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„Ein gutes Leben für alle!“ Wunschdenken oder realistisches Ziel? Der Katholische Verband der Werktätigen (KVW) macht das Motto „Ein gutes Leben für alle“ in den nächsten zwei Jahren zum Gesellschaftsthema Nummer eins. Wie diese Herausforderung gemeistert werden kann, erzählen im Interview der KVW-Landesvorsitzende, Werner Steiner und der geistliche Assistent im KVW, Karl Brunner.

Der KVW ist mit dem Thema für die nächsten zwei Jahre „Ein gutes Leben für alle!“ in das neue Arbeitsjahr gestartet! Warum wurde dieses Thema gewählt?
Karl Brunner: Wir als KVW haben uns für dieses Thema entschieden, weil wir merken, dass wir in der Gesellschaft ganz große Herausforderungen zu meistern haben, da die Verunsicherung sehr groß ist. Gerade in so einer Zeit von Verunsicherung und Krisen ist es wichtig einmal darüber nachzudenken, wohin man als Gesellschaft will und sich zu fragen: Welches Gesellschaftsmodell, welches Leben wollen wir? Deshalb stellen wir eine Grundsatzfrage und gehen dieser nach und das ist die Frage nach dem ‘Guten‘, nicht dem ‘Perfekten‘ Leben für ALLE. So wollen wir einen Beitrag für die gesellschaftliche Entwicklung leisten.

Karl Brunner, geistlicher Assistent im KVW.

Werner Steiner: Unsere Vorstandsmitglieder haben das Thema ‘Ein gutes Leben für alle!‘ formuliert und ausgearbeitet. Im Juni wurde das Thema dann in einer Schulung den ehrenamtlichen Referenten vorgestellt, die es dann in den Gebietstagungen weiterkommunizieren. Unser Kompass ist jener der christlichen Soziallehre und diese richtet sich nach Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl aus. Genau dieser Aufgabe sehen wir uns als Verband verpflichtet. Wir haben aber gemerkt, dass zwischen dem was wir vorhaben und dem, was in der Welt draußen passiert, es nicht schadet, diese Werte wieder ins Bewusstsein der Menschen zu holen. Der KVW hat über 200 Ortsgruppen, das sind mehr als 2.000 Ehrenamtliche, die sich für das Thema in den nächsten zwei Jahren stark machen und da kommen wir bestimmt einen guten Schritt weiter. Damit wollen wir uns auch klar positionieren, dass wir nicht nur Dienstleister sind, sondern es auch eine unserer Kernaufgaben ist, dass Solidarität gelebt wird.

Geben Sie uns einen Einblick in dieses neue Vorhaben?
Werner Steiner: Der Titel unseres Zwei-Jahresthemas ‘Ein gutes Leben für alle!‘ ist an sich schon der Knackpunkt, der aufrüttelt und nach einer eigenen Meinung verlangt. So treffen unterschiedliche Meinungen aufeinander, die es gestatten mit dem Gegenüber in Diskussion zu treten. Diese regt dazu an die Interessen und Lebensumstände des Mitmenschen besser zu verstehen. Dadurch kann auch die Integration besser gelingen. Was mir bei diesem Titel auch sehr wichtig ist, ist, dass das gute Leben für ALLE angestrebt wird. Jeder Mensch hat die gleiche Würde! Niemand soll außenvor gelassen werden!

Karl Brunner: Es geht uns darum zuerst eine Diskussion bei unseren Mitgliedern anzuregen und darüber hinaus miteinander, also auch als Gesellschaft darüber nachzudenken, was das ‘gute Leben‘ ausmacht. Das Leben ist ein knappes Gut und wir stellen uns die Frage wofür wir unsere Lebensenergie einsetzen möchten und was es braucht, dass unser Leben ein ‘gutes Leben‘ ist, das nicht perfekt, aber mit dem wir zufrieden sein sollen.

Werner Steiner, KVW-Landesvorsitzender.

Ein Realist würde dieses gesteckte Ziel nicht nur als große Herausforderung, sondern als nicht realisierbar bezeichnen! Was halten Sie dem entgegen?
Karl Brunner: Naja, ich würde sagen, das sind die Worte eines Pessimisten. Ein Realist würde sagen, in Krisensituationen ist es in erster Linie wichtig sich zu orientieren. Genauso ist es im Leben wichtig, sich bewusst zu werden, wo man im Leben steht und wohin die Reise gehen soll. Natürlich ist das ein komplexes Thema, das nicht einfach auf einer App nachgelesen werden kann, aber als Gesellschaft können wir gemeinsam darüber nachdenken welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. Ich halte es für unrealistisch zu meinen, dass irgendwelche starken Führungsfiguren uns die Probleme abnehmen und ich halte es auch für unrealistisch den Kopf in den Sand zu stecken, aber ich halte es für sehr realistisch, dass man miteinander kreativ nachdenkt und Lösungen findet.

Werner Steiner: Ich denke es kommt darauf an, wie ich selbst gewickelt bin! Ich erkläre es anhand eines Beispiels: Wenn ich ein Hundefreund bin, freu ich mich über jede Begegnung mit diesen Tieren, habe ich allerdings Angst vor Hunden, habe ich ein riesiges Problem damit. Mit unserem Thema ist es ähnlich: Ich kann grundsätzlich dagegen sein, weil ich nur Probleme sehe, oder ich nehme diese Herausforderung an und bemühe mich für eine Umsetzung. Eine Herausforderung ist die Umsetzung auf jeden Fall, da bin ich mir sicher, aber es als nicht realisierbar zu bezeichnen ist eine Frage der Einstellung.

Was ich mir unter einem guten Leben vorstelle, ist vielleicht für meinen Nachbarn nicht erstrebenswert! Wie gelingt es, alle zu erreichen auch mitzunehmen?
Werner Steiner: Das gelingt durch den persönlichen Einsatz. Meine Erfahrung in der Verbandsarbeit zeigt mir, dass es wichtig ist, dass die KVW-Ortsgruppe im Dorf sichtbar ist. D.h., dass die Menschen im Dorf auf diese Mitglieder zugehen, Probleme ansprechen und so Hilfe bekommen. Ein Beispiel wäre die Digitalisierung, wo vor allem ältere Menschen Schwierigkeiten haben. Im Verband gibt es viele Freiwillige, die hier gerne weiterhelfen und die sogar nach Hause kommen.

Karl Brunner: Natürlich ist es eine Herausforderung Gemeinsamkeiten in der Vorstellung zu finden, was ein gutes Leben ausmacht. Dazu soll dieser Austausch ja stattfinden, diesen kann ich nur gemeinsam und nicht alleine, jammernd Zuhause auf dem Sofa finden. Die Idee ist, sich einzubringen und mitzumachen und dann lassen sich gemeinsame Bilder vom guten Leben für alle entwickeln. Diese Bilder werden immer vielfältig sein, aber so sind sie der Spiegel einer pluralen Gesellschaft.

Wie kann dieses Jahresthema konkret umgesetzt werden?
Werner Steiner: Die ehrenamtlichen Referenten werden das Thema in den Ortsgruppen vorstellen. Im Gespräch wird in diesen Gruppen gemeinsam erörtert, wie das Jahresthema konkret umgesetzt werden kann. Wir bauen hier auf das Prinzip der Subsidiarität, sprich die Mitglieder der Ortsgruppe, die ihr Umfeld gut kennen, machen sich für ihr Gebiet Gedanken, welche Maßnahmen getroffen werden können. Ein Beispiel dafür könnte sein, eine Familie beim Kauf von Schulmaterialien zu unterstützen oder eine Podiumsdiskussion auf die Beine zu stellen, um Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. Die Ortsgruppe schaut einfach in ihrem Umfeld nach, was die Mitmenschen brauchen und reagiert entsprechend. Vor allem ist auch wichtig sich einfach über ‘ein gutes Leben‘ zu unterhalten, sich zu fragen: was bedeuten diese Worte? Was ist für mich wichtig?

Karl Brunner: Das kann ganz einfach umgesetzt werden: Wir treffen uns zum Austausch in den Ortsgruppen mit den Mitgliedern und dann können diese Fragen zum Beispiel in den Familien gestellt werden oder man kann in den Orten Treffen dazu organisieren. Da gibt es unzählige Möglichkeiten. Es soll so sein, dass jede Ebene Verantwortung übernehmen soll und Jeder:Jede sich selbst einbringt. Wir als KVW stellen Informationen und Ideen dafür zur Verfügung, schaffen quasi einen Rahmen für den Austausch. Die Ortsgruppen überlegen sich, welche Initiativen sie ergreifen und jeder Mensch in unserer Gesellschaft hat die Möglichkeit mitzugestalten. Ich kann sagen, dass wir in den letzten Jahren bei keinem anderen Thema, bei der Präsentation des Themas im Landesausschuss, so intensiv und angeregt diskutiert haben, wie bei diesem. Ich habe festgestellt, dass die Menschen sich gerne darüber austauschen und mit Freude eine Vision davon entwickeln, was zum guten Leben dazugehört.

Was wünschen Sie sich für das kommende Arbeitsjahr?
Werner Steiner: Mein Wunsch ist, dass sich jede der Ortsgruppen Gedanken zum Thema macht und in der Ausführung auch darauf achtet ALLE Menschen anzusprechen und damit meine ich zum Beispiel nicht nur Einheimische! Was mir noch ein großes Anliegen ist, sind unsere Jugendlichen. Junge Menschen sollen durch die Arbeit unsere KVW-Mitglieder sehen, wie wertvoll es ist soziale Arbeit im Sinne der Gemeinschaft zu leisten.

Karl Brunner: Ich wünsche mir viele Diskussionen von unterschiedlichen Menschen: von Jungen und Alten, Männern und Frauen, Migrantinnen und Einheimischen, Rechten und Linken. Menschen aus allen Lebenslagen, die sich darüber unterhalten wohin wir als Gesellschaft gehen wollen. Wenn wir es schaffen so viele Menschen wie möglich zu erreichen, und dass das Thema in der Gesellschaft ankommt und ein fruchtbarer Austausch zustande kommt, dann wäre ich schon sehr glücklich darüber.
TL