Peter Oberhollenzer aus Mühlen in Taufers
18. Dezember 2017
Tore, Tore, Tore
18. Dezember 2017
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Wie das Ahrntal zur Talstraße kam

Funktionierende Verkehrswege waren von jeher Voraussetzung für das Gedeihen der Wirtschaft. Durch das Ahrntal führt heute eine Straße, die im Allgemeinen in der Lage ist, den anfallenden Verkehr aufzunehmen. Außerdem gibt es inzwischen kaum noch Höfe ohne PKW-taugliche Zufahrt. Menschen mittleren Alters haben es noch anders erlebt. Wichtige Teile der heutigen Talstraße wurden erst Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts neu angelegt, damals wurde auch der Schotterbelag der Straße durch einen solchen aus Asphalt ersetzt. Viele fanden, dass es damals für die neue Straße höchste Zeit gewesen sei, und nicht wenige hätten es gerne ein bisschen breiter, gerader und schneller gehabt. So fand auch die Idee, über die Hundskehle eine Straße zu bauen, die das Ahrntal mit dem Zillertal verbinden sollte, anderthalb Jahrzehnte später viele Anhänger.

 

KIRCHWEGE STATT STRASSEN
Wenn wir schauen, wie heute Personen und Güter über die modernen Verkehrswege kreuz und quer verfrachtet werden, fällt es uns nicht leicht zu verstehen, wie man früher überhaupt zurechtkam ohne das moderne Straßen- und Schienennetz. Man mag es kaum glauben, dass das auf drei Seiten von hohen Bergen umgebene Ahrntal jahrhundertelang eine Brücke zwischen Norden und Süden war, die vor allem aus wirtschaftlichen Gründen benutzt wurde. Natürlich waren damals die Mengen geringer, die transportiert wurden. Es zählte nicht die Tonnage von Fernlastern, sondern was ein Pferd oder ein Mensch tragen konnte. Es brauchte begehbare Wege, befahrbar mussten sie nicht sein. Die geschichtlichen Quellen bestätigen, dass zumindest durch das innere Ahrntal vor etwa 500 Jahren noch gar keine Straße führte, sondern nur ein Wegenetz, das die Höfe miteinander verband und vor allem diese mit der Kirche. Die Kirchwege waren die breitesten und am besten in Stand gehaltenen Wege.

DAS BERGWERK ALS STRASSENBAUER
Für das bäuerliche Wirtschaften reichte dieses Wegenetz aus. Als sich dann aber um etwa 1400 mit der Eröffnung des Kupferbergwerkes von Prettau im hintersten Ahrntal ein für die damalige Zeit großer Wirtschaftsbetrieb ansiedelte, wurde dieses primitive Wegenetz zum Problem. Ein Bergwerk war ohne ein gut organisiertes Transportsystem nicht zu betreiben. Es kam ja nicht nur darauf an, dass das fertige Kupfer abtransportiert wurde, es mussten auch einige hundert Arbeiter mit Lebensmitteln versorgt werden. Der Holz- und Kohletransport zugunsten des Bergwerkes war solange kein besonders aufwändiges Unternehmen, als das Holz in Prettau geschlägert und dort zu Kohle gebrannt wurde. Wie dann zu Ende des 15. Jahrhunderts die zunehmende Lawinengefahr das Abholzen der Wälder in Prettau als nicht mehr ratsam erscheinen ließ, stellte man dort das Kupferschmelzen ein und verlegte die Schmelzwerke außerhalb der Klamme. Das führte dazu, dass das Erz in die Marche, nach Steinhaus und nach Ahrn transportiert werden musste, wo neue Schmelzhütten entstanden waren.

DIE BAUERN KÜNDIGEN DIE DURCHFAHRT
Im Jahre 1532, als schon einige Schmelzhütten außerhalb von Prettau standen, kündigten die Bauern, durch deren Gründe die Erz-, Kupfer- und Kohlfuhr ging, den Bergbauunternehmern das Durchfahrtsrecht. Bis dahin hatten die Bauern vom St. Michaelstag (29. September) bis zum Georgentag (23. April) „umb zimblich Zins“ durch ihre Felder fahren lassen. Die drei Bauern, welche damals die Durchfahrt aufkündigten, waren der Linder, der Oberleiter und der Gasser, alle aus St. Peter. In der Bittschrift verlangten die Bergbauunternehmer, dass in Zukunft die Durchfahrt durch das Tal das ganze Jahr über uneingeschränkt möglich sein müsste, wenn das Bergwerk keinen merklichen Schaden haben sollte. Von königlicher Seite drängte man darauf, dass die Bergbaubehörde in Sachen ganzjährige Durchfahrt dringend mit den Bauern verhandeln sollte. Als sich lange keine Lösung abzeichnete, stellten die Bergbauunternehmer seiner Majestät die Rute ins Fenster und prognostizieren für den Fall, dass man zu keiner Lösung komme, den merklichen Abfall des Bergwerkes und damit auch den Rückgang der ergiebigen Abgaben an die landesfürstliche Kasse.

EINE LÖSUNG NACH SIEBZEHN JAHREN
König Ferdinand I. befahl daraufhin, die drei Bauern zu rufen und mit ihnen ernsthaft zu verhandeln, damit sie zustimmten, dass durch ihre Gründe „ein steter Weg auf ewig Zeit“ angelegt werde. Wenn das mit einem wie bis dahin in Geld gezahlten Zins nicht zu erreichen sei, sollte man die Bauern mit Grundstücken aus der Gemain (heute würde man Fraktionsgrund dafür sagen) entschädigen, die an ihre Felder angrenzten und die sie „einfachen“ (einzäunen) durften. Über den Gang der Verhandlungen war dann an den König Bericht zu erstatten. 17 Jahre nach der Eingabe der drei Peterer Bauern war es dann so weit, dass dem Ahrntal eine neue „Weg- und Pruggenordnung“ verpasst wurde, welche die Voraussetzung dafür schuf, dass eine Straße durch das Tal gebaut wurde.

DIE „Weg- und Pruggenordnung“ VON 1549
Die neue Ordnung war das Ergebnis von Verhandlungen, die von der damaligen Tauferer Gerichtsherrin Beatrix Witwe Fieger, dem Bergrichter Michael Treyer, dem Freiherrn Karl von Welsperg als Vertretern der Bergbauunternehmer und den Bauern geführt wurden. Vereinbart wurde, dass von Prettau bis heraus nach Ahrn „eine gute geräumte und bräuchliche Straße“ angelegt werden sollte. Die Instandhaltung der Straße und der Brücken wurde den Bergbauunternehmern und den „Nachbarn“ – gemeint sind die Bauern des Tales – gemeinsam auferlegt. Als erstes ging man an die Grundbeschaffung. Diese erfolgte gemäß dem königlichen Ratschlag so, dass jene Bauern, die Grund für den Straßenbau abtraten, mit Grund von der Gemain entschädigt wurden. Wo dieser Tausch nicht möglich war, fasste man auch den Grundkauf ins Auge. Die folgende Zusammenfassung erwähnt in Kurzform die Abmachungen mit den einzelnen Bauern, die in der „Weg- und Pruggenordnung“ genannt sind. Es sei darauf verwiesen, dass damals der Hofname noch als Schreibname diente. Nur im Falle des Stegers in Prettau war es anders, Steger war damals Heinrich Inderpichler.

WAS DIE BAUERN ABTRATEN UND WIE SIE ENTSCHÄDIGT WURDEN
Man hielt sich bei der Planung der Talstraße mehr oder weniger an die Trasse des Weges, für den sich die Bergbauunternehmer das Durchfahrtsrecht zumindest im Winter gesichert hatten. Es ist in der neuen Ordnung immer wieder von „nachbarlichen Fußsteigen und Kirchwegen“ die Rede, die zur Straße ausgebaut werden sollten. Als erster Bauer ist Heinrich Inderpichler, der Inhaber des Stegergutes in Prettau, genannt. Er musste durch sein Feld, genannt die Aue, durchfahren lassen und entlang der neuen Straße einen Zaun aufstellen. Dafür wurde ihm gestattet, beim Brugghäusl nahe bei seiner Säge auf der Gemain einen Garten einzuzäunen und außerdem sein Feld auf der Schattenseite zu oberst um einen Klafter zu erweitern. Beide Gründe sollten „auf ewig“ zum Steg gehören. Ulrich Allprecher wurde auf die gleiche Weise entschädigt. Er bekam nicht nur ein Grundstück bei seinem Haus, sondern durfte auch einen Garten erweitern, der außerhalb der Klamme lag. Simon, der Hofer in Prettau, trat ein Stück Grund ab, durch den bisher noch kein Weg führte. Es reichte von zu innerst in seinem Feld bis unterhalb des Wasserers Haus. Auch er wurde mit zwei Stücken von der Gemain entschädigt. Eines lag außerhalb seines Hauses, das andere bei seinem Garten. Der Wasserer war der einzige Bauer, dem der Grund abgekauft wurde, ein Tausch kam nicht in Frage, weil sich kein Grund, der zur  Gemain gehörte, in der Nähe des Hofes befand. Die 25 Gulden, die man dem Wasserer zahlte, entsprachen damals etwa 30 Wochenlöhnen eines Bergknappen. Blasy Götsch entschädigte man mit Grund auf der Schattenseite unter des Wasserers Holzlechn, wo vor Jahren am Bach eine Schmelzhütte stand.
Von den Peterer Bauern ist in der „Weg- und Pruggenordnung“ Hansen Linder als erster genannt. Er hatte ja zusammen mit dem Oberleiter und dem Gasser durch die Aufkündigung des Durchfahrtsrechtes den Stein ins Rollen gebracht. Er trat Grund entlang des Talbaches ab und durfte dafür einen Streifen der Gemain einzäunen, und zwar dort, wo innerhalb seines Feldes  früher zwei Schmelzhütten standen. Weil er damit nicht zufrieden war, musste ihm der Grießer ein Feldstück unter dem Auchtenhäusl abtreten, wofür dieser seinerseits dann wieder mit Grund von der Gemain entschädigt wurde. Christian, der Oberleiter in St. Peter, musste für die Straße durch die sogenannte „Fleckaue“ Grund abtreten, wofür er unter seinem Haus mit Grund von der Gemain entschädigt wurde. Balthassar Marcher trat außerhalb des Marchbaches Grund ab und durfte dafür bei seinem Haus den Zaun einen ganzen Klafter in Richtung Gemain versetzen.
Bartlmä Gasser, einer der drei Bauern, die 1532 den Fuhrleuten des Bergwerkes die Durchfahrt aufkündigten, war inzwischen gestorben. Seine Erben sicherten sich gegen die Abtretung des Grundes für die Straße ein Wasserrecht, das ihnen der Jakob Pipperger überließ. Der Pipperger wurde mit Grund in der Buinlandklamme entschädigt, den er als Garten und Wiesenmahd „auf ewig“ nutzen durfte. Augustin Hofer zu Walchen war damals auch Besitzer des Hollechngutes. Als solcher musste er relativ viel Grund für die Straße abtreten. Ein Teil von der Gemain, der ihm zufiel, lag innerhalb des Innerfeldes in der „Millau“ und kam zum Hollechn, der andere Teil lag zu Hinterpürschtal bei der Klamme und wurde zugunsten des Hofes zu Walchen eingezäunt. Christian Parrainer von St. Jakob trat den Grund beim Bach heraus ab, durch den die vom Bergwerk abgezinste Straße schon seit einiger Zeit geführt hatte. Parreiner wurde mit Grund entschädigt, der zum Hof des Andrä Niederhollenzer gehörte, wofür dieser Grund auf dem Antratt einzäunen durfte, der von da an zu diesem Hof gehörte.

DER WEG DURCH DIE KLAMME
Über den Bau der Straße von St. Jakob bis nach Ahrn heraus ist in der „Weg- und Pruggenordnung“ nichts gesagt, was wohl nur damit zu erklären ist, dass es dort schon eine Straße gab. Umso ausführlicher wird dafür die Durchfahrt durch die Klamme besprochen. Trotzdem bleibt aber die damalige Lage eher unklar. Sicher ist, dass der Weg durch die Klamme auf der orografisch rechten Bachseite um die Mitte des 16. Jahrhunderts noch nicht bestand. Man nahm sich aber vor „in den kommenden 10 Jahren neben des Velders Garten an der Sonnenseiten einen neuen Weg hindurch  zu machen“. Inzwischen führte der Weg auf der orografisch linken Bachseite über der Klamme durch das Feld des Felderbauern heraus bis zum Kalkofen bei der Grießer Mühle. Für die Benutzung dieses Weges durch das Bergwerk wurde weiterhin Zins gezahlt, „wie bisher beschechen ist“. Die Frage, ob der Straßenbau auf der rechten Bachseite der Klamme in den veranschlagten zehn Jahren verwirklicht wurde, lässt sich (noch) nicht beantworten. Der Weg von Prettau heraus über den Prucher- und den Wegscheiderhof zur Kirche von St. Peter musste laut der „Weg- und Pruggenordnung“ von 1549 aber offen bleiben, wie übrigens auch der Weg über den Bühel von St. Jakob. Die Ordnung schließt mit dem Befehl König Ferdinands I. an die Ahrntaler, für die Instandhaltung ihrer Straße aufzukommen.