Viele Südtiroler Betriebsinhaber fühlen sich verunsichert, wenn sie in die Zukunft blicken. Demnach ist die Stimmung unter den Unternehmern verhalten positiv, wie die letzten Beobachtungen des Instituts für Wirtschaftsforschung der Handelskammer Bozen (WIFO) ergeben. Wie die Corona-Pandemie den heimischen Unternehmen zugesetzt hat und welche nächsten Schritte ihnen jetzt bevorstehen, hat der Puschtra den WIFO-Experten für die Konjunkturanalyse Nicola Riz gefragt.
Puschtra: Herr Riz, wie würden Sie die momentane Stimmung der Südtiroler UnternehmerInnen mit einem Wort beschreiben?
Nicola Riz: Ich würde sagen „verhaltener Optimismus“, denn die Unternehmen schätzen den aktuellen Aufschwung etwas vorsichtiger ein, als es noch im vergangenen Sommer der Fall war. Das Eintreffen der zweiten Pandemiewelle im Herbst war für viele Südtiroler Unternehmer – nicht nur in der Tourismusbranche – eine böse Überraschung. Diesmal sind die Anzeichen für eine Erholung stärker und die Impfkampagne verläuft ziemlich gut, aber die Ungewissheit über die Zukunft ist in vielen Wirtschaftsbereichen immer noch groß. Ein sehr aussagekräftiger Indikator sind die Investitionsabsichten der Unternehmen. Diese haben sich zwar im Vergleich zum Frühjahr etwas gebessert, bleiben aber weiterhin verhalten.
Können Sie ein gegenwärtiges Stimmungsbild für die einzelnen Sparten nachzeichnen?
Das Verarbeitende Gewerbe konnte während der zweiten Epidemiewelle den Lockdown vermeiden, aber die Unternehmen sind über die steigenden Kosten besorgt, vor allem in Bezug auf die Rohstoffe. Das Baugewerbe hat eher gut auf die Krise reagiert, auch dank der staatlichen Maßnahmen zur Ankurbelung der Nachfrage (sprich Superbonus und Bonus-Fassaden) und zusätzliche Nachfrage könnte aus dem Aufbau- und Resilienzplan kommen. Auch hier bereiten aber die enormen Preissteigerungen bei Materialien und Rohstoffen große Sorgen. Die Stimmung im Tourismus leidet immer noch unter dem Ausfall der Wintersaison. Der Sommer scheint sich positiv zu entwickeln, eine stärkere Erholung des Geschäftsklimas im Gastgewerbe wird es aber erst geben, wenn man Gewissheit über den Beginn der nächsten Wintersaison hat. Im Transportgewerbe und im Dienstleistungssektor ist das Geschäftsklima je nach Branche sehr unterschiedlich. Das vergangene Jahr war vor allem für den Personentransport und die Aufstiegsanlagen sowie für viele personenbezogene Dienstleistungen äußerst schwierig. Die Lockerung der sozialen Distanzierungsmaßnahmen und die Erholung der Mobilität sollten die Stimmung der Unternehmen in diesen Sparten wiederherstellen. In der Landwirtschaft geben die extremen Wetterbedingungen der letzten Monate Anlass zur Sorge.
Welche wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich für die Unternehmen durch die Pandemie in Südtirol generell verändert?
Aufgrund der Krise bemängelten viele Südtiroler Unternehmen Liquiditätsengpässe, zum Teil auch aufgrund der Verschlechterung der Zahlungsmoral der Kunden.
Die Unterstützungsmaßnahmen des Landes und die Stundung von Krediten seitens des Bankensystems haben dieses Problem jedoch etwas abgemildert. Derzeit klagen Unternehmen vor allem über einen starken Kostenanstieg, der in erster Linie auf die steigenden Preise vieler Rohstoffe zurückzuführen ist. Diese Kostensteigerungen werden nur teilweise durch höhere Verkaufspreise ausgeglichen.
Gibt es in den verschiedenen Wirtschaftszweigen – die gesamte Pandemiezeit berücksichtigt – große Unterschiede in den Umsatzeinbußen?
Es gibt große Unterschiede, und diese hängen vor allem davon ab, inwieweit die einzelnen Branchen direkt oder indirekt von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betroffen waren. Der Tourismus erlitt sehr hohe Verluste durch die Absage der Wintersaison und die Einschränkung der Mobilität. Auch die Verflechtungen zwischen den verschiedenen Wirtschafssektoren spielen eine wesentliche Rolle. Der Rückgang der Nächtigungen und die Lockdown-Maßnahmen im Gastgewerbe haben zum Beispiel zu zusätzlichen Umsatzeinbußen im Einzelhandel geführt. Auch der Absatz von landwirtschaftlichen Produkten, wie z. B. Wein, wurde beeinträchtigt. Im Gegensatz dazu litten die Bauwirtschaft und das Verarbeitende Gewerbe weniger unter den Auswirkungen der Corona-Krise, da sie zumindest während der zweiten Epidemiewelle ihre Tätigkeit fortsetzen konnten.
Welcher Wirtschaftszweig wird Ihrer Meinung nach am Längsten brauchen, sich von den Pandemieauswirkungen zu erholen?
Die Erholung des Tourismus hängt letztendlich von der zukünftigen Entwicklung der Pandemie ab − und daher von der Möglichkeit, Gäste in der kommenden Wintersaison wieder aufzunehmen. Hier werden zwei Faktoren entscheidend sein: der Erfolg der Impfkampagne und die Verbreitung neuer Coronavirus-Varianten. Ein weiterer Sektor, der von der Corona-Krise hart getroffen wurde, ist der Einzelhandel. Viele kleine Geschäfte stehen im harten Wettbewerb mit großen Einzelhandelsketten und dem Online-Handel. Die Pandemie hat den Übergang zum E-Commerce stark beschleunigt und diese Veränderung des Konsumentenverhaltens wird zum Teil permanent sein. Dies wird die Erholung für viele kleine Einzelhandelsgeschäfte wesentlich erschweren, vor allem wenn sie nicht in der Lage sind, ihre eigene Produktnische zu finden.
Sind die Südtiroler UnternehmerInnen derzeit überhaupt bereit in ihren Betrieb zu investieren?
Zumindest sind sie derzeit mehr bereit zu investieren, als noch zum Jahresanfang. Aus unserer Konjunkturerhebung geht aber hervor, dass es noch keine deutliche Erholung der Investitionen gibt. Das mag an der Ungewissheit liegen, wie sich die Pandemie und die Wirtschaft in diesem Herbst entwickeln werden, aber auch daran, dass die Krise des letzten Jahres bei vielen Unternehmen große Liquiditätsprobleme verursachte. Einige Unternehmen haben nicht die notwendigen Ressourcen, um zu investieren. Sobald sie wieder ausreichend Cashflow erwirtschaften, werden wir wahrscheinlich auch einen Anstieg der Investitionstätigkeit beobachten, was der Erholung von Sektoren wie z. B. dem KFZ-Handel und dem Großhandel einen weiteren Schub geben wird.
Von welchen Faktoren ist derzeit ein Wachstum für die Südtiroler Wirtschaft abhängig?
Neben der Entwicklung der Pandemie und des Tourismus, werden auch die fiskalpolitischen Maßnahmen zur Unterstützung der Liquidität der Unternehmen und zur Ankurbelung der Nachfrage, auch im Rahmen des Aufbau- und Resilienzplans, eine wesentliche Rolle spielen. Die Dynamik der Betriebskosten und die Schwankungen der Rohstoffpreise sind ebenfalls sehr wichtig. Aufgrund der großen Bedeutung des italienischen Marktes für viele Südtiroler Unternehmen, sowie der starken wirtschaftlichen Verflechtung mit Deutschland und Österreich, wird natürlich auch die nationale und internationale Konjunktur entscheidend sein. Dies auch aufgrund der Brückenfunktion, die Südtirol zwischen Italien und dem deutschsprachigen Raum spielt. Langfristig wird aber vor allem die Fähigkeit der Südtiroler Unternehmen, weiterhin innovativ zu bleiben, für das Wachstum ausschlaggebend sein, denn die Corona-Krise hat die Digitalisierungsprozesse in der Wirtschaft stark beschleunigt.
Besonders das Gastgewerbe klagte in den letzten Monaten über fehlende Arbeitskräfte, da viele Mitarbeiter in andere Branchen gewechselt sind. Haben auch andere Wirtschaftszweige gegenwärtig mit der Mitarbeitersuche Schwierigkeiten?
In Südtirol ist das Thema „Fachkräftemangel“, unabhängig von der Corona-Krise, seit einigen Jahren sehr relevant. Laut unserer Konjunkturbefragung erwarten die Unternehmen in fast allen Branchen einen Anstieg der Beschäftigung in den kommenden Monaten. Vor allem im Verarbeitenden Gewerbe und im Großhandel scheint die Nachfrage nach Personal besonders stark zu sein.
Rollt Ihrer Meinung nach mit der Aufhebung des Kündigungsstopps auf Südtirol eine Kündigungswelle zu?
Es wird leider Entlassungen geben, genauso wie es zu einigen Konkursen kommen wird. Beide Aspekte sind unvermeidbaren Folgen einer Wirtschaftskrise. Ich glaube aber nicht, dass es zu einer Kündigungswelle kommt, vor allem, wenn der Aufschwung in den kommenden Monaten an Fahrt gewinnt.
Viele der Südtiroler Unternehmen sind auch am internationalen Markt vertreten. Wie sieht es derzeit dort mit der Wettbewerbsfähigkeit aus?
Die Entwicklung des Südtiroler Außenhandels ist seit der zweiten Jahreshälfte 2020 sehr erfreulich. Heuer im ersten Quartal wurden Waren im Wert von über 1,4 Milliarden Euro exportiert. Dies ist der höchste Wert, der jemals für ein einzelnes Quartal verzeichnet wurde. Dies zeigt, dass Südtirols Unternehmen auf den internationalen Märkten nach wie vor sehr wettbewerbsfähig sind. (TL)
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