Bruneck – Dr. Hermann Brugger aus Bruneck wurde der Südtiroler Wirtschaftspreis verliehen. Der Preis geht an Südtiroler, die national und international in der Forschung und im Bereich Innovation tätig sind.
Der Mediziner Hermann Brugger (*1951) gründete und leitete für viele Jahre das Institut für alpine Notfallmedizin an der Eurac in Bozen, derzeit ist er stellvertretender Institutsleiter. Mit dem Projekt terraXcube wurde 2018 unter Bruggers Federführung ein Labor geschaffen, in dem Extremsituationen am Berg und Überlebenschancen für den Menschen simuliert werden können. Für seine wissenschaftlichen Erkenntnisse erhielt er aus den Händen von Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrat Philipp Achammer den mit 10.000 Euro dotierten „Research Award 2024“ überreicht. Wir sprachen mit dem Preisträger.
Herr Dr. Brugger, warum haben Sie sich auf die alpine Notfallmedizin spezialisiert?
Hermann Brugger: Der Grund lag im Bergsteigen selbst. Als ich von meiner Arbeit in Österreich nach Südtirol zurückkehrte, wurde ich in den Bergrettungsdienst im AVS aufgenommen und übernahm, zusammen mit Dr. Werner Beikircher und Dr. Georg Rammlmair, deren Ausbildung. Im Zuge dieser Fortbildungen stellte ich mir immer wieder die Frage, ob das, was wir lehrten, auch richtig sei. Thesen und Lehrmeinungen haben mich angeregt, wissenschaftlich zu forschen.
Hat sich durch wissenschaftliche Erkenntnisse in den letzten Jahren das Verhalten der Bergsteiger geändert?
Wenn wir vom Bergsteigen und nicht vom Massentourismus in den Bergen reden, dann glaube ich, dass sich das Risikoverhalten von Bergsteigern in einer Weise verändert hat, die sehr stark von der „gefühlten“ Sicherheit abhängt. Wenn eine Schutzausrüstung vor schweren Unfällen schützt und eine sofortige Rettung in Aussicht steht, dann erhöht das die empfundene Sicherheit und der Bergsteiger erlaubt sich, grob gesagt, mehr zu riskieren. Ich bin überzeugt, dass Skitourengeher heute ein höheres Risiko als früher eingehen, sie sind aber besser ausgerüstet, können rascher geortet und geborgen werden und die Alarmierung der organisierten Rettung hat sich enorm beschleunigt. Die Tatsache, dass die Anzahl an Lawinentoten in Europa seit vielen Jahrzehnten gleichgeblieben ist, obwohl die Zahl der Tourengeher überall massiv zugenommen hat, ist Beweis dafür, dass alle organisatorischen und technischen Maßnahmen zur Verbesserung der Überlebenschancen erfolgreich waren und ein höheres Risiko nicht unbedingt zu einer höheren Mortalität führt.
Also haben Ihre Forschungsergebnisse deutliche Auswirkungen auf das Verhalten von Skitourengehern …
Ich hoffe es. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen in das Bewusstsein der Bergsteiger eindringen und am Berg umgesetzt werden. Dazu braucht es neben der Forschung den Einsatz einer ganzen Reihe von Akteuren. Ein Beispiel: als wir in den 1990er-Jahren herausfanden, dass bei einer Lawinenverschüttung die Überlebenschance für 15 Minuten sehr hoch bleibt, wurde das von den Medien und alpinen Vereinen weltweit verbreitet, und das hatte wahrscheinlich auf das Verhalten der Skitourengeher einen wesentlichen Einfluss, so dass sich die Kameradenhilfe verbessert und die durchschnittliche Verschüttungsdauer in den folgenden Jahren deutlich verkürzt hat. In diesem Zusammenhang hat sich auch die Entwicklung der Lawinenverschüttetensuchgeräte revolutioniert. Zusammen mit neuen Grabungstechniken, konsequenter Schulung und Information der Wintersportler hat dies in den folgenden Jahren zu einer Verbesserung der Überlebensrate um zehn Prozent geführt. Entsprechende epidemiologische Studien haben damals auch die Weiterentwicklung und Verbreitung der Lawinen-Airbags stark beeinflusst. In einer erst kürzlich veröffentlichten Studie haben wir aber gesehen, dass sich in den letzten zwei Jahrzehnten die durchschnittliche Verschüttungsdauer nicht mehr verbessert hat. Offensichtlich ist es heute nicht mehr möglich, die Zeit für die Ortung und Bergung noch weiter zu verkürzen. Deshalb geht heute die Entwicklung neuer Rettungsgeräte eher in die Richtung, das Atmen im Fall einer Verschüttung zu ermöglichen, und damit das Überleben während einer Verschüttung zu verlängern. Damit kann man das Zeitfenster für eine erfolgreiche Rettung verlängern.
Diese Auszeichnung ist die Würdigung für Ihr Lebenswerk …
Ich freue mich sehr über diese Anerkennung, obwohl es viele andere gibt, die sie genauso verdient hätten. Sie freut mich besonders, weil sie in Südtirol vergeben wurde. Es ist nicht selbstverständlich, im eigenen Land Anerkennung zu erhalten …
IB