Die sieben „dunklen Jahre“ Österreichs von 1938-1945 – Teil 1

MITEINANDER DER KULTURVEREINE
30. Januar 2018
Walter Auer aus Mühlen in Taufers / Sydney
30. Januar 2018
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Die sieben „dunklen Jahre“ Österreichs von 1938-1945 – Teil 1

Wir Südtiroler waren, als unser ehemaliges Vaterland Österreich im Jahre 1938 in die „dunklen Jahre“ kam, nicht mehr dabei, denn wir waren nach dem Ersten Weltkrieg als Kriegsbeute an Italien gekommen und hatten folglich schon mehr als anderthalb Jahrzehnte Diktaturerfahrung hinter uns, als Österreich sich anschickte, diese Erfahrung erst zu machen. Der Habsburger Staat hatte sich infolge der Niederlage im Weltkrieg selbst zerstört.

 

Von der Donaumonarchie blieb nur übrig, was niemand haben wollte. Damals begann für diesen historischen Überrest eine Zeit der Krise, der man lange nicht beikam. Als am 12. November 1918 die demokratische Republik Deutschösterreich ausgerufen wurde, sah es so aus, als  könnte dieses Österreich ein Bestandteil Deutschlands werden, was dann aber von den in Paris versammelten Siegermächten nicht akzeptiert wurde, sodass der Republik Österreich im Artikel 88 des Vertrages von Saint Germain ein Anschlussverbot auferlegt wurde. Damals war die Stimmung in Österreich durchaus anschlussfreudig, wie zwei Volksabstimmungen bewiesen haben, die in Tirol und in Salzburg stattfanden. In Tirol votierten 98,8 Prozent und in Salzburg 99,1 Prozent der Bürger für den Anschluss an Deutschland. Weitere Abstimmungen unterblieben auf Betreiben der Siegermächte.
Der Anschluss Österreichs an Deutschland wurde erst wieder ein Thema, als in Deutschland die NSDAP unter der Führung  Adolf Hitlers  am 30. Jänner 1933 die Macht übernahm. Ein Jahr vorher war in Österreich der  Christlichsoziale Engelbert Dollfuß  Bundeskanzler geworden. Beide Bestellungen waren Gift für die Demokratie und klare Wegmarkierungen in Richtung Diktatur. Von da an kam es zu dauernden Einmischungen Deutschlands in die österreichische Politik mit der klaren Tendenz zum Vollzug des Anschlusses Österreichs an Deutschland. Im Februar 1934 kam es zu einem von den Sozialdemokraten gegen das Dollfuß-Regime gerichteten Aufstand, der blutig niedergeschlagen wurde. Dann folgte ein von der illegalen Wiener SS-Standarte 89 durchgeführten Putschversuch, dem Dollfuß zum Opfer fiel. Neuer Bundeskanzler in Österreich wurde Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg.
In den nun folgenden Jahren setzte Hitler auf Befriedigung der Fronten in der Österreich-Frage, was auch relativ gut gelang. Allerdings bedeutete das nicht, dass sich Nationalsozialisten in die österreichische Politik nicht mehr einmischten. So erzwang Hitler von Schuschnigg  die Ernennung von Arthur Seys-Inquart zum Minister für Inneres und Sicherheitswessen und die Freilassung aller Nazi-Täter, die als Illegale in österreichischen Gefängnissen saßen.
Jedem, der sich für die Zeit von 1938-1945 interessiert, sei das im Titel genannte Buch des Historikers Kurt Bauer empfohlen, der diese Zeit als die „dunklen Jahre“ Österreichs bezeichnet. Es gelingt Bauer, die gewaltige Vielfalt einzufangen, die in dieser Zeit versteckt ist. Nach der Lektüre dieses Buches hat man das Gefühl, über diese Zeit alles zu wissen. Für eine ausführliche Beschreibung reicht der hier vorhandene Platz nicht aus. Daher werden in zwei Folgen einige besonders markante Stellen entnommen und durch Zwischentexte verbunden. Zweck der Buchbesprechung sollte die Verführung zur Lektüre sein, nichts anderes.

DER ANSCHLUSS ÖSTERREICHS AN DEUTSCHLAND
Vom österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg kam im Frühjahr 1938 der Vorschlag, eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit Österreichs abzuhalten. Die Bevölkerung Österreichs zeigte sich damals bei jeder sich bietenden Gelegenheit anschluss- und nazibegeistert. Die  Volksbefragung sollte am Sonntag, den 13. März, stattfinden. Als der Druck der deutschen Regierung auf Schuschnigg immer stärker wurde, die Abstimmung abzusagen, gab der Bundeskanzler nach und trat zurück. Damit war der Weg frei für den Anschluss Österreichs an Deutschland. Es war der österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas, der Hitler am längsten Widerstand entgegensetzte. Die österreichische Bevölkerung empfing die Hitlertruppen mit begeistertem Jubel. Hitler tat alles, um diese Begeisterung anzuheizen. Allein am 12. März, dem ersten Tag der Besetzung, wurden 300 Millionen Flugblätter über Österreich abgeworfen. Hitler kam am Tag danach und besuchte als erstes  Ziel die österreichische Grenzstadt Braunau am Inn, wo er vor 49 Jahren geboren worden war. Kurt Bauer  schreibt:
„ Überall drängte sich die Bevölkerung an den Wagen heran. Alles schrie und jubelte und weinte vor hysterischer Freude und Begeisterung. Die Kinder wurden dem Führer entgegen gehalten, als sollte er sie segnen. Von allen Seiten legten die Leute Blumensträuße auf Hitlers Wagen, so viele, dass die meisten auf der anderen Seite wieder herunterfielen. Hitler stand stundenlang starr im Auto und grüßte. Für die 120 Kilometer bis Linz brauchte die Kolonne weit länger als gedacht. Wegen der Menschenmassen war nur ein mühsames Durchkommen möglich.“
Linz an der Donau war jene Stadt, die Hitler stets als seine Heimatstadt bezeichnete. Hier hatte er die wichtigsten Jahre seiner Kindheit und Jugend verbracht, hier war er zur Schule gegangen. Nun traf er mit mehrstündiger Verspätung in Linz ein. Schätzungen zufolge sollen ihn 60.000 bis 80.000 Menschen auf dem Hauptplatz erwartet haben. An den zwei Tagen, die sich Hitler in Linz aufhielt, fielen die wichtigsten Entscheidungen über die Zukunft  Österreichs. War zunächst nur an eine gemeinsame bewaffnete Macht und an eine Wirtschafts- und Währungsunion gedacht, fiel hier die Entscheidung zugunsten einer vollständigen staatsrechtlichen Vereinigung. Österreich sollte ein Land des Deutschen Reiches werden, so wie Bayern und die übrigen deutschen Länder. Gründe für die beschleunigte Einverleibung Österreichs in das Deutsche Reich waren einmal der Jubel der Österreicher, der jedes Ausmaß überstieg, und dann auch die Reaktion der internationalen Presse , die kaum negative Folgen für Deutschland erwarten ließ.
Es verlief alles so schnell, dass es noch am Abend des 13. März zur letzten Sitzung des österreichischen Ministerrates kam, die dann innerhalb von fünf Minuten beendet war. Die Regierung beschloss das Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich. Der österreichische Bundespräsident konnte und wollte die Entwicklung nicht aufhalten. Um dieses Gesetz nicht beurkunden zu müssen, trat er von seinem Amt zurück, womit laut Verfassung seine Obliegenheiten auf den Bundeskanzler übergingen. Somit konnten Seys-Inquart und seine Ministerkollegen das verfassungsmäßige Zustandekommen des von ihnen beschlossenen Gesetzes selbst bestätigen. Gleich danach trat Seys-Inquart die Fahrt nach Linz an, um seinem Führer den Vollzug zu melden. „Er war lange still. Tränen rannen ihm über die Wangen.“
Seys-Inquart war nun nicht mehr Bundeskanzler, sondern Reichstatthalter. Aus der von ihm geführten Bundesregierung war eine Landesregierung geworden, die noch rund ein Jahr weitermachen durfte. Zum wahren starken Mann machte Hitler Josef Bürckel, einen bewährten Altnazi, der sich 1935 bei der Eingliederung des Saarlandes als Gauleiter von Saarpfalz bewährt hatte. „Mittags ließ Hitler sich nach Leonding bringen, einen fünf Kilometer entfernten Vorort, in dem er mit seiner Familie gelebt hatte. Auf dem Ortsfriedhof lagen seine Eltern begraben – der gefürchtete Vater Alois (gestorben 1903) und die geliebte Mutter Klara (gestorben 1907). Überall an der Straße jubelten die Menschen Hitler zu. Den Friedhof besuchte er allein. Nicht ganz allein, sein Leibfotograf Heinrich Hoffmann war dabei. Dieser machte die Aufnahmen vom „Führer am Grab seiner Eltern“, die der Propagandainszenierung von Hitlers Heimkehr dienten.“
Laut Artikel 2 des Gesetzes vom 13. März 1938 sollte am Sonntag, dem 10. April 1938 , eine freie und geheime Volksabstimmung der über 20 Jahre alten deutschen Männer und Frauen  Österreichs über die Wiedervereinigung mit dem deutschen Reiche durchgeführt werden. Menschen jüdischer Herkunft waren von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen. Dabei handelte es sich um mehr als 200.000 Personen. Der Volksabstimmung ging eine gewaltige Propagandaschlacht voraus. Laut offiziellem Endergebnis stimmten 4,3 Millionen Österreicherinnen und Österreicher für die Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich. Das waren 99,74 Prozent der gültigen Stimmen. Der höchste Anteil an Nein-Stimmen gab es in Innervillgraten in Osttirol (26 Prozent). In Tirol lag dieser Anteil bei 1,13 Prozent.
Kurt Bauer überschreibt das auf das Abstimmungsergebnis vom 10. April folgende Kapitel mit dem einzigen Wort TERROR. Das war das, was auf die Volksabstimmung und den Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich folgte.
Davon waren vor allem die Juden betroffen, aber auch all jene, die mit der Ideologie der Nazis nicht zurechtkamen. Die Art der Darstellung ist so gewählt, dass aus dem Quellenmaterial Einzelpersonen und Einzelfälle herausgenommen  werden, die dann durch den restlichen Teil des Buches ergänzt werden und ein großartiges Gesamtbild ergeben. Ein Beispiel:
„Raub und Plünderungen standen seit der Stunde eins der nationalsozialistischen Machtergreifung auf der Tagesordnung. SA-Trupps raubten systematisch jüdische Geschäfte leer … Die Ausräumung des Warenhauses Schiffmann in der Taborstraße dauerte drei Tage. Arbeiter mit Hakenkreuzarmbinden leerten die Lager. Männer im Braunhemd hielten die neugierige Menge fern. In Privathaushalten ging man nicht anders vor. So z. B. in der Wohnung der Familie Harmel in Wien-Wieden. Bald nach dem 13. März traten hier sieben SA- und SS-Männer geräuschvoll in Erscheinung. Zuerst ließen die sich auf mitgebrachten Unterlagen die Übergabe der beiden der Familie gehörenden Geschäfte bestätigen. Danach musste der geschockte Familienvater ihnen seine Sparbücher übergeben und auf mitgebrachten Formularen weitere Kontogutschriften übertragen. Und schließlich nahmen die Nationalsozialisten  noch Antiquitäten, Schmuck und Bargeld  mit. Die vordem gutgestellte Familie blieb praktisch mittellos zurück.“