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Mittelalterliches aus dem Pustertal

Teil 1 – In dieser dreiteiligen Serie berichten wir vom Mittelalter im Pustertal. Wir beginnen mit der Völkerwanderung.
Das Mittelalter umfasst eine viel größere Zeitspanne, als die meisten Leute vermuten. Heutzutage stellt man sich unter „Mittelalter“ Ritter in schimmernder Rüstung vor. Aber bereits zur Zeit der Völkerwanderung sprechen wir vom Frühmittelalter. Und dort beginnen wir.

AUS DER ZEIT DER VÖLKERWANDERUNG
Als der Germanenfürst Odoaker den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus  stürzte (476) und damit den Untergang des weströmischen Reiches besiegelte, waren auch die römischen Provinzen in den Alpen und nördlich davon nicht mehr zu halten. Odoaker zog daraus die Konsequenzen und rief die römischen Truppen im Jahre 488 aus den Provinzen zurück, was zur Folge hatte, dass die dort ansässige längst romanisierte Bevölkerung nun mehr oder weniger schutzlos den Angriffen der von Norden oder von Osten her nachrückenden germanischen und slawischen Stämme ausgesetzt waren. Für das Gebiet, auf dem sich später Tirol herausbildete, war der im 6. Jahrhundert einsetzende Zuzug der Bajuwaren (oder Baiern) von größter Bedeutung, denn dieser Stamm benutzte das besagte Territorium nicht wie andere nur für den Durchzug nach Italien, sondern als Siedlungsland für die Zukunft. Die Herkunft der Baiern ist noch immer nicht ganz geklärt. Sie dürften im 6. Jahrhundert aus dem böhmischen Raum in Richtung ehemalige römische Provinz Rätien aufgebrochen sein. Ihre Zugrichtung lässt sich archäologisch  an Orten mit Reihengräbern ablesen.
Wahrscheinlich besteht ein Zusammenhang zwischen der Eroberung Italiens durch die Langobarden und dem Vordringen der Baiern nach Süden. Die Langobarden verließen die Theißebene, wo sie noch um 500 siedelten, als dort die aus dem Osten kommenden Awaren eindrangen und zogen 568 über die römische Heerstraße durch Pannonien nach Aquileia, das sie eroberten. Im Laufe der nächsten Jahre gelang ihnen die Eroberung ganz Norditaliens. Trient wurde Sitz eines langobardischen Herzogs, Pavia wurde zur Hauptstadt der Langobarden in Italien. Das Bündnis, das der Herzog von Trient mit dem  Baiernherzog Garibald I. schloss, war in erster Linie gegen die Franken gerichtet, die sowohl gegen die langobardische Herrschaft in Italien etwas hatten als auch die eben erst in ihrem neuen Siedlungsgebiet angekommenen Baiern unter ihre Botmäßigkeit bringen wollten. Beides gelang ihnen schließlich: Karl der Große machte 773/774 dem Langobardenreich ein Ende und 788 aus Baiern eine Provinz des Frankenreiches.
DIE BAYRISCHE LANDNAHME IM PUSTERTAL
Wie die bayrische  Landnahme sich im Bereich des späteren Tirol abgespielt hat, dazu gibt es nach wie vor offene Fragen. In der Literatur liest man immer wieder, diese Landnahme sei mehr oder weniger friedlich erfolgt, so als ob sich die in der Völkerwanderungszeit im Pustertal oder im Eisacktal lebende romanisierte Bevölkerung mehr oder weniger freiwillig vor den Land nehmenden bairischen Zuwanderern in die Dolomitentäler zurückgezogen hätte. Bedenkt man allerdings den kriegerischen Charakter der damaligen Zeit, erscheint dieser freiwillige Rückzug eher unwahrscheinlich, waren doch die Bayern durchaus in der Lage, sich der Waffen zu bedienen. Das zeigte sich, als sie bei der Besetzung des Oberpustertales auf Slawen stießen, die – wie die Langobarden – von den Awaren aufgeschreckt, das Drau- und das Iseltal zu besiedeln suchten. Die dabei entstehenden Kämpfe waren heftig und durchaus nicht nur mit Siegen der Bayern behaftet. Die letzte und entscheidende Schlacht soll auf dem Toblacher Feld geschlagen worden sein, der Viktori-Hügel dort soll an den Sieg der Bayern erinnern. Vom Ende des 6. Jahrhunderts an bildete der Anraser oder Kirsteiner Bach die bayrisch-slawische Grenze, was sich vor allem an den Ortsnamen ablesen lässt. Obwohl das slawische Karantanien östlich dieser Grenze größer war als das heutige Kärnten, geriet es im Laufe des 8. Jahrhunderts immer mehr unter bayrische Kontrolle und wurde schließlich Teil dieses Herzogtums. Als der Zuzug der Bayern von niemandem mehr behindert wurde, war es nur mehr eine Frage der Zeit, bis sich im Pustertal das Bayrische als Umgangssprache der ehemals romanisierten Vorbevölkerung und der slawischen Zuwanderer durchsetzte. Im Laufe des Hochmittelalters starb dann sowohl die romanische als auch die slawische Umgangssprache im Pustertal (mit Ausnahme des Gadertales) und im heutigen Osttirol aus.
Die Religion war für die Integration der verschiedenen Völkerschaften von besonderer Wichtigkeit. Die romanisierten Bewohner des Pustertales waren seit dem 4. Jahrhundert der christlichen Staatsreligion verpflichtet. Das spätere Tirol war seit dem 6. Jahrhundert in drei Bischofssitze unterteilt, und zwar in Aguntum-Lavant, Trient und Säben, wobei die beiden Letzteren auch die Völkerwanderungszeit überdauerten. Man nimmt heute allgemein an, dass die einwandernden Bayern bereits als Christen ins Land kamen. In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts war das spätere Tirol jedenfalls schon christianisiert.

Die Sonnenburg hatte weitreichende administrative Aufgaben für die Kirche im Bereich des Puster- und Gadertales zu erledigen.

DIE GRÜNDUNG DES KLOSTERS INNICHEN
Ein Beweis dafür, dass  die ins Pustertal einwandernden Bayern schon im 8. Jahrhundert Christen waren,  findet sich in der Gründungsurkunde des Klosters Innichen, die von Herzog Tassilo III. im Jahre 769 in Bozen ausgestellt wurde. Darin wird der Benediktinerabt Atto von Scharnitz mit der Gründung eines Klosters beauftragt, dem u. a. die Aufgabe zukommen sollte, „das ungläubige Volk der Slawen auf den Weg der Wahrheit zu führen“. Der bayrische Bevölkerungsanteil des Pustertales dürfte damals den Weg der Wahrheit bereits hinter sich gehabt haben. Zur Erhaltung des Klosters übergab der Baiernherzog an Abt Atto das Gebiet vom Gsieser Bach ostwärts bis zur Slawengrenze am Anraser Bach im heutigen Osttirol. Als der erste Abt  von Innichen Bischof von Freising wurde, kam das Kloster Innichen als sogenanntes Eigenkloster unter die direkte Kontrolle dieses Bischofs. Aber den Bischöfen von Freising gelang es nicht, sich auf Dauer die Grundherrschaft über das weite zum Kloster gehörende Land zu sichern. Vor allem die von ihnen eingesetzten Vögte rissen sich jenes Land unter den Nagel, das sie durch ihre Leute urbar machen ließen. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts waren die Grafen von Morit freisingische Vögte, dann der Reihe nach die Grafen von Andechs, von Tirol und von Görz. Letztere waren auch Inhaber der Grafschaftsgewalt über das Pustertal. Schon nach der Länderteilung der Görzer im Jahre 1271 verfügten die Bischöfe von Freising nur mehr über einen Rest der ehemaligen Herrschaft Innichen, die ihnen durch Herzog Tassilo III. im Jahre 769 übertragen worden war und für die die Bezeichnung Hofmark Innichen üblich wurde.

DAS PUSTERTAL UNTER FRÄNKISCHER VERWALTUNG
Als der Baiernherzog Tassilo III. durch Karl den Großen abgesetzt und Baiern im Jahre 788 in das fränkische Reich eingegliedert wurde, unterstand das gesamte Territorium des späteren Landes Tirol erstmals seit dem Untergang des weströmischen Reiches wieder einer einheitlichen staatlichen Gewalt. Diese wurde auch im fränkischen Reiche von Grafen ausgeübt, wie das schon unter den bairischen Herzögen aus dem Geschlechte der Agilolfinger geschehen war. Neben dem „pagus inter valles“, der Inntalgrafschaft, die schon um 800 bezeugt ist, gab es den „comitatus Nurichtal“, der flächenmäßig der größte war und vom Ziller bis auf den Arlberg und über den Brenner bis nach Bozen reichte, ferner eine Grafschaft Vinschgau und eine Grafschaft Pustertal („pagus Pustrissa“). Die Grafschaft Pustertal reichte von Mühlbach bis zur Grenze der freisingischen  Herrschaft Innichen. Östlich davon, bei Abfaltersbach, begann der Lurngau, der sich gegen Osten bis in die Gegend von Spittal erstreckte. Namen von Grafen, welche diese Grafschaften inne hatten, werden nur ganz vereinzelt genannt. Dem Adelsgeschlechte, das im Lurngau und im Pustertal Grafschaftsrechte ausübte, gehörte der Kleriker Volkhold an, der um das Jahr 1030 das Benediktinerinnenkloster Sonnenburg („Suanapurch“) bei St. Lorenzen gründete. Das Vogteirecht über das Kloster wurde dem Bischof von Trient übertragen. Das könnte geschehen sein, weil die Bischöfe Udalrich I. (ca. 1007 bis 1022) und Udalrich II. (1022 bis 1050) von Trient aus dem gleichen Grafengeschlechte stammten wie der Klostergründer.
Zur Zeit Karls des Großen waren die Grafen vom Kaiser bestellte Beamte, die jederzeit abgesetzt werden konnten. Ihnen oblag die Militär- und die Zivilverwaltung und die Gerichtsbarkeit. Erbliche Grafen mit Benennungen nach ihrer Burg gab es damals noch nicht. Erst unter Kaiser Ludwig dem Frommen und seinen Nachfolgern gewannen die Grafen so viel an Macht und Einfluss, dass ihr Amt erblich wurde. Damit war es im Pustertal allerdings zunächst wieder vorbei, als Kaiser Heinrich IV. im Jahre 1091 die Grafschaftsrechte über das Pustertal an den Bischof Altwin von Brixen abtrat. Damit war der Bischof nicht nur der geistliche, sondern auch der weltliche Herr über das Tal. Es kam nun zu einer Neuvergabe der Grafschaften und Vogteien, denn ein Bischof durfte die Pflichten eines Grafen nicht persönlich wahrnehmen, vor allem solche nicht, welche die Gerichtsbarkeit betrafen. Im Grunde lag diesem Herrschaftssystem, in dem das Reichsoberhaupt die weltliche Machen an die Bischöfe übertrug, von Anfang an die Gefahr inne, dass die Bischöfe die Macht an jene Adeligen verlieren würden, die sie zur Ausübung derselben eingesetzt hatten. Das traf nicht nur für das Pustertal zu, sondern auch für die anderen Talschaften, die im Jahre 1027 von Kaiser Konrad II. teils an den Bischof von Trient und teils an den Bischof von Brixen überlassen worden waren. (RT)