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Beten mit den Füßen

Früher pilgerten Menschen aus religiöser Motivation heraus. Heute gibt es viele unterschiedliche Gründe, warum sich Menschen zu Fuß auf den Weg machen. Viele suchen den Weg aus dem Hamsterrad, sie suchen Entschleunigung und Ruhe. Vor allem aber, „suchen sie sich selbst“, wie es die Pilgerbegleiterin Paula Maria Holzer ausdrückt. Im Gespräch verrät sie, was das Pilgern ausmacht und was Italien an Pilgerrouten alles zu bieten hat.

Puschtra: Frau Holzer, seit vielen Jahren bereits begleiten Sie andere Menschen auf ihren Pilgerreisen. Wie viele Tage im Jahr sind Sie auf Reisen?
Paula Maria Holzer: Ja, mittlerweile ist aus meiner Begeisterung mein Beruf geworden. Es gibt nichts Schöneres, als einerseits selber, mit mir allein neue Wege zu erkunden und andererseits Menschen auf den Pilgerwegen zu begleiten. Ungefähr die Hälfte des Jahres bin ich pilgernd unterwegs, dazu kommen noch Fastenwochen.

In den letzten Jahren hat Pilgern einen gewaltigen Boom erlebt. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Faszination dafür?
Einerseits ist es sicher die Abenteuerlust, die im Pilgern steckt und bei vielen Menschen ein Kribbeln im Bauch hervorruft. Aber vor allem glaube ich, dass eine große Sehnsucht nach Einfachheit, nach Natürlichkeit, nach einem Leben im Einklang mit der Natur zum Pilgern ruft. Innere Leere in einer Welt, die vollgestopft ist mit äußeren Dingen, der Wunsch nach Veränderung, Schicksalsschläge, die Frage nach dem Woher und dem Wohin des Lebens und die Suche nach sich selbst und die Frage: wer bin ich, rufen viele Menschen zum Pilgern auf. Irgendwie ist jeder Mensch betroffen, der von der Suche nach dem Sinn des Lebens begleitet wird. Dem Hamsterrad, in dem viele Menschen stecken, gibt ein Pilgerweg Entschleunigung, die ersehnte Langsamkeit und die Möglichkeit, Vieles in Frage zu stellen und zu überdenken. Einem Ziel pilgernd entgegen zu gehen, öffnet den Blick für das eigene Sterben – dem unausweichlich letzten Ziel des Lebens. Dies macht bewusst, wie wertvoll jeder einzelne Augenblick ist und lässt aus dem sichtbarmachen des eigenen Sterbens eine unbändige Freude am Leben entwickeln. Was mir auf meinen Reisen auch aufgefallen ist, dass Pilger das Staunen wieder, das Danken und das Bitten wieder entdecken. Genauso wie das Loslassen.

Sie sind vorwiegend auf Italiens Pilgerrouten unterwegs. Welches sind dort wichtige Pilgerziele?
Meine wichtigsten Pilgerziele sind Assisi, die Grotte des Erzengels Michael in Monte Sant’Angelo, Rom, Florenz, die Höhlenkirchen in Matera. Mittlerweile schießen Pilgerwege aus dem Boden zu Heiligtümern, Klöstern und heiligen Orten und es ist für mich spannend diese neuen Wege auszuforschen.

Welchen Pilgerweg würden Sie für eine erste Pilger-Erfahrung empfehlen?
Ich würde den Pilgerweg von La Verna in der Toskana durch Umbrien nach Assisi empfehlen. Es ist jener Weg, mit dem die Pilgermanie in Italien neu entdeckt worden ist. Es ist jener Weg, der am besten beschrieben, gekennzeichnet und organisiert ist. Assisi ist ein schönes, starkes Pilgerziel.

Die Pandemie hat auch Ihre Berufsgruppe am Weitermachen gehindert. Auf welchem Pfad waren Sie vor Corona noch unterwegs?
Im Herbst war ich noch auf dem Erzengel Michael Weg unterwegs und zwar auf dem letzten Teil zur Grotte des Erzengels auf dem Garganoberg in Apulien. Darüber freue ich mich ganz besonders. Auch in Rom war ich noch mit einer Gruppe, der das besondere Erlebnis, Rom und den Vatikan fast menschenleer zu erleben, unvergessen bleibt.

Noch ist ungewiss, wann Pilgerreisen wieder stattfinden können. Inzwischen bieten Sie Online-Pilgern an. Was verstehen Sie darunter?
Es ist tatsächlich das jüngste Projekt in meiner Pilger-Sammlung. Auf den Pilgerwegen in Italien ist es zurzeit nicht möglich unterwegs zu sein. Wann diese Unbeschwertheit wieder zugelassen sein wird, wissen wir nicht. Ich stecke aber niemals den Kopf in den Sand, verliere mich niemals im Jammern, sondern suche immer nach Wegen und nach dem nächsten Schritt. Pilgern ist etwas, das im Inneren des Menschen stattfindet. Nicht so sehr der äußere Weg, auf dem ich unterwegs bin, macht das Pilgern aus, sondern die innere Haltung eines Menschen. Vor der Haustür kann ein Pilgerweg ebenso beginnen, wie irgendwo weit weg. So richte ich mich mit diesem Angebot an Menschen, die sich auf einen inneren Weg begeben wollen. Eine Begleitung von außen inspiriert und öffnet neue Aspekte und Gedanken. Der Austausch ist sowohl in der Gruppe sehr bereichernd, kann aber auch in Einzelgesprächen untertags in Anspruch genommen werden. „Auf dem Weg zu mir“, so möchte ich Menschen begleiten, die sich auf einen inneren Prozess einlassen möchten und sich für 12 Tage auf der Suche nach Sinn und Tiefe, nach Antwort auf die zentralen Fragen des Mensch-SEINS einlassen wollen, die dem Leben eine neue Richtung geben wollen, die die gelebten Werte hinterfragen und Veränderung und Klarheit suchen.

Wie läuft Online-Pilgern in der Praxis ab?
Wir beginnen morgens gemeinsam mit einer kurzen Meditation, untertags gestaltet jeder seinen ganz eigenen Pilgerweg von seiner eigenen Haustür aus und am Abend treffen wir uns (wer dies mag) zum Austausch online. Es ergibt sich für jeden Teilnehmer auch eine gewissen Verbindlichkeit, da sie/er sich auch Zeit freischaufeln und so etwas wie einen Vertrag mit sich selber schließen muss, in dem jeder seine Rahmenbedingungen in den Alltag einbaut.

So wie beim Erzengel Michael Weg sind Sie auch aktiv daran beteiligt neue Wege für Pilgerrouten zu entdecken. Haben Sie schon ein neues Projekt im Kopf?
Ja, es gibt Unmengen an Ideen in meinem Kopf und ich warte schon mit einer gewissen neugierigen Unruhe auf die nächste Möglichkeit in Mittel- und Süditalien neue Wege zu erkunden. Es bleibt immer spannend.

Pilgererfahrungen
Maria Oberhöller aus dem Sarntal wollte einen Aktivurlaub machen und als sie Paula Maria Holzer im Radio von ihrer Pilgerreise erzählen hörte, musste sie einfach mit, erzählt die Durnholzerin. Eine Woche lang ging es auf den Pilgerweg von Assisi über Spoleto in die Einsiedelei „la Romita“ zu Frate Bernardino. Auf der Reise habe Oberhöller vor allem das Gehen selbst fasziniert. „So eine Wanderung ist Wellness für Leib und Seele“, sagt sie. Faszinierend sei, dass sich nicht nur der Körper bewege, sondern auch im Inneren viel passiere, meint Oberhöller. „Ich habe auf dieser Reise sehr viel zurückgelassen, das für mein Leben nicht mehr von Bedeutung war. Wichtiges scheint plötzlich unwichtig, alles wird neu sortiert.“

Josef Gatterer aus Stegen war schon dreimal auf verschiedenen Pilgerpfaden in Italien unterwegs, wie er im Interview erzählt. Eigentlich habe er sich für das Thema „Pilgern“ nie interessiert, bis ihn eines Tages sein Bruder überredete ihn zu begleiten. Mit gemischten Gefühlen habe er damals zugestimmt, in der Hoffnung, dass ni

Pilgerbegleiterin Paula Maria Holzer führt ihre Truppe von der Einsiedelei La Romita in Umbrien auf in Richtung Stroncone.

Pilger Josef Gatterer freut sich schon auf
seine nächste Pilgerreise und wohin
sie ihn dann führen wird.

Pilgerin Maria Oberhöller: „Es bewegt sich nicht nur der Körper, sondern auch im Innen kommt sehr viel in Bewegung.“

Der Erzengel-Michael-Weg führt von Poggio Bustone nach Monte Sant`Angelo.

cht „nur“ gebetet wird, erzählt er heute und lacht. Er habe mit den Füßen beten gelernt, sagt er, und sei dankbar für jede Erfahrung, die er erleben durfte. Pilgern sei eine Bereicherung in vielerlei Hinsicht: das Gehen in unberührter Landschaft, abseits des touristischen Rummels, die Ruhe, das Innehalten und Schweigen, aber auch die tiefen Gespräche mit anderen Pilgern. „Von Allem nimmt man etwas für sein eigenes Leben mit“, berichtet der Pusterer, der „ganz sicher“ wieder auf Pilgerreise gehen wird.

Erzengel-Michael-Weg
Der Erzengel-Michael-Weg von Poggio Bustone nach Monte Sant`Angelo liegt der Pilgerbegleiterin Paula Maria Holzer besonders am Herzen. „Dieser Weg, mit dem Ziel in der Erzengel Michael Grotte in Monte Sant`Angelo, ist der älteste Pilgerweg der Jerusalempilger. Ihn zu bepilgern dauert insgesamt 25 Tage, deshalb ist es ratsam ihn in drei Etappen zu gehen“, erklärt Paula Maria Holzer, die von der Herzlichkeit der Menschen und der Einsamkeit, die auf diesem Weg zu finden sind, überwältigt ist. „Er ist anspruchsvoll und anstrengend, fordert Körper und Geist. Es ist kein Weg, der mit Straßenschuhen gegangen werden kann, es ist kein Weg der Oberflächlichkeit. Er geht in die Tiefe, macht nachdenklich, zufrieden und dankbar und jeder, der ihn geht, kehrt verändert nach Hause zurück“, wird der Weg im Vorwort des Pilgerführers von Angela Maria Seracchioli von Paula Maria Holzer beschrieben, die den gesamten Text des Führers ins Deutsche übersetzt hat. Dazu ist die Pilgerbegleiterin gemeinsam mit der Autorin dabei neue Wege abseits der Straße für den Erzengel-Michael-Weg zu erkunden. (TL)