Immer mehr Menschen legen Wert darauf, mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Eine verkürzte Arbeitswoche und gute Rahmenbedingungen helfen dabei Familie und Arbeit gut zu verbinden. Dass Betriebe sich auf diese neuen Formen einlassen und damit mehr Lebensqualität für das Unternehmen und die Mitarbeiter schaffen, zeigen zwei praktische Beispiele von familienfreundlichen Betrieben im Pustertal. Dazu erklärt die Geschäftsführerin vom “Bildungsweg Pustertal“ (BIWEP) und Koordinatorin vom “Bündnis für Familie“, Irmgard Pörnbacher, was Familien heute brauchen.
Puschtra: Frau Pörnbacher, als “Bündnis für Familie“ setzen Ihre Mitarbeiter*innen und Sie sich für ein familienfreundliches Arbeits-, Lebens- und Wohnumfeld ein. Was verstehen Sie genau darunter?
Irmgard Pörnbacher: Ein Familienleben ist sehr komplex, jede Familie hat ihr Arbeits-, Bildungs- und Wohnbedingungen und wie diese sich zusammensetzen ist entscheidend, um ein gutes Familienleben führen zu können. Wenn zum Beispiel ein Familienvater in einem Arbeitsumfeld mit sehr strikten Arbeitszeiten beschäftigt ist und seine Frau nach Jahren wieder in ihren Beruf einsteigen möchte, ist diese sehr abhängig von den Arbeitsbedingungen ihres Partners. Ein anderes Beispiel wären die langen Ferienzeiten in Südtirol, was die Familien sehr viel an Organisation kostet. Vor solchen Herausforderungen stehen unsere Familien tagtäglich. Es gibt viele Familien, wo diese Organisation funktioniert, aber auch genügend andere Beispiele, wo Familien überfordert sind. Auch das Wohnumfeld spielt eine entscheidende Rolle: in peripheren Gemeinden sind die öffentlichen Verkehrsmöglichkeiten begrenzter als im urbanen Umfeld. Auch die Betreuungsangebote sind in einer kleinen Gemeinde anders als da, wo genügend Kinder der entsprechenden Altersgruppe vorhanden sind, um ein Angebot überhaupt starten zu können. All diese Faktoren spielen eine entscheidende Rolle für eine Familie.
Wie steht es aktuell um die Familienfreundlichkeit der Betriebe im Pustertal?
Es ist schon so, dass die jeweilige wirtschaftliche Lage des Unternehmens eine große Rolle spielt, aber man kann sagen, dass das Pustertal in den letzten fünf Jahren im Bereich familienfreundliche Betriebe auf alle Fälle aufgeholt hat. Natürlich lässt sich eine Talschaft nicht mit einem städtischem Umfeld wie Bozen und Meran vergleichen, aber wir sind in diesem Bereich auch im Pustertal auf einem guten Weg. Der Wunsch der Unternehmer*innen ist auf alle Fälle sehr präsent und hat auch nicht nur mit Familienfreundlichkeit zu tun, sondern auch mit Nachwuchsschwierigkeiten und dem Fachkräftemangel. Hier sind die Betriebe sehr bemüht den Mitarbeiter*innen mit flexiblen Arbeitsmodellen und attraktiven Vorteilen entgegen zu kommen.
Wie beeinflusst die Corona Krise das Bemühen, die Betriebe familienfreundlich zu gestalten?
Dass die Betriebe zurzeit andere Sorgen haben, ist aktuell wirklich die erste Antwort, die uns von Führungskräften beim Thema Familienfreundlichkeit entgegen kommt. Bei den Mitarbeiter*innen hingegen merkt man sehr wohl, dass diese mit dem Gedanken spielen die Arbeit aufgrund der Bedingungen auch zu wechseln. Auf der Seite der Mitarbeiter*innen besteht wenig Sorge, keine Arbeit zu finden, sehr wohl aber sorgen sich die Unternehmer*innenund auch die Verbände, um die wirtschaftliche Zukunft. Die Kunst ist natürlich hier eine Win-win-Situation zu schaffen.
Wie viele Pustertaler Unternehmen sind gegenwärtig im Besitz des „Zertifikates Audit Familie und Beruf“?
Im Pustertal sind es ca. zehn Betriebe, die mit dem offiziellen „Audit familieundberuf“ des Landes Südtirol zertifiziert sind. Die Palette der Branchen ist hier bunt gemischt: Es sind Technik-, Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe mit dabei. Auch Gastbetriebe befinden sich unter den zertifizierten Unternehmen.
Was muss ein Unternehmen tun, wenn es diesen Weg gehen möchte?
Die Handlungsfelder im Bereich Familienfreundlichkeit sind vielfältig: Arbeitszeit ist sicher ein sehr wichtiges Handlungsfeld, wo es für Betriebe sehr viele Möglichkeiten gibt. Die Personalentwicklung, die Arbeitsorganisation sowie die Kommunikation und Information spielen ebenfalls eine große Rolle. Der Arbeitsort, der durch Corona nochmals eine neue Bedeutung bekommen hat, ist ebenfalls ein entscheidender Faktor im Ausbau von Familienfreundlichkeit. Die meisten Betriebe wenden sich als ersten Schritt an die Handelskammer, die dann mit ausgewählten Auditor*innen den Betrieb weiter begleitet.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es für einen Betrieb als familienfreundlich zu gelten?
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die ein Betrieb anbieten kann, um den Mitarbeiter*innen ein familienfreundliches Arbeitsfeld zu bieten. So bieten einige Unternehmen ihren Mitarbeiter*innen zum Beispiel Leistungen, wie Mensa- und Putzdienste oder Prämien…Solche Leistungen können in schwierigen Zeiten aber leider auch schnell wieder gestrichen werden.
Haben Sie Rückmeldungen von Familienmitgliedern, die in solchen Betrieben beschäftigt sind?
Ja, und die Rückmeldungen sind durchwegs positiv und auch nicht nur auf dem Papier da! Was faszinierend ist, ist dass die Mitarbeiter*innen dem Betrieb sehr helfen, dass Familienfreundlichkeit gelingt und dass familienfreundliche Konzepte viel einfacher in der Umsetzung sind, als man meinen möchte. Es geht hier nicht um einen juristischen Akt, sondern es herrscht einfach ein offenes Ohr für die Belange der Mitarbeiter*innen und dies kann auch in einem Betrieb geschehen, der nicht zertifiziert ist.
Gab es in den letzten zehn Jahren im Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf wesentliche Veränderungen?
In den letzten fünf Jahren hat sich im Bereich Familienfreundlichkeit sehr viel getan. Das hat damit zu tun, dass sich die Anforderungen an die Familien total verändert haben. So sind zum Beispiel viele Großeltern in der Betreuung der Kinder weggefallen bzw. können heute junge Mütter nicht mehr auf innerfamiliäre Unterstützung zurückgreifen, zumindest nicht mehr regelmäßig, wie es noch vor Jahren möglich war. Hier musste die Politik natürlich mit dem den Betreuungsangeboten mitziehen und ist immer noch gefordert den Ansprüchen gerecht zu werden. Hier steckt noch sehr viel in den Kinderschuhen, was uns vor allem in der Corona-Zeit wieder vor Augen geführt wurde.
Was wäre Ihrer Meinung nach in diesem Bereich zukünftig sehr wichtig?
Es ist unbedingt notwendig, dass Familienfreundlichkeit als eine zentrale Säule der Personalentwicklung gesehen wird und mit den Mitarbeiter*innen gemeinsam Lösungen und Strategien gefunden werden, dass sie ihrer Arbeit nachkommen können. Dies wird für die Zukunft ein Muss werden, sonst werden Betriebe nicht mehr konkurrenzfähig sein.
Familienfreundliche Betriebe im Pustertal
Aktiv- und Genusshotel Lodenwirt Vintl
Das Aktiv- und Genusshotel Lodenwirt ist seit 2018 mit dem Zertifikat “Audit familieundberuf“ ausgestattet, wie Geschäftsführer Thomas Profanter berichtet. „Was die Arbeitszeiten betrifft sind wir bemüht diese sehr flexibel zu gestalten, um auf die Bedürfnisse unserer Arbeitnehmer*innen eingehen zu können. So gibt es bei uns in der Küche zum Beispiel anstatt nur Zimmerstunden zwei Tage mit durchgehenden Diensten.
Also es wird so gearbeitet, dass die Mitarbeiter*innen am Morgen später anfangen können oder am Nachmittag früher nach Hause kommen“, erklärt der Geschäftsführer das Arbeitszeitsystem, das für die Küchencrew mehr Freizeit generiert. Auch für andere Abteilungen wurden eigens Dienstzeiten entsprechend der Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen erstellt. Für den Geschäftsführer sei es schon vor der Zertifizierung ein Anliegen gewesen, für seine Mitarbeiter*innen ein offenes Ohr zu haben und diese seien sehr froh über diese Maßnahmen, wie Thomas Profanter bestätigt. „Die perfekte Lösung ist nicht immer möglich, aber wenn man gewillt ist Lösungen zu finden und Kompromisse mit den Arbeitnehmer*innen einzugehen ist die Chance auf gute Mitarbeiter*innen dementsprechend größer“, schließt der Geschäftsführer.
Internetagentur SiMedia Niederdorf
Die Firma SiMedia war 2012 im Pustertal das erste Unternehmen mit dem “Audit familieundberuf“. Geschäftsführer Reinhold Sieder ist überzeugt davon, dass Familienfreundlichkeit zur Philosophie des Unternehmens dazugehört und der Mensch der Mittelpunkt im Unternehmen sein soll, wie er im Interview bestätigt. „Für mich ist wichtig, dass
Familienfreundlichkeit gelebte Philosophie darstellt und nicht etwas Künstliches, etwas rein Abstraktes bleibt, denn die Gesellschaft ist im ständigen Wandel und mit ihr die Arbeitswelt, in der wir uns bewegen.“ Laut Reinhold Sieder wird diesem Umstand bei SiMedia Rechnung getragen, denn die Unternehmensführung passt sich mit geeigneten Maßnahmen an die gesellschaftlichen Veränderungen an: „Wenn man Mitarbeiter*innen nicht verlieren möchte, weil sie irgendwann Familie haben, dann ist Veränderung die Antwort darauf“, hält der Geschäftsführer fest. Im Betrieb SiMedia werde unter anderen familienfreundlichen Maßnahmen vor allem auch auf flexible Arbeitszeiten gesetzt, so, wie es die Familien in ihrer jeweiligen Situation gerade benötigen. So wird zum Beispiel mit Mitarbeiter*innen, die in Mutterschaft sind, Kontakt gehalten, sodass diese, wenn sie wieder in den Betrieb einsteigen möchten, auf dem neuesten Stand sind. Für die sozialen Themen im Betrieb sei ein Mitarbeiterrat zuständig, der alle drei Jahre neu gewählt wird, erzählt Reinhold Sieder und sagt: „Das Thema Familie und Beruf gehört sowieso zu den großen Themen der Zukunft“. Der Geschäftsführer agiere lieber zeitnah, anstatt Entwicklungen hinterherzurennen. (TL)
Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen im Pustertal mit Audit-Zertifizierung
SiMedia GmbH 2012
Bildungsweg Pustertal BIWEP 2014
Sozialgenossenschaft Co-Opera 2015
HOKU GmbH 2018
Lodenwirt GmbH 2018
Graber & Partner 2019
Stadtgemeinde Bruneck 2019
Jugenddienst Dekanat Bruneck 2019
Schäfer GmbH 2021
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