Südtirol/Bruneck – Wenn es um die eigene Gesundheit geht, haben Menschen viele Fragen, die beim Arztbesuch meist nicht alle beantwortet werden können. Im Pustertal startet mit April das “amm Cafè Med“ Südtirol, ein Angebot für offene gesundheitliche Anliegen.
Im Jahre 2023 wurde in Bozen erstmals ein “amm Cafè Med“ Südtirol eröffnet. In einem Kaffee wird in ungezwungener Atmosphäre eine kostenlose, medizinische Beratung von Ärzten und Ärztinnen für die Bevölkerung angeboten. Die Hausärztin und neue Präsidentin der Südtiroler Ärztekammer Astrid Marsoner und Anästhesist und Intensivmediziner Werner Beikircher wollen diese Initiative nun auch im Pustertal aufbauen.
Dr.in Astrid Marsoner, Präsidentin der
Südtiroler Ärztekammer.
Frau Dr.in Astrid Marsoner, gemeinsam mit anderen Pusterer Ärzten und Ärztinnen planen Sie ein “amm Cafè Med“ Südtirol für das Pustertal. Was sind die Vorteile dieser Initiative?
Astrid Marsoner: Die bestmögliche Patientenversorgung ist das eigentliche und gemeinsame Ziel, das wir alle im Blick behalten müssen. Dabei spielen die zur Verfügung stehenden Ressourcen und ihr bestmöglicher Einsatz eine entscheidende Rolle. Personal wird im Gesundheitsbetrieb leider immer knapper, was nicht nur zu langen Wartezeiten führt, sondern auch die zur Verfügung stehende Zeit für den einzelnen Patienten verkürzt. An dieser Stelle knüpft das ‘amm Cafè Med‘ Südtirol an: Wenn die Patienten und Patientinnen nach ihrem Eingriff oder ihrer Visite im Krankenhaus noch Fragen haben, können sie auf dieses niederschwellige Angebot zurückgreifen und in einer entspannten Kaffeehausatmosphäre die offenen Fragen stellen.
Was kann “amm Cafè Med“ Südtirol für das Gesundheitssystems in Südtirol beitragen?
Astrid Marsoner: Das ‘amm Cafè Med‘ Südtirol ist als Ergänzung desselben gedacht. Es soll uns helfen Probleme wie steigende Kosten und eine steigende Anzahl von Patienten bei immer weniger Personal, gemeinsam zu bewältigen. Ich sehe es als einen zusätzlichen, wertvollen Baustein in der Patientenbetreuung. Ziel ist es, Patienten aufzufangen, die ansonsten wieder ins Krankenhaus bzw. zum Arzt zurückkehren würden, um Klarheit über ihren Gesundheitszustand zu erlangen. Auf diese Weise können wir einen Beitrag leisten, um knappe Ressourcen zu schonen.
Herr Dr. Beikircher, Sie sind einer der Hauptinitiatoren des “amm Cafè Med“ Südtirol. Warum ist dieses Angebot für die Menschen wichtig?
Werner Beikircher: Dieses Angebot sehe ich als äußerst wichtig, weil im klinischen Regelbetrieb immer zu wenig Zeit ist, die Patienten und Patientinnen ausreichend zu informieren. Die durchgetaktete Arbeitssituation im Krankenhaus erlaubt es leider nicht, dass für viele Menschen ausreichend Zeit für Information zur Verfügung steht. Diese Situation finden wir heute leider in vielen Krankenhäusern und in Südtirol genauso wie zum Beispiel in der Schweiz, woher diese Initiative des ‘amm Cafè Med‘ stammt. Ärzte und Ärztinnen aus Bozen haben sich dieses Modell in der Schweiz angeschaut und es dann nach Südtirol geholt. Im Herbst 2023 hat das erste ‘amm Cafè Med‘ Südtirol in Bozen stattgefunden und viele Menschen haben dieses unentgeltliche Angebot – in dieser ersten Südtiroler Filiale des ‘amm Cafè Med‘ – in Anspruch genommen. Offenbar besteht in diesem Bereich ein großer Bedarf an dieser zusätzlichen Möglichkeit sich Informationen zu beschaffen. Deshalb war es für uns Initiatoren ein Ansporn dieses Konzept auch ins Pustertal zu holen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass diese Möglichkeit für die Bevölkerung einen großen Gewinn darstellt, zumal mir so eine Initiative bereits seit 30 Jahren in meinem Kopf herumschwirrt. Im Arbeitsalltag als Arzt war dieses Zeitdefizit ein ständiger Begleiter. Die Leidtragenden sind natürlich die Patienten und Patientinnen.
Dr. Werner Beikircher ist einer der Fachärzte, der im Rahmen des “amm Cafè Med“ Südtirol Menschen in gesundheitlichen Fragen
unterstützen wird.
Die Initiative des “amm Cafè Med“ Südtirol stammt aus der Schweiz? Dient dieses Modell als Vorbild für Südtirol?
Werner Beikircher: Ja! In der Schweiz wurde diese Initiative vor einigen Jahren von der Akademie Menschenmedizin von Zürich aus ins Leben gerufen und hat sich in mehreren Schweizer Städten etabliert. Die Schweizer Initiative ist sehr darum bemüht, die Kommerzialisierung in der Medizin etwas zurückzudrängen. Deshalb ist dieses Angebot auch kostenlos. Außer in der Schweiz ist diese Form der gesundheitlichen Unterstützung international nicht zu finden. Somit ist das Bozner ‘amm Cafè Med‘ Südtirol die erste internationale Filiale und angelehnt an diese möchten wir das Angebot im Pustertal etablieren.
Nach Bozen soll nun auch in Bruneck ein “amm Cafè Med“ Südtirol entstehen. Haben Sie bereits an einem dieser Treffen in Südtirol mitgewirkt?
Werner Beikircher: Mit den Treffen im Pustertal befinden wir uns jetzt gerade in der Anfangsphase und sind bemüht, dieses Modell des ‘amm Cafè Med‘ Südtirol mit Pusterer Fachärzten und Fachärztinnen aufzubauen. Frau Dr. Marsoner und ich haben zwei Termine im Gasthof Figl in Bozen verfolgt und werden diese Erfahrungen auch bei unseren Angeboten mit einbauen. Die Stimmung war sehr locker und positiv und das niederschwellige Angebot wurde von den Menschen gut genutzt. Vor allem waren ältere Menschen dabei, die zum Teil ihr Befunde nicht verstanden haben, mit Fachbegriffen Schwierigkeiten hatten oder sprachliche Hindernisse vorfanden. Die Patienten und Patientinnen sollten ihren Befund nicht im Internet googeln müssen, sondern haben es verdient, dass ihnen genügend Zeit für eine fachärztliche Meinung zur Verfügung steht. Deshalb ist es sehr hilfreich wenn die Nutzer:innen des ‘amm Cafè Med‘ Südtirol die Unterlagen zum medizinischen Thema, (Befunde, Diagnosen, Laborproben usw.) über das wir mit ihnen sprechen sollen, mitbringen. Wir stellen natürlich keine Diagnosen, führen keine Untersuchungen durch oder stellen Rezepte aus. Wir geben auch keine Empfehlungen, wo sich die Menschen behandeln lassen können. Alles was besprochen wird, wird in keiner Weise schriftlich festgehalten, alles bleibt anonym. Es werden lediglich die Besucher gezählt, für eine eventuelle spätere Statistik. Unsere Tätigkeit besteht in der Beratung und Aufklärung und wir nehmen uns genügend Zeit für alle gesundheitlichen Fragen.
Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Besuchen im “amm Cafè Med“ Südtirol in Bozen gemacht?
Astrid Marsoner: Gemeinsam mit Dr. Werner Beikircher haben wir zwei Termine beim ‘Cafè Med‘ in Bozen wahrgenommen. Das war eine wirklich nette Erfahrung. Arzt und Patient begegnen sich in einem Wohlfühlambiente auf Augenhöhe, beide sind Gäste in einem Kaffee. Diese entspannte und lockere Atmosphäre hat mich überzeugt. Zudem gibt es kein zeitliches Limit, an das sich der Arzt oder der Patient halten müssen. Das nimmt auf beiden Seiten viel Druck raus. Ich finde das Konzept ist eine super Initiative.
Können Sie uns einen Einblick geben, wie so ein Treffen ablaufen kann?
Werner Beikircher: Nehmen wir an, ein Patient hat ein Problem mit der Hüfte und weiß nicht, welche weitere Entscheidung er jetzt treffen soll. Dieser Patient kommt ohne Anmeldung ins ‘amm Cafè Med‘ Südtirol am Termin und Ort, wo das Treffen stattfinden soll. An einem Empfangstisch äußert er kurz seine Anliegen und wird von Krankenschwestern zum Facharzt oder zur Fachärztin im Bereich Orthopädie zugewiesen, der an einem anderen Tisch sitzt. Der Patient kann dann in einer lockeren Kaffeehausatmosphäre mit dem zuständigen Arzt über sein Problem sprechen. Diese entspannte Atmosphäre, im Gegensatz zur sterilen Ambulanz im Krankenhaus, soll das Gespräch angenehm und vertraut machen. Ein Kaffee kann natürlich auch genossen werden!
Welches sind die gesundheitlichen Fachbereiche, die im “amm Cafè Med“ Südtirol abgedeckt werden?
Werner Beikircher: Wir sind sehr bemüht darum in Zukunft alle medizinischen Fachrichtungen abzudecken. Zurzeit sind wir noch im Aufbau. Es ist uns auch wichtig, dass auch niedergelassene Hausärzte und Hausärztinnen mitmachen, die ein wesentlich breiteres Spektrum abdecken können.
An Welchem Ort wird das “amm Cafè Med“ Südtirol abgehalten?
Werner Beikircher: Die Treffen werden einmal im Monat im Restaurant Vegabula in Bruneck stattfinden. Dieses Restaurant wird von der Hotelfachschule Bruneck geführt und hat uns mit offenen Armen für diese Projekt empfangen. Das Vorhaben ist, nach dem offiziellen Service im Restaurant, so gegen 14 Uhr, werden wir als Fachärzte mit dem ‘amm Cafè Med‘ Südtirol starten und einige Stunden für die Menschen zur Verfügung stehen.
Entsteht bei diesem Angebot ein Interessenskonflikt zur Privatmedizin?
Werner Beikircher: Alle Ärzte und Ärztinnen, die im ‘amm Cafè Med‘ Südtirol beratend zur Seite stehen sind ehrenamtlich tätig und verpflichten sich, die Grundsätze und die Rahmenbedingungen der amm Cafè Med einzuhalten. Den Fachpersonen ist es untersagt, Ratsuchende an ihre eigene oder andere Praxen zu überweisen. Dies ist Voraussetzung für diese Tätigkeit, die kostenlos für alle angeboten wird. Für die Privatmedizin sehe ich keinen Interessenskonflikt und auch nicht für die etablierte klinische Medizin in den öffentlichen Krankenhäusern, im Gegenteil, es geht hier darum, dass es sich nicht jeder finanziell leisten kann sich privat behandeln zu lassen. Weiters bietet die Privatmedizin ja auch nicht alle medizinischen Leistungen an.
Glauben Sie, dass das Angebot auch im Pustertal gut ankommt?
Werner Beikircher: Wir hoffen es! Es hängt natürlich auch davon ab, ob wir ausreichend Kollegen und Kolleginnen finden, die sich bereiterklären einmal im Monat, an einem Nachmittag einige Stunden diesen Dienst anzubieten.
Astrid Marsoner: Ich bin überzeugt davon, dass der Bedarf im Pustertal absolut gegeben ist. Als Hausärztin erlebe ich beinahe täglich, dass Patienten Schwierigkeiten mit komplexen Befunden haben oder die Menschen nach Facharztvisiten oder nach einem Krankenhausaufenthalt in die Praxis kommen, weil sie einige Aspekte nicht verstanden haben.
Wann wird der erste Termin des “amm Cafè Med“ stattfinden?
Werner Beikircher: Wir werden das ‘amm Cafè Med‘ voraussichtlich, jeweils am zweiten Donnerstag im Monat ab 14 Uhr, im Vegabula in Bruneck abhalten und möchten am 10. April starten.
TL
Cafè Med
Das “amm Cafè Med“ ist ein unentgeltliches Angebot der Akademie Menschenmedizin für Patienten und Patientinnen, deren Angehörige sowie Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen. Ärzte und Ärztinnen und andere Fachpersonen beantworten Fragen, besprechen Behandlungsoptionen und bieten individuelle Entscheidungshilfe an. Beim “amm Cafè Med“ steht das “amm“ für die Abkürzung: Akademie, Menschen, Medizin. Die Akademie Menschenmedizin setzt sich für ein menschengerechteres Gesundheitswesen ein, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Sie bekämpft nicht einfach Symptome, sondern begegnet den Patienten und Patientinnen als einzigartigen Individuen, in ihrem einmaligen Umfeld und behandelt sie passend. Ein Gesundheitswesen, das den Menschen und nicht die Kosten im Blick hat und trotzdem bezahlbar ist.