Kriegsbeginn: 1. September 1939: Der Führer spricht: … „Polen hat nun heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten! … Zwei Tage später, am Sonntag, erklärten England und Frankreich Deutschland den Krieg.“
Insgesamt dienten 17,3 Millionen Deutsche in der Wehrmacht, und 900.000 in der Waffen-SS. Rund 1,3 Millionen der Wehrmachtssoldaten stammten aus Österreich. Die Zahl der österreichischen Waffen-SS-Angehörigen dürfte deutlich unter 100.000 gelegen haben.
KRIEGSVERWEIGERER UND DESERTEURE
Nicht alle wollten den Krieg. Anton Brandhuber, ein 27jähriger Bauernsohn aus Laa an der Thaya in Niederösterreich, setzte sich am 17. Februar 1942 in Russland von der Truppe ab und ging Richtung Westen. „Konnte eine Desertion zu diesem Zeitpunkt und auf diese Art überhaupt die geringste Aussicht auf Erfolg haben? War es nicht der direkte Weg an den Galgen, den er antrat? Rund 20.000 Deserteure wurden im Laufe des Krieges zum Tode verurteilt, mindestens 16.000 von ihnen tatsächlich hingerichtet. Wie sollte Brandhuber durchkommen? Er schaffte es. Unerschrockenheit, Erfahrung nach mehr als dreijährigem Dienst in der Wehrmacht, Gewitztheit und viel Glück halfen ihm.
Ein Stück Brot hatte er dabei. Nach 15 Kilometern vergrub er seinen Karabiner, die Gasmaske und Patronentasche im Schnee, aß seinen Vorrat, hielt ein Auto an, das ihn ein größeres Stück mitnahm. Der nächste Tag. Brandhuber bemerkte eine große Ansammlung von SS-Leuten und Soldaten außerhalb der Stadt. Neugierig ging er nachschauen. Lastwagen mit Juden kamen an. Ärmere und wohlhabendere. Brandhuber sah, wie sie mit Spitzhacken den gefrorenen Boden bearbeiten und Gräben von einem Meter Tiefe, zwei Metern Breite und 15 Metern Länge ausheben mussten. Er sah, wie sie anschließend mit Gewalt in die Gruben gezerrt wurden. Sah, dass sie lagen wie Sardinen in der Büchse. Sah, wie ein SS-Mann mit der Maschinenpistole die Reihen entlangstrich, dass das Blut spritzte. Weitere Juden wurden hineingezerrt. Körper an Körper mussten die sich auf die Leichen legen, bis der Graben randvoll mit Erschossenen war. Am nächsten Tag eine andere Hinrichtungsart: Aufhängen. Als Vergeltung für Partisanenüberfälle. Nach einem Tag Aufenthalt in Orel (Gebietshauptstadt in Mittelrussland) fuhr Anton Brandhuber per Zug weiter Richtung Westen. Einmal bestach er einen Lokführer mit Tabak. Dieser ließ ihn im Führerstand mitfahren. Wehrmachtsstreifen und Bahnhofswachen entging er mit Geschick. Wenn es ihn doch erwischte, verstand er es, sich herauszureden: Er habe aus diesem oder jenem Grund seine Truppe verloren und suche sie nun. Das passierte ihm zweimal, in Brest-Litowsk und in Warschau. Dort wurde er spät nachts zum Bahnhofsoffizier gebracht. Zwei Oberleutnants und drei Hauptleute seien dort gewesen. Sie hätten mächtig gebrüllt. Davon habe er sich nicht beeindrucken lassen. Im allgemeinen Durcheinander war es ohnehin unmöglich, seine Angaben durch Rückfragen bei seiner Einheit zu überprüfen. Schließlich erhielt Brandhuber einen Marschbefehl nach Orel – den er umgehend vernichtete. Am Nachmittag des 24. Februar bestieg er stattdessen den Schnellzug nach Wien. Von dort gelangte er über Innsbruck nach Vorarlberg. Am 27. Februar überschritt er die Grenze zur Schweiz.“
DEPORTATIONEN
„Die Massendeportationen von Juden aus Wien endeten im Oktober 1942. Mehr als 47.000 Menschen waren verschleppt worden. Nur rund achttausend Menschen jüdischer Herkunft lebten noch in Wien, die meisten in sogenannten Mischehen. Und diese Zahl sollte sich wegen vieler weiterer kleiner oder Einzeldeportationen noch bedeutend reduzieren. Weniger als zweitausend Deportierte (an die vier Prozent) erlebten das Ende der NS-Herrschaft.“ Die Sinti und Roma gehörten auch zu den Völkerschaften, die von den Nazis ausgerottet werden sollten. Insgesamt wurden 9.500 österreichische Zigeuner ermordet, nur etwas über tausend dürften die NS-Zeit überlebt haben. „Ideologischer Vordenker und Wegbereiter der Zigeunerverfolgung war der burgenländische Gauleiter … Tobias Portschy. Die Zigeuner seien ein wahrer Krankheitsherd inmitten der deutschen Bevölkerung, schrieb er in einer im August 1938 entstandenen Denkschrift. Beruflich konnte man sie allesamt als Diebe charakterisieren. Lüge, Trägheit, Falschheit und Durchtriebenheit seien ihnen eigen. Sie seien asozial und eine Gefahr für das deutsche Blut im Grenzraum. Deshalb sei es höchste Zeit, diese Frage einer nationalsozialistischen Lösung zuzuführen.“
DAS KONZENTRATIONSLAGER MAUTHAUSEN
Der Bedarf an Konzentrationslagern war mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich gegeben. Als Standort wurde Mauthausen, damals ein Ort mit zweitausend Einwohnern, gewählt, der etwa fünfundzwanzig Kilometer von Linz entfernt ist. Bekannt war die Gegend für ihre Steinbrüche, in denen der Mauthausner Granit abgebaut wurde. Es kam den Nazis jetzt weniger darauf an, die politischen Gegner einzuschüchtern und zu disziplinieren, es ging ihnen vor allem um die gnadenlose Ausbeutung von Gratisarbeitskräften. „Am 8. August 1938 trafen die ersten dreihundert Häftlinge in Mauthausen ein. Sie waren aus Dachau überstellt worden. … Die Häftlinge hausten vorerst provisorisch im Wiener Graben und errichteten das eigentliche Lager. Bis Jahresende 1938 kamen mehr als tausend Häftlinge aus Dachau und Sachsenhausen nach Mauthausen. In den Folgejahren stiegen die Häftlingszahlen exponentiell an. Lagerstand Ende 1939: 2666 Häftlinge, Ende 1941: 15.900, Ende 1943: 25.607, Ende 1944: 73.351. Bis Mitte des Krieges wurden die Häftlinge hauptsächlich in den Steinbrüchen eingesetzt, danach dominierte die Arbeit in der Rüstungsindustrie.“ „Die Verhältnisse im Lager: unvorstellbar grausam. Anfang 1941 war Mauthausen das einzige als Stufe III kategorisierte Lager. Definitionsgemäß sollten hier schwerbelastete, … kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge untergebracht – und umgebracht – werden. Tatsächlich überlebten Häftlinge aus bestimmten Gruppen – in erster Linie Juden, Roma und Sinti, aber auch Russen und Polen – den Aufenthalt im Lager in der Regel nur wenige Wochen … Die Vernichtung durch Arbeit war durch die Schwerstarbeit in den Steinbrüchen bei brutaler Behandlung, unzureichender Verpflegung und untragbaren hygienischen Zuständen nicht schwer zu bewerkstelligen. Geradezu zum Symbol des Massenmords durch Arbeit wurde die aus dem Steinbruch in das Lager führende steile Todesstiege. Häftlinge mussten auf Holztragen oder auch nur auf den bloßen Schultern schwere Granitbrocken über diese Stiege schleppen. So lange, bis sie das Gleichgewicht verloren, strauchelten, nach unten stürzten, andere im Stürzen mit in den Tod rissen. SS-Leute stießen Häftlinge mit ihren Lasten über die Treppe. Andere, deren körperlicher Zustand erkennbar schlecht war, erschoss man auf der Flucht. Eine weitere sadistische Methode war das „Fallschirmspringen“, bei dem Häftlinge von SS-Männern über die beinahe senkrechte Wand des Steinbruchs in den Tod gestoßen wurden. Hunderte Häftlinge kamen auf diese Weise ums Leben.“
STERBEN IN HARTHEIM
Noch näher an Linz als Mauthausen liegt das Schloss Hartheim, ein Bau aus der Renaissance, der im Jahre 1898 als Heim für „Schwach- und Blödsinnige, Cretinöse und Idioten“ eingerichtet worden war. Jetzt sollte die Anstalt für andere Zwecke freigemacht werden, und zwar für die planmäßige Vernichtung der Patienten psychiatrischer Anstalten. Die Euthanasie war ein Kernpunkt der nationalsozialistischen Utopie einer rassenreinen Volksgemeinschaft. Für die Ostmark und die angrenzenden Gebiete sollte die „Landesanstalt Hartheim“ diese Aufgabe übernehmen. Ärztlicher Leiter war der Linzer Psychiater Dr. Rudolf Lonauer, sein Stellvertreter Dr. Georg Renno. Hartheim wurde so etwas wie ein Probebetrieb für die dann in Polen angewandte Methode bei der Ermordung von Millionen Juden. Zunächst kam es darauf an, dass kein Unbefugter Zeuge dessen wurde, was in Hartheim geschah. Daher kamen die Opfer über einen Seiteneingang ins Schloss, geleitet von Pflegern und Pflegerinnen. „Durch einen mit Holzplanken abgesicherten Gang ging es in einen Raum, in dem sich die Opfer auszuziehen hatten. Ihre Kleider wurden gebündelt, persönliche Habseligkeiten und Schmuck registriert und verwahrt. Danach trieb man sie in den sogenannten Aufnahmeraum. Ein Arzt wartete hier, entweder Dr. Lonauer oder Dr. Renno. Dieser kontrollierte anhand von Transportlisten und Krankheitsakten die Identität der Opfer. Helfer bestempelten sie mit einer laufenden Nummer. Dann entschied der Arzt, welche von den Totgeweihten als medizinisch interessante Fälle anzusehen wären. Diese wurden gekennzeichnet. Ebenso jene, die über Goldzähne verfügten. … Der nächste Weg führte in einen Raum, den man auf den ersten Blick für eine Dusche halten konnte, die Gaskammer. Eine Pflegerin: Wenn sie (die Opfer) ansprechbar waren, sagte man ihnen, sie würden gebadet. Viele freuten sich auf das Baden, auch wenn sie sonst nichts erfassten. Manche wollten sich nicht waschen lassen, man musste sie ins Bad zerren. Dreißig bis sechzig Personen pferchte man hinein. Je nach Größe des Transports konnten es auch mehr sein. Schließlich verriegelte man die schweren, luftdichten Stahltüren. In einem Nebenraum der Gaskammer standen ein paar Stahlflaschen der Firma IG Farben, befüllt mit Kohlenmonoxid. Ein Gummirohr führte von der Flaschenöffnung zu einem etwa fünfzehn bis zwanzig Millimeter starken Stahlrohr, und dieses in die Gaskammer, nach zehn bis zwanzig Minuten waren die dort Eingesperrten tot.“ „Sanfter Tod, friedliches Hinüberdämmern, Erlösung für die geistig schwer Behinderten und unheilbar Kranken? So jedenfalls wollten der Euthanasiearzt Renno und andere Täter den Vorgang erlebt haben, als sie Jahre später vor Gericht standen. Aber davon konnte keine Rede sein. Tatsächlich starben die Opfer unter furchtbaren Qualen. Ja, ich sah einmal durch das Guckloch, berichtete ein Transportbegleiter. Es war ein schauriger Anblick, wenn die Kranken nach und nach zusammensackten und durcheinander fielen. Ich werde den Anblick nie mehr verlieren oder vergessen.“
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