. wie wenig den Dienstboten an Löhnen gezahlt wurde: Im Jahre 1515 verdiente ein Knecht in Bruneck 4 fl im Jahr, ein Fütterer 3 fl, ein Kuhhirte 1 fl 56 kr und ein Gewand, ein Geißhirte 1 fl 3 kr und einen Rock und eine Hose. Zur gleichen Zeit, als der Knecht in Bruneck 4 fl im Jahr verdiente, hätte er als Bergknappe im Kupferbergwerk von Prettau 4 fl im Monat verdienen können, also zwölfmal so viel wie ein bäuerlicher Dienstbote. Im Jahre 1778 verdiente ein Großknecht bei einem Bauern in St. Lorenzen 12 fl und das Gewand. Der gleiche Lorenzner Bauer verkaufte um die gleiche Zeit 12 Ochsen und bekam dafür 1300 fl. Der Lohn für alle männlichen Dienstboten zusammen machte aber nur 36 Gulden aus. Es ist wohl kein Trost für jene, die wenig bekamen, wenn man zum Schluss noch anmerkt, dass es auch Dienstboten gab, die überhaupt kein Geld, sondern nur Kleidung und Naturalien bekamen. Als wir nach dem 1. Weltkrieg zu Italien erlöst wurden, besserte sich diesbezüglich nichts, im Gegenteil, wir kamen dadurch um die Verbesserungen, die damals in Nord- und Osttirol einsetzten, was etwa die Altersversorgung betraf.
Es ist interessant zu wissen, wieviele Tiroler ein Dienstbotendasein zu fristen hatten. Die betreffenden Zahlen sind bis ins letzte Drittel des 19. Jh. alles andere als verlässlich. Erst die Berufszählung von 1869 liefert erstmals Zahlen, die in etwa die damalige Wirklichkeit trafen. Die Rede ist von 78.300 bäuerlichen Eigentümern, von 165.000 stabilen Dienstboten und von 62.000 Taglöhnern, zusammen an die 227.000 Personen, die in der Landwirtschaft in untergeordneter Stellung arbeiteten. Das Zahlenverhältnis Bauern – Dienstboten schwankte nach Betriebsgröße: im Eisack und im Pustertal lag es bei 1: 6, im Unterinntal bei 1: 7 und im Oberinntal bei 1: 3.
Tirol und seine Industriearbeiter in der Vergangenheit
Jetzt soll auf die Frage eingegangen werden, wie man in der Tiroler Vergangenheit mit den Industriearbeitern umgesprungen ist, mit den Menschen also, die für die marxistische Ideologie die Arbeiter schlechthin waren (bzw. sind). Es gibt viel Material über die Arbeiterbewegung in Tirol, so etwa ausführliche Berichte der Polizei und der Behörden über Arbeiter, die man verdächtigte, der Sozialdemokratie oder gar den Kommunisten anzugehören. Die Rolle des Bauerntums in der Tiroler Wirklichkeit ist eine weit zurückreichende. Dagegen kam die Industrie nicht auf. Wenn es stimmt, dass es um 1810 in Tirol 325 Fabriken gab, wären das für die damalige Zeit sehr viele gewesen. Es waren aber keineswegs Fabriken im heutigen Sinne. Meist waren es Handwerksbetriebe, manchmal sogenannte Manufakturen, die mehrere Handwerker an einem Ort zusammenfassten, die aber nicht maschinell, sondern händisch erzeugten.
Frühe Tiroler Industriebetriebe
Größere Betriebe waren: das Messingwerk Achenrain bei Kramsach mit 92 Arbeitern, zwei Eisen- und Sensenschmiede in Kufstein mit 322 Arbeitern, zehn Werke der Deckenweberei mit 100 Arbeitern in Welsberg und als größte Tiroler Fabrik die Baumwollzeugfabrik in Imst mit 905 Arbeitern (Strelesche Baumwollzeugfabrik, Mitte des 18. Jh. gegründet, sie geht allerdings gleich nach 1810 in Konkurs). Das Laaser Marmorwerk gab es schon. Es hatte teilweise gute Jahre, weil etwa der bayrische König Ludwig I. seine klassizistischen Prachtbauten in München errichtete und Marmor sehr gefragt war. Später wurde Marmor dann für die Wiener Ringstraßenbauten gebraucht.
In Wattens entstand eine Papiermühle, in Wörgl eine Zellwollfabrik, in Innsbruck die K.K. private Maschinen-, Band- und Spinnfabrik. Südtirol war noch weniger industrialisiert als Nordtirol. Nach 1848 gab es in Bozen die Baumwollfabrik St. Anton. Die Lodenproduktion begann um 1800 fabriksmäßig zu werden. Im Trentino wurde viel Seidenraupenzucht betrieben, vor allem in der Gegend von Rovereto. In Schwaz baute man eine Tabakfabrik, in Hall arbeiteten im 19. Jh. 350 Menschen im Salzbergbau. In Sexten machte man Hüte, in Innichen Handschuhe, in Gröden schnitzte man, in Prettau – nach dem Bergbau – klöppelte man. Trotz alledem blieb Tirol noch größtenteils agrarisch. Die Betriebe waren nicht vorwiegend Industriebetriebe, sondern mehr Handwerksbetriebe. (RT)
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