Die Südtiroler Unternehmer und Unternehmerinnen blicken in eine ungewisse Zukunft: Zum Fachkräftemangel gesellen sich seit Monaten steigende Betriebskosten und ein Nachfragerückgang dazu. Luciano Partacini, WIFO – Direktor des Amtes für Wirtschaftsinformation, erklärt im Interview mit dem Puschtra, wie es dazu gekommen ist und zeigt Prognosen auf.
Puschtra: Wie schätzen die Unternehmer und Unternehmerinnen ihre Ertragslage für die Zukunft ein?
Luciano Partacini: In der ersten Jahreshälfte profitierte die Südtiroler Wirtschaft noch einigermaßen vom Aufschwung nach der Pandemie und von der Rückkehr des Wintertourismus; das Geschäftsklima hat sich aber aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Teuerung von Energie und Rohstoffen verschlechtert, weil die Betriebskosten stark gestiegen sind und weil man einen Nachfragerückgang infolge der Preissteigerungen befürchtet. Dementsprechend bewertet derzeit fast jedes fünfte Südtiroler Unternehmen die Ertragslage als „schlecht“.
Wie entwickelten sich die Preise von Energie und Rohstoffen in den letzten Jahren?
Vor der Corona-Pandemie waren die Rohstoffpreise eher moderat. Der Ausbruch von COVID-19 wurde dann von einem Verfall der Rohstoffpreise begleitet, denn die globale Rezession führte zu einer schwächeren Nachfrage. Der Ölpreis war am stärksten betroffen, da die Nachfrage nach Kraftstoff aufgrund der Bewegungseinschränkungen und der Lockdown-Maßnahmen weltweit zusammengebrochen ist. Gleichzeitig gingen auch die Preise der nichtenergetischen Rohstoffe, vor allem der Metalle, zurück, aufgrund der Verlangsamung der globalen Wirtschaftstätigkeit und der großen Ungewissheit bezüglich der Konjunkturentwicklung.
Wann und wie nahmen die massiven Preissteigerungen, die wir derzeit erleben, ihre Fahrt auf?
Als sich ab Mai 2020 die erste Pandemiewelle in den meisten industrialisierten Ländern abschwächte, kam es zu einer Trendumkehr der Rohstoffpreise, die vom Aufschwung nach der Rezession und von den sich verbessernden Wachstumsaussichten angetrieben wurden. In vielen Volkswirtschaften wurden Maßnahmenpakete mit fiskalpolitischen Anreizen geschnürt, um die Schäden der Pandemie zu minimieren und später trugen auch die Impfkampagnen zur Besserung der Wirtschaftsaussichten bei. Während die Nachfrage nach Rohstoffen somit rasant anstieg, war das Angebot immer noch knapp, denn während der Lockdown-Phase hatten wichtige rohstoffproduzierende Betriebe, wie zum Beispiel Erzminen und Stahlwerke, die Produktion reduziert. Dazu kamen noch logistische Schwierigkeiten, wie der Mangel an Frachtcontainern, der den Schiffstransport von Asien nach Europa immer noch erschwert. Die Rohstoffknappheit verursachte auch Hamsterkäufe, als sich große Unternehmen und Konzerne mit Rohstoffen eindeckten, sowie Spekulationsgeschäfte. Die nichtenergetischen Rohstoffe erreichten bereits im Sommer 2020 wieder das Preisniveau wie vor der Pandemie, die Energierohstoffe etwas später, im Februar 2021. Ende des vergangenen Jahres, noch vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine, waren die Preise bereits sehr hoch.
Welchen Einfluss hat der immer noch anhaltende Ukraine-Krieg auf diese Preissituation?
Der Ausbruch des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine und die Verhängung von Sanktionen gegen die Russische Föderation haben diese bereits schwierige Lage enorm verschärft. Die Preise für Gas und Öl, die von Russland in großem Umfang exportiert wurden, aber auch für Weizen, Mais, Düngemittel, Holzpellets usw. sind weiter angestiegen. Ab Mai sind aber die Preise der nichtenergetischen Rohstoffe weltweit wieder etwas zurückgegangen.
Welche Bereiche der Wirtschaft waren/sind von den Preissteigerungen besonders betroffen?
Der Großhandel, das Verarbeitende Gewerbe und das Baugewerbe waren am stärksten von den Preissteigerungen bei Rohstoffen, Materialien und Waren betroffen. Für mehr als 80 Prozent der Unternehmen in diesen Sektoren hatten die Teuerungen bereits im Jahr 2021 erhebliche Auswirkungen auf die Betriebskosten. Die Auswirkungen der hohen Energie- und Kraftstoffpreise sind hingegen am stärksten im Transportsektor und bei den Skigebieten zu spüren. Schwierigkeiten aufgrund von Kostensteigerungen melden aber auch das Gastgewerbe, die landwirtschaftlichen Genossenschaften und die Supermärkte. Die Dienstleistungsunternehmen sind von diesen Preiserhöhungen weniger betroffen, da für sie Energie, Rohstoffe und Materialien im Vergleich zu anderen Kostenpositionen weniger ins Gewicht fallen.
Welche Auswirkungen haben die Preissteigerungen auf die Südtiroler Unternehmen? Wie gelingt es den Unternehmen diese hohen Preisanstiege zu bewältigen, ohne selbst in Schwierigkeiten zu geraten?
Um bei diesen enormen Kostensteigerungen die Gewinnmargen zu erhalten, müssen die Verkaufspreise erhöht werden. Eine Studie des WIFO zeigt aber, dass nur knapp acht Prozent aller Südtiroler Unternehmen, die im Jahr 2021 von den Teuerungen betroffen waren, diese Mehrkosten vollständig auf die Verkaufspreise überwälzen konnten. Etwa die Hälfte der Betriebe konnte dies nur teilweise tun, während für 43 Prozent dies überhaupt nicht möglich war. In diesen Fällen haben die zunehmenden Betriebskosten die Rentabilität der betroffenen Unternehmen verschlechtert oder sogar beeinträchtigt. Als aber 2022 die hohen Kosten aufgrund des Krieges weiter anstiegen, mussten immer mehr Unternehmen ihre Verkaufspreise anpassen und die Inflation nahm stark zu.
Rechnen Sie damit, dass einigen Betriebe das Aus droht, sollte die Inflation weiterhin ansteigen?
Die Marktbedingungen sind derzeit sehr ungünstig. Einerseits sind die Kosten übermäßig angestiegen, andererseits wird die Nachfrage von verschiedenen Faktoren abgeschwächt: Die große Ungewissheit hemmt die Investitionsabsichten der Unternehmen und die Inflation schmälert die Kaufkraft der Haushalte. Dies wird die Konsumausgaben in den kommenden Monaten bremsen. Natürlich werden einige Unternehmen diese schwierige Phase nicht überwinden, ich glaube aber nicht, dass es zu einer großen Zahl an Betriebsschließungen kommen wird. Die Südtiroler Unternehmen sind wettbewerbsfähig und sehr resilient, wie auch die Corona-Krise gezeigt hat. Die Daten der ersten Jahreshälfte 2022 zur Unternehmensdemografie sind eigentlich besser als in den Vorjahren, mit mehr Neueintragungen ins Firmenregister und weniger Löschungen.
Die Inflation beträgt in Italien bereits 8 Prozent. Sind Prognosen für die nächsten Monate absehbar?
Laut den aktuellen Prognosen der italienischen Nationalbank wird die Inflation im Jahr 2022 bei 7,8 Prozent liegen, was natürlich vor allem auf die höheren Energiekosten zurückzuführen ist. Für die kommenden Jahre wird eine Besserung erwartet: die Inflationsrate soll auf 4,0 Prozent im Jahr 2023 und auf 2,0 Prozent im Jahr 2024 zurückgehen. Dies unter der Annahme, dass der Druck durch die steigenden Rohstoffpreise ab dem nächsten Jahr allmählich nachlässt und dass die Löhne eher moderat auf die hohe Inflation reagieren werden.
Welche Maßnahmen sind bereits im Gange und welche werden folgen, um die steigende Inflation abzufedern?
Der starke Anstieg der Inflation zwingt die Europäische Zentralbank zu einer strafferen Geldpolitik, und im Juli wurde eine Erhöhung der Leitzinssätze um 0,5 Prozent beschlossen. Auch die italienische Regierung hat mehrere Maßnahmen ergriffen, um die Auswirkungen der hohen Energiepreise zu verringern. Dazu gehören beispielsweise die Abschaffung der Systemgebühren in der Stromrechnung, die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas und die Senkung der Akzise auf Kraftstoffe. Weitere Maßnahmen, mit möglichen Interventionen auf den Mehrwertsteuersatz und/oder einem einmaligen „200 Euro-Bonus“ werden mit dem „Decreto Aiuti Bis“ erwartet. Angesichts der Regierungskrise in Rom sind aber keine wesentlichen Reformen zu erwarten, zum Beispiel was den Steuerkeil betrifft.
Wie lange wird es dauern, bis die Wirtschaft wieder ein vergleichbares Wachstum aufweist, wie vor dieser Krise?
Die Entwicklung der Wirtschaft in den kommenden Monaten und Jahren hängt wesentlich von einigen Rahmenbedingungen ab, die zurzeit sehr ungewiss sind, wie der Entwicklung der Pandemie und vor allem der Dauer und den Folgen des Krieges in der Ukraine. Unter der Annahme, dass der Krieg gegen Ende dieses Jahres aufhört und seine negativen Auswirkungen auf die Rohstoffpreise, den internationalen Handel und das Geschäfts- und Konsumklima ab dem nächsten Jahr allmählich abklingen, erwartet die italienische Nationalbank ein Wachstum des BIP von 1,3 Prozent im Jahr 2023 und 1,7 Prozent im Jahr 2024. Es gibt aber wesentliche Risiken, die dieses Wachstum beeinträchtigen könnten, zum Beispiel falls die Spannungen mit Russland zu einer vollständigen Aussetzung der Lieferungen von Energierohstoffen verursachen würden. (TL)
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