Wir wissen inzwischen durchaus, dass die für effizient gehaltene konventionelle Lebensmittelproduktion eben nicht effizient ist, weil sie ihre eigenen Grundlagen zerstört. So werden etwa fruchtbare Böden rarer, weil sie ausgelaugt sind, das Grundwasser wird durch Nitrate verunreinigt oder der Medikamentenmissbrauch in der Massentierhaltung führt zu antibiotikaresistenten Keimen. Die Forderung nach einer alternativen Landwirtschaft gewinnt deshalb auch unter den Produzenten zunehmend an Gewicht.
„Als ich vor gut zehn Jahren den elterlichen Hof auf biologische Landwirtschaft umstellte, hatte ich noch mit einigen Vorurteilen zu kämpfen. Von Hirngespinsten bis hin zur Anzweiflung, mein Betrieb werde nicht mehr überlebensfähig sein, wurde mir so einiges unterstellt. Aber von der Idee, ökologisch zu wirtschaften, war ich überzeugt. Mein Vater unterstützte mich zum Glück bei meinem Vorhaben, künftig ohne synthetische Pflanzenschutzmittel auskommen zu wollen“, erzählt Toni Riegler, Obstbauer und Obmann vom Bioland Verband Südtirol. 1991 hatten sich zehn Obstbauern im Terlaner Raum nach einem geeigneten Bio-Verband umgeschaut. „Bioland ist der bedeutendste Zusammenschluss im Biolandbau in Deutschland. Unsere Obstbauern wandten sich damals an Bayern und in der Folge wurde Südtirol 19 Jahre als Teil von Bioland Bayern geführt. Seit 2010 ist Südtirol ein eigener Landesverband bei Bioland. Wir zählen heute 600 Mitglieder. Davon sind der überwiegende Teil, etwa 350, Obstbauern, die zweitstärkste Sparte ist die milchverarbeitende Viehwirtschaft, dann folgen die Branchen mit geringerer Mitgliederanzahl wie Wein-, Acker-, Gemüseanbau und Imkerei“, informiert Riegler. „Ich bin mit Leib und Seele Verfechterin der biologischen Landwirtschaft, weil ich überzeugt bin, dass das der einzige Weg ist für unser Wohlbefinden auch in der Zukunft. Seit 14 Jahren bewirtschaftet mein Mann seinen Betrieb, den Felderhof, bereits nach den Richtlinien von Bioland. Durch das biologische Landwirtschaften ist es uns möglich, gescheite Lebensmittel im Einklang mit der Natur zu erzeugen, die bedenkenlos sind im Genuss und einfach gut schmecken“, betont Sabine Schrott, Ortsbäuerinnenstellvertreterin von Uttenheim/Gais der Südtiroler Bäuerinnenorganisation (SBO). Vom Beruf sei sie, die heute biologisch wirtschaftende Bäuerin, eigentlich ausgebildete Gärtnerin, erzählt sie, „ich selbst komme aus dem konventionellen Gartenbau. Damit die Pflanzen lausfrei und perfekt dastanden, war immer wieder der Einsatz von verschiedenen Pflanzenschutzmitteln nötig, ich selbst kam damit nicht klar. Von da an begann ich, mich für die biologische Landwirtschaft zu interessieren. Unser Hauptaugenmerk am Hof liegt derzeit auf dem biologischen Gemüse-, Kartoffel- und Getreideanbau.“ Besonders in den letzten Jahren habe ein Umdenken stattgefunden, so Riegler: „Lange wurden wir verdrängt, besonders vom Bauernbund kam eine abwertende Haltung. Die biologische Landwirtschaft wurde nicht ernst genommen, als ‚Nische‘ abgetan und als nicht zukunftsweisend dargestellt. Eine Bauernbund-Umfrage im Vorjahr ergab nun, dass über 60 Prozent der Mitglieder in der biologischen Landwirtschaft eine Zukunft sehen. Jetzt ist eine Veränderung zu spüren, besonders im Obstbau, aber auch in der Viehwirtschaft.“ Walter Valentin, Bergbauer in Abtei, hat die Umstellung auf biologische Viehhaltung gewagt. Nach drei Bio-Bauern, die ihre Milch nach Sterzing liefern, ist sein Hof der erste Bio-Betrieb im Gadertal, der der Bergmilch angehört: „Anfang 2016 habe ich meinen Betrieb umgestellt. Die biologische Landwirtschaft hat mich schon immer fasziniert, auch weil mir das Wohl meiner Tiere am Herzen liegt. Als auch vom Milchhof Mila Bergmilch vermehrt Bio-Milch gewünscht wurde, wagte ich den Schritt. Die Umstellung ist mir nicht schwer gefallen. Ich fühle mich heute sehr wohl als Biobauer. Ein paar kleinere Umbauarbeiten waren nötig. Bei der biologischen Viehhaltung ist der Auslauf der Tiere das Um und Auf. Im Laufstall werden sechs Quadratmeter pro Kuh gefordert, beim Anbindestall, der bei einer geringeren Stückzahl möglich ist, muss der tägliche Gang auf die Weide garantiert sein. Bei mir ist genug Weide um den Hof und ich habe einen Laufstall, in dem jede Kuh bereits zehn Quadratmeter Platz hat, aber ich möchte noch mehr Platz schaffen, das ist zwar nicht Pflicht, aber ich wünsche es.“
BIO – STRENG GEREGELT
„EU-Bio gibt vor, was man mindestens einhalten muss. Das sind die Rahmenrichtlinien. Verbänden, wie Demeter oder Bioland, sind diese Richtlinien nicht umfassend genug, deshalb fordern sie von ihren Mitgliedern strengere Auflagen“, weiß Schrott. Bioland nennt „Sieben Bioland Prinzipien“ für die Landwirtschaft der Zukunft, präzisiert Riegler: „Das erste Prinzip ist, im Kreislauf zu wirtschaften, d.h. etwa auf den eigenen Flächen das Futter für das Vieh anzubauen, welches wiederum den Dünger für die Pflanzen liefert. Das zweite Prinzip ist, die Bodenfruchtbarkeit zu fördern, was gelingt, wenn man organischen Dünger einsetzt, der das Bodenleben aktiviert. Prinzip Nummer drei verlangt die artgerechte Tierhaltung, Nummer vier, dass man wertvolle Lebensmittel ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel, Wachstumshormone oder Gentechnik erzeugt. Das fünfte Prinzip bezieht sich auf die Förderung der biologischen Vielfalt von Tierrassen, Obst- und Gemüsesorten, das sechste verlangt die Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen: Ressourcen schonen, keine Wasserverunreinigung, kein synthetischer Dünger und geringer Medikamenteneinsatz. Und siebtens schließlich, dass wir den Menschen eine lebenswerte Zukunft sichern, was beinhaltet, dass wir auf Ressourcen achten, Arbeitsplätze in der Region schaffen, Lebensmittel lokal absetzten und unsere Betriebsmittel lokal einkaufen. Bioland versucht Alternativen zu entwickeln zur intensiven, von Industrie und Fremdkapital abhängigen Landwirtschaft und zwar ökologisch, indem wir Umwelt, Klima und Boden schützen und auf Artenvielfalt achten, ökonomisch, denn von seinem Bio-Betrieb muss man auch leben können, und sozial verträglich, was ein Ausbeuten der Mitarbeiter ausschließt.“
SCHWACHSTELLEN VON BIO
„Der Biolandbau ist durch die gegebenen Regelungen sehr starr theoretisch und unflexibel geworden auf Kosten der Vielfalt. In der biologischen Landwirtschaft gibt es für vieles noch keine Lösung und man muss so einiges an Lehrgeld bezahlen. Die Schwachstellen gibt es sicher noch bei der fachkompetenten Beratung und ebenso im noch zu schwachen Versuchswesen im Bereich Biogemüse für uns kleine vielfältige Direktvermarkter“, führt Schrott an. „Die Umstellung von der konventionellen Landwirtschaft auf Bio ist sicher mit Risiko behaftet. Besonders in der Viehwirtschaft sind die nötigen Investitionen oft komplexer und hängen von der einzelnen Betriebsstruktur ab, viele sind hier Nebenerwerbsbauern. Aber langfristig ist es rentabel, wie sich bei den Obstbauern letzthin gezeigt hat. Die Gefahr, dass der zur Zeit gute Milchpreis bei einer Zunahme von Bio-Landwirten fallen könnte, ist unbegründet, da parallel dazu ja auch der Bedarf an Bio-Milch steigen wird. Vor zehn Jahren hat man uns den Preisverfall beim Apfel prophezeit, was sich nicht bewahrheitet hat. Zudem kennt auch die konventionelle Landwirtschaft keine Preisgarantie.“
BIO UNRENTABEL?
„Mein Bestand an Milchkühen hat sich durch die Umstellung auf den Bio-Betrieb nicht verändert, nur die Anzahl der Kalbinnen hat sich aus Platzgründen reduziert. Meine Milchproduktion ist um ca. 1.000 Liter Milch pro Kuh/Jahr zurückgegangen, das kommt auch daher, dass ich mit dem Kraftfutter zurückgefahren bin, da dieses teuer und unnatürlich ist. Ich verfüttere ausschließlich Heu und Weidegras, keine Silage, dieses Gärfutter bläht die Tiere nur auf und beeinträchtigt den Geschmack und die Qualität der Milch. Obwohl ich heute weit weniger produziere, ist mein Verdienst höher, da ich 30 Prozent Aufschlag auf den Literpreis der Milch bekomme. Und ich habe weniger Druck, alles ist natürlicher. Der Kreislauf ist meinem Rhythmus und jenem der Tiere angepasst. Ich bin heute sehr zufrieden, auch mit dem Erlös. Die Aussicht auf höheren Verdienst hat mich aber nur zu einem kleinen Teil bewogen, auf Bio umzustellen, hauptsächlich war meine Überzeugung für eine artgerechte Tierhaltung ausschlaggebend“, gesteht Valentin.
GRÜNDE FÜR DIE UMSTELLUNG
„Die Grundvoraussetzung für die Umstellung auf Bio-Landwirtschaft ist, dass man vom Prinzip überzeugt ist. Man muss es wollen und den Sinn dahinter sehen. Die Umstellung verlangt auch, dass man sich in die Thematik einliest, dass man sich informiert. Die Produktion kann zurückgehen. Macht man die Umstellung nur mit der Absicht, mehr zu verdienen, ist die Gefahr gegeben, dass man nach ein, zwei schlechteren Jahren gleich das Handtuch wirft. Man hat in der biologischen Landwirtschaft weniger Möglichkeiten, bei falschem Handeln gleich korrigierend einzugreifen, etwa mit starken Medikamenten oder mit Pestiziden. Wir gehen den Weg, Pflanzen und Tiere gleich möglichst gesund aufwachsen zu lassen. Weniger Dünger, weniger Ertrag, aber dafür gesünder“, ist Riegler überzeugt.
BIO- WIDER HYBRIDANBAU
„Hybrid- und Bio-Anbau schließen sich nicht unbedingt aus, wohl aber für mich, weil Bio für mich viel mit Naturbelassenheit zu tun hat. Hybridsorten sind Einmalsorten, die nicht weiter vermehrt werden können. Auch werden bestimmte Sorten mit biotechnologischen Methoden gezüchtet, die sich kaum mehr von der Gentechnik unterscheiden. Die Produzenten machen sich damit von großen Saatgutfirmen abhängig, auch die Bio-Bauern. Dieses System will ich nicht unterstützen. Ich will eine ökologische Züchtung, aus der man selbst Saatgut gewinnen kann, so wie das ursprünglich üblich war, als gerade bei uns noch oft jeder Hof seine eigenen, lokalen Sorten gezüchtet und vermehrt hat, und damit eine natürliche Vielfalt gegeben war“, führt Schrott an und betont, „die Intensivierung der Landwirtschaft brachte Sorten mit mehr Erträgen und makellosem Aussehen, die möglichst gleichzeitig abreifen, rationeller bearbeitet und so kostengünstig produziert werden können, das führte von den Mischkulturen zur Monokultur und dem daraus folgenden Bedarf an Düngemitteln, Herbiziden und Pestiziden. Der Markt nimmt immer mehr Einfluss in Züchtungskriterien: Perfektes Aussehen, Uniformität, Transportfähigkeit sowie gute Verpackbarkeit werden zum Thema. Der Geschmack ist nur mehr zweitrangig.“ Auch Riegler ist der Meinung, dass „Gentechnikbefürworter und große Konzerne uns sagen wollen, was wir brauchen, um rentable Betriebe zu haben, aber das schaffen wir auch, ohne Kollateralschäden durch Medikamenten- und Pflanzenschutzmittelmissbrauch zu verursachen. Die Konzerne achten auf ihre Wirtschaftlichkeit, nicht auf den Menschen!“
SCHWERE WEG ZU BIO-WIRTSCHAFT
„Gerade von den Bauern wurde mir viel Skepsis entgegengebracht. Ich fühle mich noch immer als Einzelgänger. Obwohl viele Milchbauern vom Platz her leicht auf Bio umstellen könnten, ist es sehr schwer, Gleichgesinnte zu finden. Dabei gleicht die konventionelle Tierhaltung einem Hochleistungssport, alles muss auf Hochtouren laufen, ein geringer Fehler kann zu großen Komplikationen führen“, weiß Valentin. „Die Agrarindustrie und die großen Konzerne investieren viel, dass die Bio-Landwirtschaft sich nicht so durchsetzt. Der Lobbyismus ist stark dafür verantwortlich, dass Medikamente, Pestizide und gebeiztes Saatgut zum Einsatz kommen, aber auch die Konsumenten können mitentscheiden, die biologische Landwirtschaft zu stärken, da ist jeder gefordert und jeder zählt! Bio-Lebensmittel sind teurer und kosten auch in der Produktion mehr, aber sie sind besser für die Natur, die Umwelt und den Menschen!“ (SP)
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